Zerrissenheit und Unsicherheit im Angesicht einer ungewissen Zukunft kennzeichnen die Debatte um den Tagebau Hambach. Dieselben Eigenschaften treffen auch auf Morschenich und die katholische Gemeinde St. Lambertus zu. Wo führt der Weg hin, jetzt, da die Kirche geschlossen ist? Mitte Juni ist die Kirche in Morschenich wegen des Braunkohle-Abbaus entwidmet worden. Seither sind Dorf und Kirche verwaist. Was aber ist mit den Kirchenschätzen, dem Inventar?
„Das ist unsere Kirche. Was davon übriggeblieben ist“, erklärt Pfarrer Andreas Galbierz, nachdem er die Pforten aufgeschlossen hat. Der Blick fällt auf den in Plastikfolie eingepackten Ambo neben dem Altar. „Wir sind beim Umzug. Einige Sachen sind schon weg. Einige Kisten sind schon gepackt, die noch nach Merzenich gebracht werden“, fügt der Gottesmann hinzu. Aber nicht alles lässt sich so einfach mitnehmen wie die Muttergottes-Skulptur, die bereits auf einem Steinsockel in Merzenich thront. „Einiges muss vom Steinmetz weggenommen werden“, meint Galbierz, „vor allem dieses Relief. Das ist unser Patron, der heilige Lambertus.“ Es ist wohl das älteste Schätzchen in der Kirche und stammt aus dem 12. oder 13. Jahrhundert. „Das wird in der neuen Kapelle eingemauert.“
Ähnliches ist mit dem Wandtaufbecken vorgesehen, das im Kirchenvorraum von St. Lambertus in das Mauerwerk eingelassen ist. Im neuen Gotteshaus wird das Becken wohl eine andere Funktion erhalten. Ohne Messingabdeckung soll es als Weihwassergefäß dienen, damit sich am Eingang die Gläubigen bekreuzigen können. Wann die Kapelle fertiggestellt wird? „Das steht noch in den Sternen“, bemerkt der Pfarrer. Das liege vor allem am Architekten, denn das Projekt sei bis auf Kleinigkeiten eigentlich fertig. So müssten diverse Aufträge noch einmal ausgeschrieben werden, weil von verschiedenen Firmen kaum Angebote eingegangen seien.
Glücklich scheint Andreas Galbierz darüber nicht zu sein: „Es ist unglaublich. Eigentlich wollten wir vor einem Jahr angefangen haben mit dem Bau. In diesem Jahr sollte er fertig sein.“ So, wie sich das Projekt entwickele, sei es schwer zu sagen, wie lange es noch dauere. „Ich hoffe aber, dass wir im nächsten Frühjahr mit dem Bau beginnen.“ Ein Jahr veranschlagt der Architekt für die Errichtung der neuen Kapelle. Daran hat der Pfarrer nach den jüngsten Erfahrungen so seine Zweifel.
Wenn alles klappt, werde die Statue des heiligen Lambertus, die der Dürener Künstler Herbert Halfmann 1990 geschaffen hatte, ebenfalls mitgenommen. Gleiches gilt für den Tabernakel und das Kreuz, allerdings nicht für den schweren Altar aus grünem Marmor, obwohl die Gemeinde ihn gerne in der neuen Kapelle gesehen hätte. Dem hätte aber der Architekt widersprochen. „Er war ihm zu groß“, meint der Pastor. Auch ein Kompromiss, bei dem der Altar zerschnitten und die Seiten zu einem Ambo verarbeitet werden sollten, hätten nicht zur Vorstellung des Architekten gepasst. Stattdessen sollte ein Findlingsstein aus dem Tagebau genommen und zu einem Altar geformt werden. Der GdG-Leiter zitiert: „Seine Aussage ist immer: ‚Wir bauen kein Museum, wir bauen eine neue Kirche.‘“ Deshalb soll anscheinend nach Möglichkeit kein altes Inventar in die neue Kapelle.
Auch hinter den Fenstern des Dürener Künstlers Herb Schiffer stehen noch große Fragezeichen. Das große neben dem Altar hätte auseinandergenommen werden müssen, um in den neuen Bau zu passen. Dagegen hatte der Künstler sein Veto eingelegt. Die beiden flankierenden Fenster sowie das größere gegenüber sind aber fest für die neue Kapelle eingeplant. Die übrigen würden an ein Museum gehen. Ob dies passiert, sei allerdings noch fraglich, was wiederum an der unsicheren politischen Situation liegt. „Es ist alles noch sehr offen“, erzählt Pfarrer Galbierz. „Mit großer Wahrscheinlichkeit bleibt die Kirche stehen.“ Das Dorf werde wohl bis auf Kirche, Kindergarten und einen alten Bauernhof abgebaut. Der Bürgermeister wolle hier Forschung und Institutionen ansiedeln. Die Entscheidung könne aber nur in Absprache mit dem Eigner RWE getroffen werden.
„Wir haben die Kirche verlassen“, erklärt der Pfarrer. „Wir müssen mit den Leuten gehen, damit sie vor Ort etwas Neues haben.“ Die Gemeinde selbst hat das Dorf bereits zu etwa 99 Prozent verlassen: Einige Ältere seien ins Altersheim oder zu Verwandten gezogen, andere inzwischen verstorben. Andreas Galbierz schätzt, dass etwa 50 Prozent nach Morschenich-Neu umgezogen seien. Die derzeitige Situation sei nicht sehr befriedigend für diese Menschen, meint er. „Sie sagen ganz klar und deutlich: ‚Uns ist es lieber, wenn das ganze Gebiet wie geplant abgebaggert wird. Dann wissen wir, dass wir wenigstens nicht umsonst gegangen sind.‘ Aber das liegt jetzt bei der Politik in Berlin.“