Zwei Jahre nach der Flut

Viele Flutopfer haben bereits Wiederaufbauhilfen bekommen. Eine Bilanz

Kornelimünster war einer der Orte im Bistum Aachen, der überflutet wurde. Die Wucht der Wassermassen, durch  die andernorts auch Menschen starben, traumatisierte viele Betroffene. (c) Andreas Mölling
Kornelimünster war einer der Orte im Bistum Aachen, der überflutet wurde. Die Wucht der Wassermassen, durch die andernorts auch Menschen starben, traumatisierte viele Betroffene.
Datum:
11. Juli 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 28/2023 | Garnet Manecke

Zwei Jahre ist es her, dass das Wasser kam. Das Hochwasser 2021 zerstörte in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 in Orten wie Hellenthal, Eschweiler oder Stolberg ganze Straßenzüge. Zwei Jahre später sind die Trümmer weggeräumt, der Wiederaufbau läuft. Ein Blick auf die Situation im Bistum Aachen.

Jetzt, mit zwei Jahren Abstand, empfindet Gerda Hörnchen vor allem Dankbarkeit. „Ich bin vor allem dankbar, dass unsere Mieter im Urlaub waren, als das Wasser kam“, sagt die 74-Jährige. „Sie hätten es nicht aus der Einliegerwohnung geschafft.“ Das Wasser kam so schnell, dass die Wohnung in kurzer Zeit bis unter das Dach geflutet wurde. Mit ihrem Lebensgefährten habe sie sich auf den Speicher gerettet und gewartet. „Er hat noch versucht, aus unserem Keller etwas zu retten, aber das ging überhaupt nicht“, erinnert sich Hörnchen. „Als unsere Mieter zurückkamen, hatten sie nichts mehr.“

Gerda Hörnchen wohnt in Hellenthal, einem Ort in der Eifel mit knapp 8000 Einwohnern. Der Reifferscheider Bach fließt hier durch. „Aber der ist sehr weit weg von unserem Haus“, sagt Hörnchen. „An der Brücke hat sich das Wasser gestaut und dann ist er übergetreten.“ Als Kind hat sie mit ihren Eltern an einem Bach gelebt. Deshalb kannte sie Hochwasser. Damals hätten ihre Eltern zuerst die Nähmaschine ihrer Mutter, einer Schneiderin, in die obere Etage des Hauses gebracht. „Daran musste ich denken, als ich auf dem Speicher saß“, sagt Gerda Hörnchen. Sie selbst sei ruhig gewesen, als das Wasser kam. „Ich habe gedacht, wenn das jetzt unser Weg ist, dann ist das eben so“, sagt sie. „Wir haben gebetet. Das hat uns geholfen.“ Irgendwann kam Hilfe in Gestalt ihres Sohnes. Heute kann sie ganz ruhig über die Ereignisse von vor zwei Jahren sprechen.

Mit ihrem Lebengefährten rettete sich  Gerda Hörnchen auf den Dachboden

Besonders die große Hilfe, die sie erlebt hat, erfülle sie mit Dankbarkeit, sagt Hörnchen. Für den Wiederaufbau musste sie ihre Ersparnisse einsetzen und einen Kredit aufnehmen. „So dass wir erst mal arbeiten konnten“, sagt sie. Aber die Mittel reichten nicht. Sie hat Anträge auf Wiederaufbauhilfe gestellt, die auch schnell bearbeitet worden seien. Heute ist ihr Haus wiederhergestellt. Zuletzt wurde der Garten neu angelegt. Die Einliegerwohnung ist neu vermietet. Ihre früheren Mieter sind umgezogen.

Seit dem 17. Juli 2021 können Geschädigte beim Land NRW Förderanträge für Wiederaufbauhilfe stellen. Das Land hat dafür rund 12,3 Milliarden Euro aus dem Aufbaufonds 2021 bereitgestellt. Sowohl Kommunen, als auch Unternehmen und Privatleute können die finanzielle Hilfe in Anspruch nehmen. Gerade erst hat die Gemeinde Hellenthal einen Fördermittelbescheid über 13,2 Millionen Euro erhalten. Damit sollen zerstörte Straßen und Wirtschaftswege saniert werden, der Hochwasserschutz an Gewässern verbessert, Brücken neu gebaut oder wieder instandgesetzt, Gebäude repariert und Gerät für die Feuerwehr beschafft werden.

Nothilfefonds und Spendenkonten wurden schnell eingerichtet, um Opfern zu helfen

Für die Hilfe der Flutopfer stellten mehrere Organisationen der Caritas Geld zur Verfügung. (c) KiZ/Ruth Schlotterhose
Für die Hilfe der Flutopfer stellten mehrere Organisationen der Caritas Geld zur Verfügung.

