Wir werden nicht verloren sein

Ostern macht nichts ungeschehen. Ohnehin. Aber im Angesicht der Epidemie gibt es mehr Fragen als sonst

(c) www.pixabay.com
Datum:
6. Apr. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 15/2020 | Annette Jantzen

Es war doch so vieles schon geplant. Wir wussten, wie es werden sollte. Aber die Krankheit macht keine Osterpause, die Angst auch nicht und nicht der Schmerz. Wem ist da schon nach Feiern zumute? 

Vielen Frauen nicht, die mit zu wenig Schutzkleidung in den Krankenhäusern arbeiten. Vielen Frauen nicht, die im Drogeriemarkt kassieren, und den Frauen nicht, deren prekäre Lage nun noch verzweifelter wird. Den Frauen nicht, die im Flüchtlingslager versuchen, ihre Kinder warm und trocken zu halten. Den Frauen nicht, die damals zum Grab gingen.  Gott hat kein Wunder gewirkt. Ein Plan ist auch nicht erkennbar, und das ist wohl auch besser so, denn wäre da ein Plan dahinter, dann müsste man schon aus Gründen des Anstands sagen: Entschuldigung, Gott, aber damit bist du für mich raus. Das darfst du nicht geplant haben. Wenn du das geplant hättest, dann hättest du dich als Gott leider disqualifiziert, aber sowas von. Das ist so schon schwierig genug, nicht zu versuchen, dich zu entschuldigen angesichts des Leids, sondern auszuhalten, dass all dieses Leid von dir ermöglicht wird, weil du diese Welt so, wie sie ist, im Dasein hältst.

 

Nein, da ist kein Plan dahinter.

Nicht einmal das. Wir müssen damit zurechtkommen, dass das Leben einfach so sein kann, dass der Tod einfach so alles nehmen kann, sogar die Hoffnung. Jesu Leben war genauso offen wie jedes Menschenleben, ein Ergebnis von Umständen, Zufällen und eigenen Entscheidungen. Es endete am Kreuz, mit dem Tod der Unfreien und Ausgebeuteten, nach einer beiläufigen, zynischen Verurteilung, bei der die Beteiligten auf die Frage „Warum?“ nur die Antwort kannten „Warum nicht?“.  

 

Wir haben uns nicht vorstellen können, dass so etwas passieren könnte.

Wir wussten, dass das Leben zerbrechlich und oft genug bitter ist durch unsere Schuld oder einfach so. Aber wir hätten nicht gedacht, dass es so kommen würde. So viel Not: Himmelschreiend an den Grenzen, versteckt in Wohnungen, abgeschirmt in den Kliniken. Die Angst lässt sich von geschlossenen Türen nicht aufhalten, und niemand weiß, wie es werden wird. Wem ist da schon nach Feiern zumute?  Gott hat den Tod nicht von unseren Schultern genommen. Wer wüsste das besser als die Frauen, die damals zum Grab gingen. Sie waren dabei, als er starb, der doch ein gesegneter, ein unvergesslicher Mensch gewesen war. Und was für einen elenden Tod war er gestorben, ausgerechnet er, ausgerechnet so. Nach der Stille des Schabbat, an dem das Leben schweigt, war alles wieder in Gang gekommen. Aber es konnte nicht sein wie vorher – wie denn auch nach so viel Schmerz. 

 

Wir verbarrikadieren uns zu Hause und halten die Türen verschlossen. Aber nicht alle von uns können das.

Da sind die, die weiter zur Arbeit gehen, weil sie auf einmal systemrelevant sind. Da sind die, bei denen der Krieg keine Pause macht, im Gegenteil, denn der Stillstand macht die Grenzen noch dichter als ohnehin schon. Da sind die, die hinter den verschlossenen Türen nicht sicher sind. Schutzlosigkeit hat viele Gesichter und lässt sich immer noch vervielfachen. Da sind die Frauen, die zum Grab gehen, trotz allem.   

 

Und der Besuch am Grab: Er wurde nicht einmal ein Abschied.

