Ayse Berdibey erinnert sich noch gut, wie alles anfing. „Das war 2014. An Heiligabend haben wir noch einen halben Tag geöffnet“, erzählt die Friseurmeisterin. Sie fragte bei ihren Kundinnen, was diese so am Abend vorhätten. Und war erschrocken über die Antworten: „Die meisten waren alleine.“
Die Kinder konnten nicht kommen oder der Partner war verstorben. Also zog Ayse Berdibey los, besorgte noch ein paar Kleinigkeiten und startetete eine Besuchsrunde bei den Damen. „Eigentlich wollte ich immer nur etwa eine halbe Stunde bleiben“, erinnert sie sich. Doch es brauchte länger: „Gleich bei der ersten Dame, die ich besucht habe, wurde es über eine Stunde. Sie hatte sich eine kleine Flasche Sekt aufgemacht, ein Butterbrot geschmiert, den Fernseher angestellt und eine Kerze angezündet. Und das war bei allen, die ich besucht habe, so. Das hat mir so wehgetan, dass ich heulend nach Hause gegangen bin.“ Gemeinsam mit ihrem Mann beschloss sie: „Nächstes Jahr mache ich eine Feier für diese Frauen.“
Ayse Berdibey ist in Duisburg geboren. Ihre Eltern kamen aus der Türkei. 1988 kam sie nach Grefrath, begann in dem Friseurgeschäft, das sie jetzt führt, ihre Ausbildung. Viele ihrer Kunden kennt sie lange. „Es berührt mich, wenn ich sehe, dass es ihnen nicht gutgeht.“ Für den Namen gab einer ihrer Herrenkunden den Impuls. „Ich sagte, es müsste eine Feier sein, die den Menschen die Augen leuchten lässt.“ Das sei doch ein guter Name für die Feier, fand er. Der „Abend der leuchtenden Augen“ war geboren.
„Wir haben bei der katholischen Pfarrgemeinde gefragt, ob wir das Cyriakushaus mieten können.“ Zum ersten Abend kamen rund 15 Gäste. Es gab ein Drei-Gänge-Menü und ein kleines Geschenk für jeden. Den ersten Abend finanzierte Ayse Berdibey selbst und verzichtete im Vorfeld auf Werbung. „Es hat sich im Lauf der Jahre weiterentwickelt. Ich bekomme viel Unterstützung, auch Spenden, Sachspenden oder Geldspenden. Viele Ehrenamtliche helfen bei der Organsiation oder übernehmen einen Fahrdienst“, erzählt Ayse Berdibey. Eine Grefratherin backt seit neun Jahren – seitdem es den Abend gibt – Plätzchen für die Gäste. „Dafür bin ich sehr dankbar und auch ein bisschen stolz auf alle, die helfen“, sagt sie.
Auch während der Corona-Pandemie hat Ayse Berdibey versucht, die Veranstaltung weiterzuführen: „Allerdings nicht in Präsenz. Wir haben das Essen dann zu den Menschen gebracht.“ 2025 feiert der „Abend der leuchtenden Augen“ sein zehnjähriges Jubiläum. Für die 53-Jährige ist es damit auch Zeit, das Projekt langsam in andere Bahnen zu lenken. In diesem Jahr zieht die Feier vom Cyriakushaus in die Villa Girmes nach Oedt, in Grefrath ist das eine bekannte Location für Hochzeiten und andere Feiern. Die Villa wurde Anfang des 20. Jahrhunderts vom Kommerzienrat Johannes Girmes anlässlich des 25-jährigen seines Unternehmens, der Teppichmanufaktur „Johannes Girmes & Co. KG“, erbaut.
Neu mit im Boot beim „Abend der leuchtenden Augen“ ist daher auch Alyssa Klaßen, die Tochter der Inhaberfamilie. Langfristig, erzählt Ayse Berdibey, soll sie die Organisation des Abends federführend übernehmen. Ayse Berdibey will dann kürzer treten, „aber ich helfe im Hintergund noch mit.“ Sie freut sich, dass sie in Alyssa Klaßen eine Mitstreiterin gefunden hat, die den Abend weiterführen will.
