Wohnen unter Gottes Giebel – von der Kirche zum Wohnhaus

St. Norbertus ist ein Beispiel, wie Gemeinde und Architekten mit Feingefühl ein Herzstück gestalten können

Vorher: In Folge der Fusionierung der Pfarrei Johannes XXIII. stand die Norbertuskirche viele Jahre leer. Im Leerstand war sie immer wieder Ziel von Randalierern geworden.  (c) Ann-Katrin Roscheck
Vorher: In Folge der Fusionierung der Pfarrei Johannes XXIII. stand die Norbertuskirche viele Jahre leer. Im Leerstand war sie immer wieder Ziel von Randalierern geworden. 
Datum:
18. Juni 2019
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 25/2019 | Ann-Katrin Roscheck

Graffiti blitzen an den Wänden, die Fenster sind mit dicken Brettern zugenagelt und Müll stapelt sich vor dem Tor – als die Gemeinde rund um die Norbertuskirche in Krefeld im Jahr 2011 zusammenkommt, um über die Zukunft der Kirche am Blumenplatz zu diskutieren, steht das Gebäude im Krefelder Westbezirk schon einige Jahre leer. Im Jahr 2008 hatten die vier Gemeinden St. Dionysius, St. Josef, Liebfrauen und St. Norbertus als „katholische Pfarrei Johannes XXIII.“ fusioniert. Die St.-Norbertus-Kirche war daraufhin geschlossen worden. Heute ist hier wieder Leben eingezogen, denn dort, wo einst das Kreuz an der Wand hing und die Menschen Gottesdienst feierten, haben die Krefelder Architekten Hambloch 22 Sozialwohnungen geschaffen, die seit 2014 Heimat für Familien, alte Menschen und junge Krefelder darstellen. Der Umbau einer Kirche zu einem Wohnhaus hatte damals für viel Aufsehen gesorgt, war es doch das erste Projekt, das in dieser Art und Weise in Krefeld umgesetzt wurde. Spätestens seit im Rahmen des Kirchlichen Immobilien-Managements das Bistum bekanntgegeben hat, mehr als 150 kirchliche Gebäude im Bistum nicht mehr unterstützen zu können, sind Umnutzungen von Kirchen an der Tagesordnung. Im Rahmen einer Beitragsreihe stellt die Redaktion unterschiedliche Beispielprojekte vor.

Hendrik Hambloch kann sich noch gut daran erinnern, als er sich gemeinsam mit seinem Vater Heinz Hambloch bei der Gemeinde im Krefelder Westbezirk bewarb, die alte leerstehende Norbertuskirche umzubauen. „Die Menschen waren geteilter Meinung“, erzählt er. „Auf der einen Seite verbanden viele Gemeindemitglieder Erinnerungen wie die eigene Hochzeit oder die Taufe der Kinder mit der Kirche, und auf der anderen Seite bedauerte man den Leerstand und machte sich Sorgen um die Verwahrlosung des Gebäudes in der Nachbarschaft.“

 

Mehrfamilienhaus mit integrierten Sozialwohnungen fand Zustimmung

Viel Fingerspitzengefühl war bei der Präsentation der Pläne gefragt, um den Krefeldern ihre Bedenken und Vorurteile zu nehmen. „Als Architekten vergessen wir nie den ehemaligen Charakter eines Gebäudes“, betont Heinz Hambloch. „Das sollte die Nachbarschaft verstehen.“ Der Prozess dahin war lang: Schnell war klar, dass es im Viertel an Mehrgenerationen-Wohnraum mangelt. Aber auch den Wunsch der Nachbarschaft, mit der Umnutzung der Kirche weiterhin einen sozialen Treffpunkt zu schaffen, nahmen die Bauherren ernst. „Wir hatten überlegt, ein Café im Erdgeschoss zu integrieren, aber wir fanden keinen Pächter“, erzählen die Architekten. Die Idee eines Mehrfamilienhauses, das durch den Zusatz „Sozialwohnungen“ ein Zuhause für benachteiligte Menschen schafft, fand schnell Anklang und wurde letztendlich, auch ohne das Café, durch die Gemeinde bewilligt. „Das Projekt kam sogar so gut an, dass Nachbarn es sich ehrenamtlich zur Aufgabe machten, sich bei uns zu melden, wenn nachts Unbefugte auf das Baustellengelände eindrangen“, sagt Hendrik Hambloch und schmunzelt. „Eine Lobby zu haben, war ein gutes Gefühl.“

 

Wie sich der Charme des Gotteshauses im Projekt widerspiegelt

Heute, fast fünf Jahre nach Abschluss der Bauarbeiten, sind die Parallelen zur alten Norbertuskirche deutlich erkennbar: Dort, wo drei große Türen Einlass in die Kirchräume boten, lassen jetzt bodentiefe Fenster Licht in den Wohnraum ein. Der charakteristische, schrägverlaufende Giebel wurde oberhalb durch ein Staffelgeschoss erweitert, zeichnet optisch aber die Züge der Norbertuskirche nach. Die typischen Säulen der Kirche wurden nach außen gekehrt und verstärken das Obergeschoss. Und die alte Sakristei mit dem angeschlossenen Kirchturm ist zwar saniert, von außen aber fast unverändert geblieben. „Wir hatten das große Glück, dass der Bestand der Kirche unheimlich gut war“, erklärt Hendrik Hambloch. „Unsere Aufgabe war zu überlegen, wie wir innerhalb des Bestandes den kirchlichen Charme für unser Projekt nutzen können.“

Die alte Sakristei ist nun eine Hauswirtschaftsfläche geworden, und im alten Kirchturm verläuft das Treppenhaus zum Obergeschoss. Durch die aufgesetzte Etage ist der Wohnraum zwar erweitert, die Grundzüge der für den Westbezirk bedeutsamen Kirche aber nicht zerstört worden. „Es ist nicht immer einfach, da den Spagat zu schaffen“, sagt Heinz Hambloch. „Aber gerade vor Herausforderungen sträuben wir uns nicht.“ Vor dem Mehrfamilienhaus hat die Stadt Krefeld inzwischen den Wunsch nach einem sozialen Treffpunkt aufgegriffen und einen Stadtspielplatz entstehen lassen. Täglich kann man hier junge Familien mit Kindern beobachten, die sich zum Toben treffen, Senioren, die die hölzernen Bänke nutzen, um auf ihrem Spaziergang kurz auszuruhen, und Jugendliche im Teeniealter, die einen verbindenden Treffpunkt suchen. Die alte Norbertuskirche ist zwar nicht mehr in kirchlicher Hand und hier findet auch kein Gottesdienst mehr statt, der christliche Grundgedanke lebt aber weiter – und das viel deutlicher als zu dem Zeitpunkt, als die Kirche geschlossen war: Am Blumenplatz finden die christlichen Werte Nächstenliebe, Wertschätzung und Gemeinschaft im alltäglichen Leben Ausdruck.

Die Norbertuskirche vorher und Nachher

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