Nicht einmal eine richtige Beerdigung war möglich gewesen. So hätte es nicht enden dürfen. Und ausgerechnet dieses einsame Ende, das Ende ohne richtige Beerdigung, ausgerechnet dieser Tod, zu dem Gott so tief schweigt, ausgerechnet dieser Tod ist nicht das Ende. Nicht einmal auf den Tod konnten sie sich verlassen, weil Gottes Hand selbst dort noch hinreicht, wo nichts mehr gilt außer Schmerz, Angst und Einsamkeit.  Was uns heute so vertraut ist, so siegreich und gewiss, das ist für die Frauen am Grab nicht einmal Trost. Nicht Freude, sondern umso größerer Schrecken ergreift sie. Vor Gott, der in allem mächtig bleibt. Vor Jesus, den sie gekannt hatten und der ihnen jetzt so fremd war. Vor dem Abgrund, in den er gesprungen war, ohne zu wissen, dass er auf der anderen Seite das Leben finden könnte. Vor der noch größeren Einsamkeit, so ohne Abschied. Trost und Sieg bleiben im Halse stecken, wenn der Schmerz noch so frisch ist, die Überforderung noch so allgegenwärtig, die Angst noch nicht ausgestanden. 

 

Wir hatten uns das ach so anders vorgestellt.

Vom Sieg über den Tod wollten wir singen, von Rettung und Freude, von Leben und Hoffnung. Was singen wir jetzt? Alleine, mit brüchigen Stimmen? Vielleicht ist summen zuerst einmal machbarer, leise und tastend. „Christ ist erstanden von der Marter alle. Des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein, Kyrieleis.“ Eine Melodie, die mehr fragt als jubelt. Leiser Trost statt lauter Sieg. Es ist ja nicht alles auf einmal wieder gut. Das Osterhalleluja ist nicht direkt brausend und prächtig, es ist leise und zerbrechlich wie ein erster Kuss. Oder wie ein letzter Kuss. Oder wie die unstillbare Sehnsucht nach einem Kuss. Es schmeckt noch nach Tränen, salzig und still. 

 

Der leise Trost gilt den Verletzlichsten zuerst.

Die auf keine Sicherheit setzen können, die am schutzlosesten sind, die am wenigsten ausrichten können, sie hören das Wort zuerst. Er lebt. Ihr werdet ihn sehen. Es geht nichts verloren, der Schmerz bleibt nicht ungehört, die Einsamkeit hat nicht das letzte Wort.

 

Mit Karfreitag ist nicht alles vorbei.

Und Ostern macht nichts ungeschehen. Das Osterwort erklärt nichts, nicht das Schweigen Gottes und nicht die Verletzlichkeit des Lebens. Aber da könnte eine Ahnung sein: Dass auch an diesem so stillen Ostern, in Unsicherheit und drückendem Warten, in Zukunftssorgen und namenloser Trauer sich etwas ereignen kann. Es ist tastend davon zu sprechen, denn wer wüsste besser als die, die Sterbende nicht begleiten können, weil es zu viele sind, dass es ein heikles Unterfangen ist und zu hart an der Grenze zur Unmenschlichkeit, dem Erstickungstod einen Sinn zuzuschreiben. Wer wüsste besser als die, die gerade Trauernden nicht einmal zum Trost die Hand auf die Schulter legen können, wie ungetröstet ein Besuch am leeren Grab einen Menschen zurücklassen kann. 

 

Ostern macht nicht einfach alles wieder gut.

Es gibt Dinge, die hätten einfach nicht geschehen dürfen. Dieses Jahr ist das so viel deutlicher als sonst. Wird es trotz all dem Ostern? Wird es in all dem Ostern? Es wird Ostern, wie immer. Wie noch nie. Die Frauen ließen das Grab hinter sich. Wir werden nicht verloren sein. 

 

Die Autorin ist geistliche Verbandsleiterin beim Dachverband der kirchlichen Jugendverbände, dem Bund der Deutschen Katholischen Jugend,  Diözesanverband Aachen. Außerdem ist sie als Frauenseelsorgerin in den Bistumsregionen  Aachen-Stadt und Aachen-Land engagiert.