Zeit für Dankbarkeit

Trotz Krieg und Krisen in der Welt – warum das Erntedankfest aktueller ist, als es auf den ersten Blick scheint

In vielen Gemeinden im Bistum Aachen wird, wie hier in St. Rochus Broich-Peel, Erntedank gefeiert. (c) Garnet Manecke
In vielen Gemeinden im Bistum Aachen wird, wie hier in St. Rochus Broich-Peel, Erntedank gefeiert.
Datum:
4. Okt. 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 41/2023 | Garnet Manecke

Am ersten Sonntag im Oktober wird in den Gemeinden Erntedank gefeiert. Traditionell richtet sich der Dank dabei an Gott für seine Gaben. Der Dank muss sich nicht zwingend auf die Ernte auf den Feldern beziehen. Auch im politischen und gesellschaftlichen Kontext gibt es Grund, dankbar für die Ernte zu sein.

Unsere Tradition: Erntedankfest feiern

Als erstes gehen die Kohlrabi weg. Ein kleines Mädchen hat sich Zeit genommen beim Aussuchen. Das Angebot, das da am Fuße des Altars appetitlich arrangiert ist, ist groß: Kohl, Ähren, Sonnenblumen, Kartoffeln, Rüben und Brote. Nach dem Erntedankgottesdienst in der Kirche St. Rochus Broich-Peel (Mönchengladbach) darf sich jeder gegen eine Spende davon etwas mitnehmen. Nach und nach finden Blumenkohl & Co. Abnehmer und,  der kleine Korb für das Geld füllt sich.

Auch heute noch wird in den Gemeinden das Erntedankfest gefeiert – auch wenn sich selbst in den ländlichen Gemeinden die Bevölkerungsstruktur sehr verändert hat. Viele der alten Bauernhöfe in den Dörfern sind umgebaut worden in Wohnanlagen. Die Einwohner verdienen ihr Geld nicht mehr mit der Landwirtschaft. Die ist in vielen Fällen Nebenerwerb. Vollzeitlandwirte gibt es nur noch vereinzelt. Die Tradition des Erntedankfestes am ersten Sonntag im Oktober aber wird in vielen Gemeinden nach wie vor gepflegt: Gott für seine Gaben danken. Pfarrer Albert Damblon macht bei diesem Anlass das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg (Matthäus, Kapitel 20) zum Thema seiner Predigt. „Was hat das mit Erntedank zu tun? Mit dem, was Sie sich erarbeitet haben?“, fragt Damblon in die Gemeinde. „Das Gleichnis drückt eine Hoffnung aus, die wir haben. Denn es hat ja Jahre gegeben, in denen nicht so viel hier vorne stand.“ Dann bleibe noch die Hoffnung.
„Vor Gott zählen wir, vor Gott sind wir alle gleich, von Gott bekommen wir das, was wir brauchen“, sagt Damblon. „Deshalb können wir sagen: Gott sei Dank, das ist gut so.“ Auch wenn das Fest Erntedank kleiner und stiller gefeiert wird, als das noch vor 20 oder 30 Jahren war, blieb der Kern erhalten.

Das ist auch in dieser kleinen Kirche in Mönchengladbach zu spüren. Der Gottesdienst ist sehr gut besucht, fast jede Kirchenbank ist besetzt. 40 Gottesdienstbesucher sind gekommen, denn an diesem Sonntag steht ein Priester am Altar, um mit ihnen den Gottesdienst zu feiern. Es ist festlicher als üblich. „Wir sind hier ja Diaspora“, sagt ein Gottesdienstbesucher nach der Messe. „Normalerweise gibt es hier Wortgottesfeiern. Dann kommen zehn, maximal 15 Leute.“

Mit Erntedank haben die Gläubigen auch immer ihre Verbundenheit mit Gottes Schöpfung ausgedrückt. Der Mensch sah sich als Teil der Natur, deren Ackerböden er bewirtschaftet und die ihm die Früchte seiner Arbeit zur Ernte schenkt. In Zeiten, in denen ein Großteil der Menschen hierzulande ihre Nahrung aus dem Supermarkt bekommt und der Anteil von Fertigprodukten stetig zunimmt, ist diese Verbundenheit vielfach verloren gegangen – und mit ihr das Wissen um die Bedingungen für eine gute Ernte.

