Zynismus im Bild

Kloster-Kultur-Keller Vossenack zeigt Collagen zur Nazi-Herrschaft

Wolf Tekook stellt bei den Franziskanern in  Vossenack aus. (c) Stephan Johnen
Wolf Tekook stellt bei den Franziskanern in Vossenack aus.
Datum:
13. Okt. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 42/2020

Wie konnte mit bürokratischem Eifer und technischer Perfektion Massenmord zum Regierungsgeschäft werden? Welche Rolle hat jeder Einzelne dabei gespielt? Auf die Frage, wie die Nationalsozialisten die Herrschaft erlangen und festigen konnten, was zu Krieg und Holocaust führte, befragte  Wolf Tekook, Jahrgang 1951, Auschwitz-Überlebende, las Autobiografien, begab sich auf Spurensuche in Fotoalben und Familiengeschichten. Die Ausstellung „Zynismus“ im Vossenacker Kloster-Kultur-Keller zeigt Tekooks Collagen, die das Gelesene und Gehörte symbolisch thematisieren – und ihrerseits manche Frage aufwerfen.

Blutspur (c) Wolf Tekook
Blutspur

Als Schüler haben Sie Fragen zum Zweiten Weltkrieg gestellt. Was hat Sie bei den Antworten aufhorchen lassen?

In den Erzählungen der Befragten war der Krieg vor allem Kameradschaft unter Soldaten, manchmal ging es um die Entbehrungen bei Gefangenschaft oder nach Bombardierungen. Vom Töten sprach auch auf Nachfrage niemand. Getötet hat offenbar niemand. Dabei gehört Töten ganz offensichtlich zum Krieg. Auch das Schicksal der Juden wurde nie thematisiert. In der Schule endete der Geschichtsunterricht am Ende der Weimarer Republik und wurde mit Gründung der Bundesrepublik wieder aufgenommen.  

 

Sie wollten wissen, was wirklich passiert ist?

Ich wollte wissen, wie es dazu kommen konnte, was passiert ist. Über den Toren der Konzentrationslager war der Schriftzug „Arbeit macht frei“ angebracht. Ein bösartiger Zynismus, denn von Freiheit konnte wohl keine Rede sein, es ging um Vernichtung durch Arbeit. Der menschenverachtende Zynismus, diese bewusste Verfälschung von Tatsachen ist die Grundlage der NS-Herrschaft. 

 

In Ihren Werken übertünchen Sie beispielsweise Bilder lachender Soldaten aus Familienalben mit Blutspritzern und der Karikatur einer Führer-Fratze. Sie schrecken vor bewussten Verfälschungen nicht zurück?

Es könnte auch ein Feuerwerk sein. Was der Betrachter in meinen Bildern sieht, überlasse ich dem Betrachter. Ich möchte nur bewirken, dass er genau hinschaut. Verfälschungen sind ein legales Mittel, um sich mit realen Bildern auseinanderzusetzen, aber die Botschaft dieser Bilder zu hinterfragen. Ich habe meine Ausstellung 2012 auf Einladung eines Freundes zunächst in New York gezeigt. Vielleicht würde ich heute einige Dinge anders machen, aber ich habe nichts verändert. Wir sollten keinem Bild trauen, das wir nicht selbst gefälscht haben.

 

In Ihrer künstlerischen Betätigung rückten in den vergangenen Jahren andere Themen in den Vordergrund – die Finanzkrise, die Gier der Banken. Was hat Sie dazu bewogen, Ihre Auseinandersetzung mit der NS-Zeit wieder aus dem Archiv zu holen?

Ich habe die Ausstellung wieder aus dem Archiv geholt, weil ich mir Sorgen mache. Der Zynismus der Nationalsozialisten ist wieder salonfähig, manche öffentliche Diskussion nationalistischer Politiker unterscheidet sich nicht wesentlich von der damaligen Nazi-Diktion. Und wir bekommen nur mit, was auf der öffentlichen Bühne gesprochen wird. Was abseits davon in den Kellern diskutiert wird, können wir allenfalls erahnen. Deutschland erlebt gerade einen Rechtsruck, wir erleben immer deutlicheren Fremdenhass, extremistischen Nationalismus und Rassismus.

 

Sollten wir besser hinhören und -schauen?

