Zukunft jetzt gestalten

Die Pandemie gibt Gesellschaft, Caritas, Christen und Kirche viele Aufgaben. Dies sagt der neue Aachener Caritasdirektor

Heutige Kinder werden ihr Leben lang die Folgen unserer aktuellen Entscheidungen und Unterlassungen tragen müssen. Werden wir dieser Verantwortung gerecht? (c) wwwpixabay.com
Heutige Kinder werden ihr Leben lang die Folgen unserer aktuellen Entscheidungen und Unterlassungen tragen müssen. Werden wir dieser Verantwortung gerecht?
Datum:
8. Juni 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 23/2021

Die Herausforderung durch Sars-CoV-2 hat auch den beruflichen Einstieg von Stephan Jentgens geprägt. Seit Januar 2021 leitet er als Direktor die Caritas im Bistum Aachen. Im Gespräch mit der KiZ blickt er nach vorn. Die Pandemie habe uns deutlich vor Augen geführt, welche Aufgaben in der Zukunft geschultert werden müssen.

Plädiert für entschlossene Konsequenzen aus den Erfahrungen der Pandemie, um die Zukunftsaufgaben beherzt anzupacken: Stephan Jentgens, seit Januar 2021 Diözesancaritasdirektor in Aachen. (c) Thomas Hohenschue
Plädiert für entschlossene Konsequenzen aus den Erfahrungen der Pandemie, um die Zukunftsaufgaben beherzt anzupacken: Stephan Jentgens, seit Januar 2021 Diözesancaritasdirektor in Aachen.

Was haben Sie in Ihren ersten Monaten als Diözesancaritasdirektor im Bistum Aachen beobachtet und gelernt?

Mit größtem Respekt erlebe ich, wie Mitarbeitende in den Einrichtungen und Diensten den Turbo eingelegt haben, um ihrem Auftrag auch unter widrigen Bedingungen gerecht zu werden. Ihr Anspruch war, dass die Bevölkerung, die sich auf sie verlässt, das auch in der Krise tun kann. Ich ziehe wirklich den Hut davor, mit welcher Tatkraft und Resilienz die Kolleginnen und Kollegen diese gewaltige Herausforderung gemeistert haben. Die Caritas ist zur Höchstform aufgelaufen. 


Doch jeder Dauerlauf muss einmal ein Ende haben. Wie sieht die Bilanz nach eineinhalb Jahren Pandemie aus?

In der Tat spüren wir hier und da ein wenig Ermüdung und Erschöpfung. Alles andere würde einen auch wundern. Wie viele andere waren wir wandlungsfähig. In der Digitalisierung haben wir einen gewaltigen Satz nach vorne gemacht. Doch wir stoßen an Grenzen der Belastung. Die Arbeitsverdichtung ist gestiegen. Das hinterlässt Spuren. Wir achten sehr darauf, dass die Qualität unserer Dienste darunter nicht leidet. Zugleich haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht mit den Veränderungen. Das braucht nun eine solide, nach vorn weisende Auswertung. Darum kümmern wir uns.

 

Wenn Sie den Blick weiten auf die Gesellschaft, wie lautet da ein erstes Resümee?

Corona hat uns gezeigt, was gut läuft und was nicht. Eine beeindruckende Solidarität haben wir erlebt, gerade auch seitens junger Menschen. Aber mit Blick auf die Bevölkerungsgruppen, die wir als Caritas besonders im Blick haben, muss ich sagen: Die Schere zwischen Arm und Reich ist noch größer geworden. Wer vor der Pandemie schlechte Chancen auf Teilhabe hatte, ist jetzt doppelt und dreifach betroffen. Spätfolgen in der Bildung, im Familienleben, in den Seelen, zum Beispiel durch Isolation und unbearbeitete traumatische Situationen, sind nicht absehbar und brauchen unsere volle Aufmerksamkeit. Da stehen auch wir als Caritas vor gewaltigen Aufgaben. Zugleich ist das Spiel, Profite zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren, auf die Spitze getrieben worden. Mich besorgt sehr, welche finanzielle Bürde wir gerade den nachfolgenden Generationen aufladen. Den Berg an Schulden, die zurzeit aufgenommen werden, müssen sie Zeit ihres Lebens abtragen. Hinzu kommt, dass wir ihre Perspektiven durch einen wenig verantwortlichen, zögerlichen Umgang mit der Klimakrise verdüstern. 