Daran ändert zwar ein Erntedankgottesdienst auch nichts. Aber viele Gemeinden nutzen die Gelegenheit, darauf aufmerksam zu machen, dass es in der eigenen Stadt Menschen gibt, deren Tisch nicht gerade üppig gedeckt ist. Auch in St. Rochus Broich-Peel werden zu diesem Anlass haltbare Lebensmittel gesammelt, die später der Tafel gespendet werden.

 

Unsere Verantwortung: Die Schöpfung bewahren

Die heißen Sommer und milden Winter machen es möglich, dass Olivenbäume gedeihen können. (c) Garnet Manecke
Die heißen Sommer und milden Winter machen es möglich, dass Olivenbäume gedeihen können.

Wer alte Nachrichtensendungen aus dem Archiv holt und sie sich ansieht, kann kaum glauben, was er da sieht und hört: Schon bei der ersten Weltklimakonferenz 1979 warnten 100 Meteorologen vor den Folgen des Klimawandels. „Schneestürme, Überschwemmungen, Dürrekatastrophen: Nicht nur das Wetter, sondern das gesamte Klima scheint in Unordnung geraten“, sagt die Reporterin. Heute weiß die Wissenschaft: Es scheint nicht nur so. Die Welt ist in den Wechseljahren.

Damals warnte der Meteorologe und Klimatologe Hermann Flohn (1912–1997), Professor an der Heinrich Wilhelm-Universität Bonn, vor der Erderwärmung,  dem Abschmelzen des arktischen Eises im Meer und den damit verbundenen Folgen: Verlagerung der Klimagürtel der nördlichen Halbkugel um 500 bis 800 Kilometer nach Norden und daraus resultierend ein „wesentlich trockeneres Klima im ganzen Mittelmeergürtel“.

Heute ist gewiss: In den einstigen Sehnsuchtszielen für den Urlaub, Italien, Spanien und Griechenland, herrschten im Sommer 2023 Temperaturen zwischen 40 und 45 Grad. Im früher so kühlen und regennassen Deutschland gab es quasi Sonnengarantie – mit großen Unterschieden. Während es im Westen regelmäßig regnete, ächzte der Osten unter einer wochenlangen Dürre. Der EU-Klimawandeldienst Copernicus bescheinigte dem Sommer 2023, weltweit der heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen 1940 zu sein.

Vor Ort ist der Klimawandel nicht nur an Hitze, Dürre oder Fluten zu erkennen. In den Gärten wachsen Pflanzen, die vor 20 oder 30 Jahren hierzulande keine Chance gehabt hätten. Der Niederrhein war viele Jahre für seine grauen Novembertage berühmt. Nun könnte er bald als neues Weinbaugebiet Furore machen. In Geldern rechnet ein Jungwinzer mit dem ersten Jahrgang im Jahr 2024. In Mönchengladbacher Kleingärten machen Hobby-Weinbauer erste Erfahrungen mit Frühburgunder, Weißburgunder und Gutedel. Auch mit Riesling wird experimentiert.

Das Insektensterben ist eines der großen Probleme für die  Ernährungssicherheit. Ohne Insekten gibt es keine Bestäubung und Ernte. (c) Garnet Manecke
Das Insektensterben ist eines der großen Probleme für die Ernährungssicherheit. Ohne Insekten gibt es keine Bestäubung und Ernte.

Bei Obst und Gemüse gehören Zucchini, Paprika und Auberginen hierzulande schon lange nicht mehr zu den Exoten in den Nutzgärten. Relativ neu ist aber, dass auch Feigen, Kiwi und Artischocken gedeihen. Sogar Olivenbäume haben mittlerweile gute Chancen, schadlos zu überwintern, wie der Garten des B.-Kühlen-Quartiers in Mönchengladbach zeigt.

