Zwei Orgeln auf einen Streich

In der Heimbacher Doppelkirche sorgen sehr unterschiedliche „Königinnen der Instrumente“ für Spielfreude

Eine Kirche mit Nachklang und damit der Akustik eines Konzertsaals ist die Kirche Christus Salvator. (c) Andreas Drouve
Eine Kirche mit Nachklang und damit der Akustik eines Konzertsaals ist die Kirche Christus Salvator.
Datum:
12. Okt. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 41/2021 | Andreas Drouve

Ein ungewöhnliches Privileg genießt Organist Peter Mellentin in der Heimbacher Doppelkirche, die aus einem älteren Teil (St. Clemens) und einem neueren (Christus Salvator) besteht: Hier stehen dem 54-Jährigen gleich zwei Orgeln zur Verfügung. Jedes Modell hat seine Vorteile, um „in eine ganz andere Welt einzutauchen“, wie Mellentin sagt.

Organist Peter Mellentin an der historischen Orgel von 1879. (c) Andreas Drouve
Organist Peter Mellentin an der historischen Orgel von 1879.

18 Wendeltreppenstufen führen Organist Peter Mellentin hinauf zur Orgelempore der Kirche Christus Salvator in Heimbach. Ist er oben angekommen, hat das passende Schuhwerk – Orgelschuhe mit Absätzen – angelegt und am Spieltisch des Orgelgiganten Platz genommen, fühlt er sich vollends in seinem Element. Dann wirbeln seine Finger über die Tasten und die Füße über die Pedale, als gäbe es kein Morgen. Er schwärmt von der „Konzertsaal-Akustik“ und einem Nachhall von lediglich 1,8 Sekunden, so dass man transparent alles spielen könne. Das erfordert gleichzeitig höchste Maßstäbe der Qualität, denn, betont Mellentin: „Der Raum verzeiht nichts, verzeiht keinen Fehler.“

Erhebt er sich und geht auf der Empore ein Stück weiter, gelangt er an eine gläserne Verbindungstür: zur Nachbarempore der älteren Kirche St. Clemens. Dort erwartet ihn eine zweite, eine historische Orgel, die er nicht minder schätzt. Dieses direkte Miteinander ist eine Besonderheit in der Kreis Dürener und Eifeler Orgellandschaft.

„Fülle von Klangfarben“

Blick aufs Detail: Der Registerzug der Orgel in St. Clemens. (c) Andreas Doruve
Blick aufs Detail: Der Registerzug der Orgel in St. Clemens.

Ein klobiges Eichenkonstrukt ist die 1879 in Linnich gebaute Orgel von St. Clemens. Mellentin mag tatsächlich die un-gepolsterte, harte Holzsitzbank am Spieltisch und schmunzelt, wenn er lapidar bemerkt: „Man verschleißt auch mal eine Hose beim Orgelspielen.“ Ohne allzu sehr in den Fachjargon abzudriften, schwärmt er von der „Fülle von Klangfarben“, die Raum geben, bis hin zu meditativen Elementen, den „schwebenden Klängen“ und den „schönen melodiösen Flöten“. Da könne man so richtig schwelgen. Die 22 Register seien „der Kirche angemessen“.

Mellentin verschweigt nicht, dass es „ein paar Schadstellen“ gibt, denn: „Die Orgel wurde im Zweiten Weltkrieg von einem Granatsplitter getroffen, der ein Fenster durchschlug und in Höhe des Stimmgangs quer in die Orgel eindrang.“ Das war nicht ganz so tragisch, lediglich ein paar Zungenregister gingen kaputt. Die Posaune fehlt bis heute, die Trompete wurde durch die Zunge von einem englischen Orgelbauer aus der Romantik ersetzt, was laut Mellentin „nicht zum Instrument passt“. Das freilich dürften nur Profis heraushören. Im Wesentlichen sei die Orgel „fast original“ und wohl auch wegen fehlender Finanzmittel nie verändert worden. Mellentin schiebt hinterher: „So hat diese Orgel die Modeerscheinungen nicht mitgemacht. Ihr ist eine Barockisierung, wie man sie in den Sechzigerjahren manchmal vornahm, erspart geblieben.“ Eine Restaurierung würde der Experte gleichwohl befürworten. Den Stil der Orgel umreißt er als „typisch deutsche Romantik“. Brahms und Mendelssohn klängen sehr schön.

Ein Gigant mit 3100 Pfeifen

Ganz anders ist die Raum- und Orgelsphäre der Kirche Christus Salvator, in der Alt und Neu auf ungewöhnliche Weise verschmelzen. Eingefasst in die Moderne der Architektur, zieht das um 1520 in Antwerpen entstandene Passionsretabel die Wallfahrer an. Akzente der Moderne setzen die von Georg Meistermann entworfenen Glasfenster und die annähernd neun Meter hohe Orgel, die 1985 aus einer Hamburger Manufaktur geliefert wurde. Gegen das mächtige Werk, ebenfalls aus Eiche, aber heller als die ältere Orgel, wirkt Mellentin wie ein Zwerg. „Die längste Pfeife misst fünf Meter, die kleinste wenige Millimeter. Insgesamt gibt es 3100 Pfeifen und 38 Register“, klärt er auf. Natürlich biete diese Orgel „viel mehr Möglichkeiten“ als jene von St. Clemens. Sie sei typisch für den norddeutschen Barockklang, doch bei den Klangfarben gehe es auch in Richtung Romantik. Was er mag, sind die „herrlichen Zungenregister“ und „der Klang der Cornette“.

Ein Ausgleich zum Lehrerjob

Der Turm der Heimbacher Doppelkirche. (c) Andreas Drouve
Der Turm der Heimbacher Doppelkirche.

In seinem Hauptjob ist der gebürtige Erftstädter Mellentin, der seit über drei Jahrzehnten in Heimbach lebt, Gymnasiallehrer für Musik und Latein. Bis zum Jahrtausendbeginn war er hauptamtlicher Kirchenmusiker in Heimbach, ehe er in den Schuldienst wechselte. Für seine große Passion, das Orgelspiel, nimmt er sich im Tagesschnitt eineinhalb Stunden Zeit.
Eine eigene Orgel hat er nicht daheim, aber den Schlüssel zum Heimbacher Kirchendoppel, wo ihm beide Instrumente ein breites Spektrum öffnen. Zum Glück muss er „nicht mit dem Auto weg, um mal schnell zu üben“, denn er wohnt „weniger als zwei Minuten Fußweg“ entfernt. Gerne holt er aus der neueren Orgel „alles an Power“ heraus. Abends spielt er extra nicht so laut – schließlich liegt das Kirchenensemble in einem Wohngebiet. „Beschwert hat sich noch niemand“, sagt Mellentin, und auch seine Frau Anke hört zu Hause nicht, wenn er alle Register zieht.

Ebenso wie das Orgelspiel mag Mellentin die ungelösten Fragen der Astrophysik und sportlich inspirierte Spaziergänge durch die Natur. Kommt er mal nicht zu seinen Übungseinheiten an den Orgeln, ärgert ihn das. Musizieren sei für ihn ein sehr guter Ausgleich zur Schule. Mellentin sieht überdies einen substanziellen Unterschied: „In der Schule kann ich nicht auf diesem künstlerischen Niveau agieren.“