Ein stilles Lächeln, ein kurzes Zögern, ein nachdenklicher Blick: Ilja Richter, Jahrgang 1952, ist als Autor alles andere als voreilig. Nach „Nehmen Sie’s persönlich: Porträts von Menschen, die mich prägten“ (2022/zweite Auflage 2023), Buch zum 70. Geburtstag, in dem er mit Humor, Herz und subtiler Psychologie Begegnungen von Manfred Krug bis Hans Rosenthal in kleine Episoden bannt, ist jetzt sein neues Buch erschienen: „Lieber Gott als nochmal Jesus“, klug, vielschichtig, analytisch, mit Witz und Melancholie. Es ist eine bekennende Suche nach den eigenen religiösen Wurzeln, eine Art Bühne, die Aufmerksamkeit verlangt auf dem Weg zwischen Davidstern und Kreuz, zwischen Gott und Gottes Sohn – Richter nennt es eine „Beichte“. Aber was bedeutet „Beichte“ für ihn? Die Antwort wäre abendfüllend.
Der Schauspieler, Autor, Sänger und Regisseur, geboren in Ost-Berlin, hat gerade seinen 72. Geburtstag gefeiert, liebt es, über Gott und die Welt nachzudenken. Das geschieht in Büchern, die ihm erstaunlich rasch „aus der Feder fließen“. Nur ein Jahr dauert es, bis das Manuskript zum neuen, seinem dritten Buch fertig ist, mit dem er in der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen das Publikum überrascht, als das Werk noch gar nicht im Handel ist. Doch da haben er und sein Elsinor-Verleger Thomas Pago eine Idee: ein Probedruck für 14 Euro und mit einer Besonderheit, die dem Buch Sammlerwert verleiht. Da noch Schreibfehler im Text stecken, gibt es ein Einlegeblatt mit einer Korrektur-Liste – und die Gäste der Lesung achten genau darauf, dass Ihnen am Stand der Aachener Buchhandlung „Das Worthaus“ kein Werk ohne Zettel überreicht wird.
Mit seinem Namen weckt Richter Erinnerungen – an heitere Spielfilme, seinen TV-Jugend-Erfolg mit der Musiksendung „Disco“, aber auch an zahlreiche Bühnenauftritte – ein gereifter Richter in der Titelrolle bei „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ im Schlossparktheater Berlin etwa. Wer heute den jungen Moderator, der so locker Stars die Hände schüttelt und in kleinen Szenen eigene Slapstick-Ideen umsetzt, im nachdenklich-freundlichen Autor sucht, erkennt bald: Er weiß immer noch genau, wie er sich dem nun reiferen Publikum präsentiert, wie er gemessen aufrecht zur Bühne geht, mit kleinen Gesten und wissenden Blicken arbeitet. „Für unser Haus ein spannender und sympathischer Gast“, versichert Angela Reinders, Direktorin der Bischöflichen Akademie. Als Auflockerung des Soloabends wird sie einen anregenden Dialog mit dem Künstler führen, charmant von Richter aufgefordert: „Frau Reinders, helfen Sie mir!“ Dabei würde man ihm Hilflosigkeit nie anmerken.
Der Saal ist vollbesetzt, die Menschen sind gespannt. Auf der Bühne wartet nur das kühl-moderne Lesepult, seitlich Techniker Julius Meier, der für den guten Ton sorgt. Mit ruhigen Schritten nimmt Richter seinen Platz ein, bestimmt die Schwingungen der jeweiligen Geschichte, zitiert und singt Chansons des von ihm verehrten Poeten, Komponisten und Pianisten Georg Kreisler, Sohn aus österreichisch-jüdischer Familie, der in Richters Interpretationen stets mitklingt.
Wenn er über Zeitgeschichte spricht, ist sie nah. Er liebt den Drahtseilakt zwischen Stilmitteln der Literatur. Die Tatsache, dass er Sohn einer jüdische Mutter und eines „überzeugt atheistischen“ Vaters ist, lässt ihn den religiösen Wurzeln und zugleich der freien Denkungsart nachspüren. Überzeugt zitiert er den britischen Autor Julian Barnes (Jahrgang 1946) mit dessen Statement „Ich glaube nicht an Gott, aber ich vermisse ihn“.
Sein Publikum mag ihn, das fühlt er, reagiert darauf, gibt diese Sympathie zurück. Er ist zugewandt, zeichnet seine Porträt-Karikatur beim Signieren in die Bücher, seinen Gruß „Lesen Sie wohl“, nimmt sich Zeit für gemeinsame Fotos.
Zwei Bücher sind in Folge entstanden. Hatte er bereits eine Material-Sammlung? „Im Prinzip nicht, ich habe nicht mal Tagebuch geführt“, gesteht er im Gespräch. Aber in all den künstlerisch aktiven Jahren hat ihn der Gedanke begleitet – an Bücher, immer wieder „das-mache-ich-mal“. Irgendwann war ihm klar – warum warten? Richter ist ein guter Beobachter, selbstkritisch, gern ein wenig distanziert. Nervös war er selten, wie er betont, meint dann aber: „Als wir die israelische Künstlerin Daliah Lavi in der Sendung hatten, war ich sehr aufgeregt, eine tolle Frau.“ Ähnlich geht es ihm damals mit der Engländerin Petula Clark. „Meine erste Single von ihr war ,Downtown‘, das habe ich geliebt.“ Über musikalische „Rüpel“ wie die Bay City Rollers amüsiert er sich noch heute.
Einsichten, mutige Positionen, nur kein Mainstream: In „Lieber Gott als nochmal Jesus“ klingt er frei und selbstbestimmt. Und der Glaube? „Ich glaube ja, dass Jesus ein von Gott bestrahlter, besonderer Mensch war“, sagt er. „Ein Störfaktor für die hohen Priester.“ Und er gesteht dem friedliebenden Jesus durchaus Temperament und zur Not sogar heftige Reaktionen zu. „Man denke nur an die Situation im Tempel, als er die Händler vertreibt“, nickt Richter. In seiner Suche nach eigenen Wahrheiten erscheint er heute verwandelt, öffnet sich, fasziniert von der Kraft immer neuer Einsichten.
Richter mag es, Geschichten zu erzählen. Seine Antworten auf Fragen fallen niemals karg aus. Und er pflegt Freundschaften, die sich bewährt haben. Mit der Sängerin Katja Epstein gibt es ab März 2025 ein musikalisch-kabarettistisches Wiedersehen in Berlin – nach 50 Jahren unter dem Motto „Nur nicht wundern“. Mit ihr teilt Richter das Motto ihres Erinnerungsbuches von 2020 „Das ganze Leben ist Begegnung.“ Er freut sich darauf – wie er sich auf all seine Aktivitäten freut, sich nur noch Wünsche erfüllt. Weihnachten in der Familie? „Ja, natürlich feiern wir Weihnachten“, lacht er. „Mit einem großen schönen Weihnachtsbaum, auf dem der Davidstern glänzt.“