Kann man dieser Entwicklung noch etwas Positives abgewinnen, wird es bei anderen Phänomenen kritisch. Das Insektensterben ist eines davon. 40 Prozent der Insektenarten seien weltweit vom Aussterben bedroht, warnt der World Wide Fund for Nature (WWF). Um 76 Prozent sei die weltweite Biomasse aus Insekten zurückgegangen. Die Ursachen dafür reichen von der Versiegelung der Flächen, dem Einsatz von Pestiziden bis hin zu Monokulturen und Lichtverschmutzung.

Auch Regionen wie der Tagebau Garz-weiler fördern das Insektensterben, denn in den großen Kohlegruben ist nur noch Sand übrig – für Insekten ist das kein Lebensraum. Was das Fehlen der Insekten bedeutet, konnten in diesem Jahr die Apfelbauern erleben: Ausgerechnet, als die Bäume blühten, war es im Bistum Aachen zu kalt für die Insekten. „Sie sind nicht geflogen und wenn es keine Befruchtung gibt, dann gibt es auch keine Früchte“, sagt Brigitta Szyska, Geschäftsführerin der Naturschutzstation Wildenrath. Das Ergebnis: 2023 zählt zu den schlechten Apfeljahren.

Wieder dafür zu sorgen, dass Insekten einen Lebensraum bekommen und die Populationen wieder ansteigen, ist das Ziel des Vereins „Heimat blüht auf“ in Erkelenz. Im November 2020 hatte er sich zuerst als Initiative gegründet. Die Mitglieder wollten 
einem Bauern helfen, der einen Blühstreifen anlegen wollte und nicht wusste, wie er das machen sollte. So entstand das erste Kinderblühfeld, das durch Patenschaften finanziert wurde. Heute betreut der Verein 40000 Quadratmeter Blühfläche in den Regionen Heinsberg und Linnich.

Der Verein schließt Kooperationen und leistet in vielen Aktionen Aufklärungsarbeit, berät und informiert Landwirte, Unternehmen und Privatleute. War das Interesse zu Beginn noch sehr groß, lässt es nun allmählich wieder nach – auch bei Familien mit kleinen Kindern. „Die Eltern erreichen wir nur über die Kinder“, sagt Andrea Jacobson, Sprecherin von „Heimat blüht auf“.

In Zusammenarbeit mit dem Katholischen Forum für Erwachsenen- und Familienbildung Mönchengladbach und Heinsberg bietet der Verein Fortbildungen für Erzieherinnen und Lehrer an. Schulen und Kindertagesstätten beteiligen sich an den Aktionen, im September hat der Verein Vertreter aus Stadt, Wirtschaft und Gesellschaft zu einem Netzwerktreffen eingeladen. Das Insektensterben sei eine noch größere Katastrophe als der Klimawandel, sagt Jacobson. Dabei nimmt sie ausdrücklich auch die Kirchen in die Pflicht. „Die Kirchen könnten Land zur Verfügung stellen, um Blühfelder anzulegen“, sagt sie.

Unser Ziel: Frieden schaffen

Die Europäische Union ist eines der größten Friedensprojekte der Welt. (c) Nico Roicke/unsplash.com
Die Europäische Union ist eines der größten Friedensprojekte der Welt.

Fast 80 Jahre ist es her, dass der letzte Krieg, der von Deutschland ausging, ein Ende nahm. Seitdem hat sich das Land gewandelt und die Chance genutzt, die die Alliierten den damaligen Kriegstreibern boten. Die, die selbst die Welt in Schutt und Asche gelegt hatten, konnten ihr Land aufbauen und zu einer Demokratie formen. Mehr noch: Deutschland begann, wieder eine führende Rolle in Europa einzunehmen und war 1949 Gründungsmitglied des Europarats, zu dem auch England, Frankreich, Belgien und Italien gehörten. Das Ziel der Gründungsväter war es, den Frieden in Europa zu sichern. Zwei Weltkriege erschienen ihnen genug.

