Alles Vertraute zurückzulassen und ins Ungewisse zu fliehen, ist ein großer Schritt. Wer das tut, hat meist eine schwere Zeit durchgemacht, ist oft traumatisiert von dem Erlebten. In der Ferne suchen diese Menschen Schutz, Frieden, einen sicheren Hafen, vor allem für ihre Kinder, und eine Perspektive für ihre Zukunft. In Eschweiler gibt es Menschen, die tun, was sie können, um das möglich zu machen – ehrenamtlich.
Entstanden ist der Verein „Mehr als Deutsch“ im Jahr 2015, als zahlreiche Geflüchtete mit den beschriebenen Hoffnungen im Gepäck nach Deutschland kamen. Die Gruppe aus 13 Ehrenamtlichen unterstützt Geflüchtete beim Erlernen der deutschen Sprache und weit darüber hinaus. Denn egal woher sie kämen, da säßen Menschen vor ihnen mit ihren ganz eigenen Geschichten, Sorgen, Fragen, Problemen und Wünschen, sagt Wolfgang Rüsges, einer der Initiatoren. Sprachkenntnisse seien der Schlüssel, doch um hier wirklich anzukommen, brauche es mehr. „Wir helfen auch bei der Jobsuche oder der Suche nach einem Ausbildungsplatz. Unterstützen, wenn es Probleme in der Schule gibt.“
Angefangen haben sie im Pfarrheim in Weisweiler. Seit einem guten Jahr ist der Verein nun im Pastor-Zohren-Haus in Röthgen zu Hause. „Wir haben hier ein so schönes, umgebautes. Da bot es sich an, die Angebote für geflüchtete Menschen hier zu bündeln“, sagt Wolfgang Rüsges, der in der Gemeinde St. Marien verwurzelt ist. Was gut funktioniert. Montags- und dienstagsvormittags findet hier der Deutschunterricht von „Mehr als Deutsch“ statt, am Mittwochnachmittag öffnet das „Café Welcome“, ein Angebot der Kirchen in Eschweiler, seine Türen und seit Kurzem hat das Aachener „Café Zuflucht“ eine Zweigstelle im Haus.
Die Nachfrage ist groß, nicht nur wegen der Familien aus der Ukraine, die seit dem Frühjahr vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Eschweiler geflohen sind. Zu den Menschen, um die sich die Ehrenamtlichen von „Mehr als Deutsch“ kümmern, zählen Menschen unter anderem aus Syrien, Afghanistan, Iran, Irak, Libanon, Aserbaidschan oder Ghana. „Eine große Gruppe sind neben den Menschen aus der Ukraine Familien, die vor Erdogan aus der Türkei geflohen sind“, berichtet Wolfgang Rüsges.
Das Spektrum reicht von Menschen mit Hochschulabschluss bis zu Analphabeten, Menschen mit keinerlei Deutschkenntnissen oder schon einem sprachlichen Grundstock. „Man weiß nie, wer an den einzelnen Tagen kommt. Man muss sich jedes Mal neu auf die einstellen, die da sind“, beschreibt Christine Zittel, eine der Ehrenamtlichen. Das sei schon eine Herausforderung, aber auch das, was es ausmache. Sie lernten voneinander und miteinander. Das reicht davon, jemandem Sprach- und Grammatikkenntnisse zu vermitteln, mit denen man durch den deutschen Alltag kommt, bis hin zur Hilfe beim Verfassen anspruchsvoller Texte in Deutsch zum Beispiel für Ausbildung oder Studium.
Auf Wunsch der Teilnehmenden gibt es seit einigen Wochen auch mehrere Gesprächskreise, um das Sprechen zu vertiefen. Sie dienen jedoch auch dem Austausch und dem Kennenlernen. „Da sitzen dann Menschen aus ganz verschiedenen Nationen zusammen und diskutieren über aktuelle oder Themen, die sie beschäftigen, auch über Politik“, beschreibt es Wolfgang Rüsges. Darüber entsteht ein Gemeinschaftsgefühl. In Eschweiler gibt es keine Bevorzugung einer Geflüchtetengruppe vor der anderen. Hier sind alle Menschen mit unterschiedlichen Geschichten und Traditionen, aber dem gemeinsamen Wunsch, in Deutschland zur Ruhe zu kommen und hier ein Stück Heimat zu finden.
Spürbar war dieses „Wir-Gefühl“ und auch die Offenheit und Neugier auf den jeweils anderen beim „Fest der Nationen“, zu dem „Mehr als Deutsch“ und das „Café Welcome“ am letzten Oktoberwochenende in und um das Pastor-Zohren-Haus herum eingeladen hatten. „Wir hätten gerne gemeinsam gekocht, aber das geht wegen der Pandemie ja noch nicht. Deshalb haben alle jetzt Speisen aus ihrer Heimat mitgebracht“, berichtet Wolfgang Rüsges. Daraus ist ein buntes Buffet entstanden, dem begeistert zugesprochen wird. Außerdem haben die Teilnehmenden Musik aus ihrer Heimat mitgebracht. Schnell summen alle bei einem ukrainischen Volkslied mit oder klatschen zu Liedern aus der Türkei.
Essen und Musik seien sehr verbindend, sagt Demet Jawher-Özkesemen, Eschweilers Integrationsbeauftragte. Sie ist froh, dass es Angebote wie „Mehr als Deutsch“ oder „Café Welcome“ gibt. Die Ehrenamtlichen leisteten, wozu sie als offizielle Stelle nicht immer die Zeit und die Möglichkeiten hätten. „Sie bereichern Eschweiler mit ihrem Engagement.“ Das gelte auch für die Menschen aus anderen Kulturen, die Unterstützung brauchen, aber umgekehrt auch viel zu geben haben.