Wenn wir nicht möchten, dass sich die Geschichte wiederholt: Ja! Was sich zwischen 1933 und 1945 ereignet hat, ist nichts Einmaliges. Es ist nicht einmal ein deutsches Phänomen. Neu war damals das perfektionierte industrialisierte Töten. Wir erleben weltweit ein Aufflammen des Fremdenhasses und des Nationalismus. Mir geht es darum, mögliche Parallelen in der Geschichte aufzuzeigen. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ermöglicht es uns, Wiederholungen zu vermeiden, sie zu verhindern, aus der Geschichte zu lernen.

 

Finden Sie, dass Nationalismus per se etwas Gefährliches ist?

Nationalismus ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts infolge der industriellen Revolution. Eine Zeit, in der Menschen plötzlich unglaublich mobil wurden – und mobilisiert wurden, als nicht mehr der eigene Kirchturm die Grenze war. Es gibt gute und schlechte Entwicklungen. Nationalismus ist nicht per se etwas Negatives, ein Nationalbewusstsein halte ich für gut. Aber nationalistische und fremdenfeindliche Gedanken in der Politik und bei privaten Stammtischen bereiten mir große Sorgen. Unter diesem Dach sammeln sich aktuell auch viele Verschwörungstheoretiker – und Donald Trump ist ihr Messias. 

 

Wie erklären Sie sich die Zunahme der Fremdenfeindlichkeit?

Rechtspopulisten tragen in der Öffentlichkeit gerne das Deckmäntelchen der Bewahrer. Sie wollen uns vor etwas beschützen: vor Überfremdung, vor der Globalisierung, vor wirtschaftlichem Niedergang. Ganz egal, ob das stimmt oder die Ängste berechtigt sind. Viele der „guten Deutschen“ von heute waren vor 100 Jahren selber Immigranten, die im Ruhrgebiet geschuftet haben, die das Fundament unseres Wohlstandes gelegt haben. 
Nach wie vor sind wir auf Immigration angewiesen. Und wir haben davon stets profitiert: Die Kinder der ersten Gastarbeiter waren es, die viele Gewerbe angemeldet haben, Kioske betreiben, Läden betreiben, in denen wir gerne einkaufen. Deren Kinder gingen erstmals auf die Uni, sind heute Juristen, Apotheker. Das sind keine Fremden, sie nehmen keinem die Arbeitsplätze weg, sondern zahlen brav ihre Steuern, leisten einen zentralen Beitrag zur Entwicklung des Landes. Ich habe Sorge, dass uns aufgrund eines Rechtsrucks diese gelungene Integration künftig schwerfällt oder sie gar wegfällt.  

 

Woher rührt die Angst vieler Menschen, sozial abgehängt zu werden? Oder haben wir schlichtweg verlernt, für unsere Ziele auch zu arbeiten?

Ich beobachte bei vielen Jugendlichen eine Art pragmatische Negation des Lebens.

 

Was bedeutet das?

Es gibt diese Denkweise: „Ich kann das sowieso nicht erreichen, also brauche ich erst gar nicht damit anzufangen.“ Wir leben in einer Zeit der Saturiertheit, wir haben womöglich vergessen, wie es ist, wenn uns wirklich etwas bedroht, etwas fehlt, was eine existenzielle lebensbedrohliche Krise ist. Vielleicht fehlt uns auch eine eher mediterrane Denkweise: mehr Leichtigkeit und Zuversicht, weniger Grübelei und Schwermut. Politisch erleben wir, dass beispielsweise die AfD-Fraktionen in vielen Parlamenten gerade damit beschäftigt sind, sich selbst zu demontieren. Das lässt hoffen. 

Das Gespräch führte Stephan Johnen.

 

Info

Die Ausstellung „Zynismus“ mit Bildern des Fotocouturisten Wolf 
Tekook ist noch bis zum Ende des Jahres im Vossenacker Kloster-Kultur-Keller, Franziskusweg 1, im Rahmen aller Veranstaltungen zu sehen. Das Programm gibt es im Internet unter www.kloster-kultur-keller.de. Die Ausstellung ist auch sonntags nach den Gottesdiensten ab 12 Uhr geöffnet sowie nach Vereinbarung. 
Schulklassen und Gruppen können per E-Mail an mail@kloster-kultur-keller.de oder telefonisch (0 24 29/ 3 08 53) individuell einen Besichtigungstermin bei Bruder Wolfgang Mauritz OFM vereinbaren.