Der Europarat war mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die 1957 gegründet wurde, der Vorläufer der Europäischen Union: eines der größten Friedensprojekte in der Welt. Mit dem Fall der Mauer und der deutschen Einheit 1989 erntete Deutschland die Früchte der jahrzehntelangen Friedensarbeit. In dieser Hinsicht ist auch der Tag der deutschen Einheit, an dem an die Ereignisse von 1989 erinnert wird, ein Erntedanktag.

Dass der Zustand des friedlichen Miteinanders nicht selbstverständlich ist, erleben die Enkel und Urenkel der Gründergeneration gerade angesichts des Kriegs in der Ukraine. Frieden ist Arbeit, und wer ihn weltweit will, muss im eigenen Umfeld anfangen. Zum Beispiel in den Tagescafés für Obdachlose: das Plattform der Caritas in Aachen, der Tagestreff des SKM in Rheydt oder der Treff der Emmaus-Gesellschaft in Krefeld. Hier finden Menschen, die am Rand der Gesellschaft stehen, neben einer warmen Mahlzeit und Möglichkeiten zur Körperpflege auch immer ein offenes Ohr und Zuspruch.

An vielen solcher Orte von Kirche werden Menschen in Notlagen aufgefangen. Viele ehrenamtlich Helfende sorgen dafür, dass die Angebote aufrecht erhalten werden können. Was haben sie davon? Für Manuela und Gabi Brülls von Sant’Egidio ist die Antwort klar: „Freundschaft“. Seit Jahren kümmern sich die Schwestern und ihre Mitstreiter in der Gemeinschaft um geflüchtete Menschen, jene, die am Existenzminimum leben, Kinder und Senioren. So schaffen sie Verbindungen über Alters- und kulturelle Grenzen hinweg.  

Unser Problem:  Lebensmittelverschwendung

(c) Joshua Hoehne/nsplash.com

Als die ersten Erntedankfeste in der Antike gefeiert wurden, war es selbst für Bauern nicht selbstverständlich, dass sie satt über den Winter kamen. Missernten und mangelnde Lagermöglichkeiten konnten schnell dafür sorgen, dass maximal eine dünne Suppe auf den Tisch kam. Heute stellt sich die Situation in den westlichen Ländern ganz anders dar: Allein in Deutschland werden jedes Jahr elf Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, meldet das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.

Trotz dieses Überflusses gibt es auch im reichen Europa Menschen, die kaum genug zu essen haben. Weltweit leidet laut einem Bericht des Kinderhilfswerks Unicef jedes vierte Kind an Hunger. Das spiegelt sich auch in Deutschland wider. Die Lesestudie Iglu zeigt, dass jedes fünfte Kind hungrig zur Schule kommt. Das wirkt sich negativ auf die Konzentrations- und Lernfähigkeit aus. Tafeln und Sozialläden, die ihre Kunden mit kostenlosen oder sehr niedrigpreisigen Lebensmitteln versorgen, verzeichnen seit Jahren einen Anstieg der Nachfrage.

Lebensmittelverschwendung auf der einen Seite, Hunger auf der anderen: Neue Initiativen retten Lebensmittel. An öffentlichen Orten wie Stadtbibliotheken entstehen „Foodsharing“-Kühlschränke. Dort können Privatleute übrig gebliebene frische und noch genießbare Lebensmittel wie Obst und Gemüse abgeben. Menschen, die sie benötigen, dürfen sich kostenlos bedienen.

Wie groß das Ausmaß der globalen Vernichtung von Lebensmitteln ist, zeigte 2011 der Film „Taste the waste“. Ob in Japan, Deutschland, Österreich, Italien oder den USA: Der Filmemacher Valentin Thun zeigte, dass 50 Prozent der produzierten Lebensmittel den Kunden nie erreichten, sondern schon vorab entsorgt wurden: original verpackt und in bestem Zustand.