 

Was ist zu tun?

Als Teil von Kirche haben wir in der Pandemie unseren Teil zum Gemeinwohl geleistet. Und auch mit Blick auf den Klimaschutz geht die Caritas in Deutschland voran. Sie möchte 2030 klimaneutral sein. Das erfordert bereits heute entschlossenes Handeln. Dafür stellen wir im Bistum Aachen einen multiprofessionellen Beraterpool zur Verfügung, den Verbände, Einrichtungen, Dienste abrufen können. Sie beraten Verantwortliche dabei, den ökologischen Fußabddruck zu verkleinern, alle Möglichkeiten zu nutzen, Gebäude, Fuhrpark, Energiebezug und vieles mehr nachhaltig zu entwickeln. Wir haben da wie die Kirche insgesamt viele gute Möglichkeiten. Wir müssen sie nur ergreifen. 

 

Sie sprachen die Chancen und Grenzen der Digitalisierung an. Wie wollen Sie die Teilhabe an dieser Entwicklung verbessern?

Wir werden die Digitalisierung nicht aufhalten können, wir wollen es auch nicht. Wir wollen sie nur sicher, sozial und gerecht ausgestaltet wissen und unseren Beitrag dazu leisten. Der kann insbesondere darin bestehen, die Bildung der Menschen zu verbessern, die durch die gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen abgehängt werden. Die Bildungsgerechtigkeit ist in meinen Augen ohnehin eine zentrale Aufgabe für die Zukunft, um unser Zusammenleben und unsere Demokratie zu sichern. Um das gleich zu sagen: In Wertefragen, glaube ich, müssen wir uns insgesamt anstrengen, um die Gesellschaft zusammenzuhalten. Da bricht manches auseinander, was zusammengehört.

 

Wie weit geht das, was Sie für die Caritas bilanzieren, auch in Richtung Kirche?

Ich glaube, da sollte man nicht unterscheiden. Als Caritas sind wir zwar in besonderer Weise der christlichen Nächstenliebe verpflichtet, aber der Auftrag Jesu Christi geht an die gesamte Kirche. Also muss sie sich auch in den genannten Herausforderungen wie Gerechtigkeit, Digitalisierung und Klimakrise engagieren. Die Kirche trägt Weltverantwortung, und dieser muss sie gerecht werden. Das erschöpft sich nicht darin, die Caritas ordentlich finanziell auszustatten. Das wiederum ist natürlich ebenfalls wichtig. Ohne angemessene Unterstützung aus Kirchensteuermitteln können wir unsere Aufgabe nicht wahrnehmen. Das wissen alle Verantwortlichen.

 

Glauben Sie, dass Sie mit Ihren Anliegen im Bistum Aachen Gehör finden?

Ja, ich bin guten Mutes, dass die Sichtweise und die Erfahrung der verbandlichen Caritas nicht nur gehört, sondern auch berücksichtigt werden. Wir bringen uns engagiert in die Beratungen des Bistumsprozesses ein. Wir zeigen durch unser Handeln, dass Kirche in den gesellschaftlichen Herausforderungen der Zeit sprach- und handlungsfähig ist. Das wird von einem Großteil der Gläubigen und der Öffentlichkeit insgesamt sehr begrüßt. Dass christliche Werte in- und außerhalb der verbandlichen Caritas durch tätige Nächstenliebe sichtbar und erfahrbar werden, ist ein wertvoller Schatz. Den wollen wir nicht aufs Spiel setzen. Insofern gehen wir klar und zuversichtlich in die nächste Etappe von „Heute bei dir“. 

Das Gespräch führte Thomas Hohenschue.