Wenn Ayse Berdibey über den Abend erzählt, ist ihr anzumerken, wie viel ihr die Feier bedeutet. „Die Gäste sind toll. Und die menschliche Nähe ist wichtig. Es wird auch viel umarmt an dem Abend. Ich sehe, dass es ihnen gefällt und dass sie glücklich sind, das ist das Schöne daran.“
Gefragt, ob sie sich an einen Abend besonders erinnern kann, antwortet sie: „Gleich der erste Abend, den ich organisiert habe. Ich hatte eine Dame, die im Pflegeheim lebte, dazu eingeladen. Es war eine der Damen, die den Ausschlag gaben, das überhaupt zu machen. Doch ihr Geundheitszustand verschlechterte sich und sie hat den ersten Abend leider nicht mehr miterlebt. Ich habe die erste Feier ihr gewidmet.“ Und ein anderer Gast ist Ayse Berdibey in Erinnerung geblieben. „Die Dame war blind. Doch sie war so ergriffen, dass sie immer gesagt hat, wie wunderschön das alles sei.“
Dass es auch im ländlichen Raum immer mehr Menschen gibt, die alleine leben – 2022 waren es laut Statistischem Bundesamt 20,1 Prozent der Bevölkerung – überrascht Ayse Berdibey nicht. „Irgendwann kommt es dazu. Die Kinder ziehen weg, die Partnerinnen und Partner sterben. Wir werden insgesamt älter. Dann ist man irgendwann allein.“ Doch sie stellt fest, dass es zunehmend auch jüngeren Menschen, den 40- bis 50-Jährigen, so geht. Ayse Berdibey erinnert sich an einen Mann, der bei ihr anrief: „Seine Frau war kurz vor Weihnachten verstorben und er fragte, ob er auch kommen könnte.“ Bei ihren Gästen gibt es daher keine Begrenzung. Wer kommen möchte, ist willkommen.
Ayse Berdibey
Bereits im Juni, Juli beginnen die ersten Planungen. Die heiße Phase der Organisation beginnt im November: Die Fahrdienste werden organisiert, „am Donnerstag haben wir ein Treffen wegen der Geschenktüten, die noch besorgt werden müssen“, erzählt Ayse Berdibey. Hat sie schon einmal gezählt, wie viele Stunden der Organisation da zusammenkommen? Sie überlegt, sagt dann: „Einiges bestimmt, aber wenn ich damit Menschen glücklich machen kann, dann ist es mir das wert.“
Rund 30 Gäste haben sich für dieses Jahr schon angemeldet. Einen Anmeldeschluss gibt es in dem Sinne nicht. „Wir haben schon oft erlebt, dass Menschen angerufen haben, die zuerst andere Pläne hatten und es dann doch nicht geklappt hat. Da soll niemand alleine bleiben“, sagt Ayse Berdibey. Gerade an Weihnachten, das für viele ein wichtiges Fest ist: „Auch ich finde, Weihnachten ist die schönste Zeit in Deutschland. Alles ist geschmückt, die Lichter, das versöhnt damit, dass es sonst kalt und dunkel ist.“ Für sie ist auch wichtig, dass alle an dem Abend an einem Tisch sitzen: Gäste und Helferinnen und Helfer. Wer möchte, kann sich auch für den folgenden Tag noch etwas meitnehmen. „Wir kochen immer etwas mehr.“
„Das war für viele interessant, dass ich, eine Muslima, ein Weihnachtsfest ausrichtet“, erzählt sie. Doch für sie geht es nicht um Religion oder Konfessionen, sondern um Menschlichkeit: „Wir sind alle Kinder Gottes, egal, wie wir ihn nennen.“
Dafür müsse man eigentlich auch kein Fest ausrichten. Oft wären es schon Kleinigkeiten, die helfen, zum Beispiel für jemanden einkaufen gehen. Doch es freut sie, dass der „Abend der leuchtenden Augen“ gut ankommt und in anderen Orten Nachahmer gefunden hat: „Da habe ich Anrufe bekommen von den Organisatoren, die nach Tipps gefragt haben.“
In gut zwei Wochen wird es wieder soweit sein. Die Gäste werden sich an festlich gedeckten Tischen niederlassen. Es wird gutes Essen geben, alle werden einen gemütlichen Abend miteinander verbringen. Und sicher wird es auch wieder leuchtende Augen bei den Gästen geben. Ayse Berdibey freut sich schon darauf.
Anmeldungen zum „Abend der leuchtenden Augen“ in der Villa Girmes in Oedt sind noch möglich, bei Ayse Berdibey, mobil: 01 51/21 28 75 16 oder bei Alyssa Klaßen, mobil: 01 73/6 95 64 78.