Zur Bearbeitung der Anträge und zu ausgezahlten Hilfen für den Wiederaufbau konnten weder das Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen noch die Bezirksregierung Köln auf Anfrage der KirchenZeitung aktuelle Zahlen zur Verfügung stellen. Der Pressesprecher des Ministeriums, Fabian Götz, verweist auf einen Bericht an den Ausschuss für Heimat und Kommunales vom April dieses Jahres.

Demnach wurden bis zum 31. März 2023 von Unternehmen und Privatleuten insgesamt 29957 Anträge gestellt. Bewilligt wurden Hilfen mit einem Volumen von 2,892 Milliarden Euro. Von den 800 Anträgen von Unternehmen wurden 703 in Höhe von insgesamt 215 Millionen Euro bewilligt. Unternehmen der Wohnungswirtschaft haben 35 Anträge eingereicht, von denen 34 mit einem Volumen von 5,7 Millionen Euro bewilligt wurden. 1,1 Millionen Euro wurden bis 31. März ausgezahlt. Den Großteil der Anträge auf Wiederaufbauhilfe stellen Privatleute: Insgesamt wurden 28196 Anträge auf Leistungen bewilligt. Ausgezahlt wurden 209 Millionen Euro im Rahmen der Hausratspauschalen. Für Gebäudeschäden wurden insgesamt 628 Millionen Euro bewilligt, davon wurden 300 Millionen ausgezahlt.

Neben der staatlichen Hilfe flossen auch Spendengelder. Das Bistum Aachen hat nach der Flut einen Solidaritätsfonds gegründet, der aus Spenden finanziert wurde. Für betroffene Gemeinden gab es eine Soforthilfe von 10000 Euro. Auch das Land NRW hat gemeinsam mit Hilfsorganisationen den Spendenfonds „NRW hilft!“ eingerichtet. 660405,78 Euro hat das Bistum der Caritas für die Fluthilfe bereitgestellt. Dazu kamen 723960,80 Euro von „NRW hilft!“. Caritas International steuerte gut 5,6 Millionen Euro bei. Insgesamt kamen zur Unterstützung der Flutopfer mehr als 7,1 Millionen Euro zusammen.

Davon sind gut sechs Millionen Euro ausgegeben worden. Mit 4,2 Millionen Euro wurde der Großteil für Zusatzunterstützung ausgegeben. Bis 5000 Euro bekamen Antragsteller pro Haushalt. Dafür konnten sie sich neuen Hausrat sowie Geräte wie Waschmaschinen oder Kühlschränke kaufen. 485600 Euro flossen in die Grundunterstützung für Unterbringung und Versorgung. Mit 487110 Euro wurden Haushaltsbeihilfen finanziert. Bis zu 1000 Euro pro Haushalt konnten Betroffene erhalten, um Geräte wie Trockner, Pumpen und Hochdruckreiniger zu mieten.

Fluthilfebüros als Anlaufstellle für Menschen, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen

·Gerda Hörnchen packte mit an, um den Schutt aus dem, was mal ihr Garten war, zu schaufeln. (c) privat
·Gerda Hörnchen packte mit an, um den Schutt aus dem, was mal ihr Garten war, zu schaufeln.

Für jemanden, der vor den Trümmern seiner Existenz steht, ist es eine fast unlösbare Aufgabe, sich bei den vielen Anträgen zurechtzufinden. Um den Betroffenen zu helfen, wurden im Bistum Aachen fünf Fluthilfebüros in Trägerschaft von Caritas, SKF und SKM eingerichtet. In Schleiden hilft Dorothea Gehlen den Flutopfern bei der Bewältigung der vielen Herausforderungen und Aufgaben. Zwei Jahre nach der Flut zeigt sich, dass der Stand des Wiederaufbaus höchst unterschiedlich ist.

2,5 Millionen von den Spendengeldern sind in die Eifel für den Neustart geflossen. Dazu kamen Fördermittel des Landes und Versicherungsleistungen. Bei manchen gelingt der Neustart scheinbar reibungslos, bei anderen hat er noch gar nicht begonnen. „Ein Drittel der Leute hat gar keine Probleme bei der Bewilligung der Anträge und mit der Auszahlung gehabt“, sagt Dorothea Gehlen vom Caritas-Fluthilfebüro. „Die sind wieder in ihren sanierten Häusern, haben aber oft Panik, wenn es wieder regnet. Ein Drittel ist noch dabei, alles wieder aufzubauen. Diese Menschen hatten Schwierigkeiten durch die Verteuerung der Materialien und den Handwerkermangel. Und ein Drittel ist immer noch in einem Schockzustand und hat starke Probleme.“

Die Flut habe Probleme verstärkt, die vorher schon da waren, aber nicht sichtbar: Vereinsamung, kaum finanzieller Rückhalt oder fehlende Bildung führe häufig dazu, dass die Betroffenen mit der Situation überfordert seien. „Die Menschen haben kein Netzwerk und wollen nichts falsch machen“, beobachtet Gehlen. Die Folge sei dann, dass viele gar nicht wüssten, dass sie finanzielle Hilfen beanspruchen können. „Wenn wir einen Zugang finden, dann helfen wir“, sagt Gehlen.

Um Hilfe zu bitten, sei gar nicht so einfach, sagt Gerda Hörnchen. Sie war früher selbstständige Geschäftsfrau, hat bis zu ihrer Rente einen eigenen Laden gehabt. Trotzdem hat sie sich gleich um Hilfe bemüht. Ihre Tochter und ihr Sohn hätten die Anträge für sie ausgefüllt. Auch sonst boten viele Menschen ihre Unterstützung an.

„Eine Frau ist vorbeigekommen und hat mir 100 Euro gegeben. Sie hat sich noch entschuldigt, dass sie nicht mehr geben könne, weil sie nur eine kleine Rente habe“, erzählt die 74-Jährige. „Und aus Herford ist eine Gruppe Jugendlicher gekommen, die hier bei den Aufräumarbeiten mitgemacht haben.“ Im Gegenzug habe sie die Jugendlichen bekocht. „Wir haben zusammen gelacht, aber auch geweint“, sagt sie.

Geholfen hat Hörnchen auch, dass die beantragten finanziellen Hilfen schnell gekommen seien. „Das hat wunderbar geklappt“, sagt die Rentnerin. „Aber es wusste nicht jeder, dass man Anträge stellen konnte.“ Wie schnell es mit dem Wiederaufbau geht, ist auch abhängig von der Persönlichkeit der Betroffenen. „Viele Leute schreckt ab, wie viele Unterlagen man für die Hilfen zusammensuchen muss“, sagt Sarah Hermanns vom SKF Eschweiler. Gemeinsam mit dem SKF Aachen, dem SKF und SKM Stolberg ist der SKF Eschweiler Träger des Fluthilfebüros für die Städteregion Aachen. Wie Gehlen sieht auch Hermanns, dass der Stand des Wiederaufbaus unterschiedlich ist. „In der Stadtmitte von Eschweiler sieht man, dass etwas passiert“, sagt Hermanns. „In Weisweiler sieht es in vielen Straßen noch schlimm aus.“ Viele Betroffene wüssten nicht, dass sie auch dann Anträge auf Wiederaufbauhilfe stellen können, wenn sie versichert sind. 

Langsam ist in Teilen so etwas wie Normalität in den betroffenen Gebieten eingekehrt

arah Hermanns vom SKF Eschweiler berät die Flutopfer und hilft bei Anträgen. (c) SKF Eschweiler
arah Hermanns vom SKF Eschweiler berät die Flutopfer und hilft bei Anträgen.

In Stolberg haben die ersten Geschäfte wieder geöffnet. Auch in Hellenthal oder in Eschweiler ist in Teilen wieder so etwas wie Normalität eingekehrt. „Außenstehende sehen das eher, die Betroffenen haben dafür oft kein Auge“, sagt Hermanns. „Sie sehen den Prozess nicht, sondern, dass die Schule, in die ihre Kinder gegangen sind, noch nicht fertig ist.“

Manche Verzögerung kommt dadurch zustande, weil kaum einer der Betroffenen Fotos von den Schäden gemacht hat. Auch bei der Rettung von Gegenständen wurde im Zweifel nach dem Familienalbum gegriffen, statt nach dem Ordner mit dem Grundbuchauszug. So sind Unterlagen, die Versicherungen und Behörden fordern, nicht mehr vorhanden. Dazu kommt, dass nach zwei Jahren die Traumata immer mehr Raum einnehmen. Die psychosoziale Beratung nimmt bei der Arbeit von Sarah Hermanns zu, wenn auch die Wiederaufbauhilfe bei Klienten mit Abstand noch ganz oben auf der Liste steht. „Viele Klienten berichten, dass sie nachts nicht schlafen können, wenn Regen fällt, oder ihre Kinder dann anfangen zu weinen“, sagt Hermanns.

Gerda Hörnchen macht es nichts aus, wenn es regnet. Ihr Lebensgefährte dagegen werde nervös, wenn es einen starken Regenschauer gibt, berichtet die 74-Jährige. Hörnchen hilft sich selbst, in dem sie anderen hilft. Sie engagiert sich bei der Lebensmittelausgabe der Fluthilfe und in der Kleiderkammer. „Arbeit tut gut“, sagt sie.

Spurlos sind die Ereignisse an der Seniorin aber nicht vorübergegangen. Zwei Mal ist sie in ihrem Leben überfallen worden. Das sei für sie traumatischer gewesen als die Flut, sagt Hörnchen. Eigentlich habe sie das verarbeitet. Aber jetzt kommen die Erinnerungen vor allem nachts doch wieder hoch. „Seit der Flut träume ich wieder davon.“

Was die Flut anrichtete

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