„Wir sind ganz viele“

Zwei queere Menschen berichten, was ihnen #outinchurch bedeutet, und über ihre Erfahrungen in Kirche

(c) www.pixabay.com
Datum:
16. Feb. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 07/2022

Die Aktion #outinchurch am 24. Januar schlug hohe Wellen. 125 queere Personen, die in der Kirche arbeiten oder sich ehrenamtlich engagieren, outeten sich. Seitdem wird wieder heftig über kirchliches Arbeitsrecht und Sexualmoral diskutiert.

Das ist nicht neu. Neu sind die Qualität und die große Welle der Solidarität, die die Menschen empfangen. 110000 Menschen haben die Online-Petition „#outinchurch – für eine Kirche ohne Angst“ bereits unterzeichnet. Das gemeinsame Outing zeigt, was bisher meist ignoriert wurde: der große Schmerz darüber, von der Welt nicht so akzeptiert zu werden, wie „Gott mich schuf“. Die gleichnamige Dokumentation macht deutlich: Queere Menschen sind Teil von Kirche und Gesellschaft. Zwei von ihnen kommen hier zu Wort. Evelyn Keusen hat bei der Aktion mitgemacht, Sebastian Merkens freut sich über die Sichtbarkeit. Protokoll: Garnet Manecke

Evelyn Keusen hat an der Aktion #outinchurch teilgenommen. (c) Matthias Koß
Evelyn Keusen hat an der Aktion #outinchurch teilgenommen.

 >> Evelyn Keusen engagiert sich ehrenamtlich als Kuratin eines DPSG-Pfadfinderstammes

Ich wurde von einem Bekannten angesprochen, ob ich bei der Aktion #outinchurch mitmachen wollte. Er wusste, dass ich queer bin. Ich habe mitgemacht, weil mir als Jugendliche Vorbilder gefehlt haben. Ich wollte zeigen: Wir sind schon da. Wir sind ganz viele queere Menschen.

Ich bin asexuell. Dabei gibt es durchaus Männer, die ich sehr nett finde. Aber ich habe kein sexuelles Verlangen. Ich sehe mich nicht mit Partner an meiner Seite. Das aber ist das Ideal in Kirche und Gesellschaft. Ohne Partner hast Du nie einen Platz. Nur die heterosexuelle Beziehung wird akzeptiert, weswegen ein Freund von mir, der schwul ist, nicht heiraten kann. Das stört mich.

Lange habe ich gesagt, dass ich den oder die Richtige noch nicht gefunden hätte. Ich hatte nie das Bedürfnis, mit einem Mann intim zu werden. Erst mit Mitte 20 habe ich festgestellt, dass ich asexuell bin. Ich war in einem queeren feministischen Kreis, in dem auch queere Fragen besprochen wurden. Das fand ich interessant. Ich hatte mich immer gefragt, warum das bei mir so ist, wie es ist. Aber als Asexuelle konnte ich immer unter dem heterosexuellen Radar laufen. Ich möchte mich nicht immer wieder erklären müssen. In meinem Freundeskreis gründen jetzt viele eine Familie, sodass dies immer mehr Thema wurde.

Mit #outinchurch möchte ich zeigen: Asexuell zu sein ist auch völlig normal. Die Teilnahme war für mich in weiten Teilen ein Outing. Meine Familie, Freund*innen und die Pfadfinder*innen wussten das natürlich. Allen anderen habe ich meine Partnerlosigkeit früher mit der Arbeit für das Studium und später in der Schule erklärt. Jetzt will ich das nicht mehr. Es ist ja nicht so, dass man nicht lieben kann. Liebe hat überhaupt nichts mit sexueller Orientierung zu tun.

Ich bin Lehrerin für Mathematik und Informatik. Religionslehrerin zu werden, habe ich nie als Option gesehen. Es kam für mich nicht infrage, für eine Institution zu arbeiten, die in vielen Dingen gar nicht dem entspricht, was ich denke. Mir war schon bewusst, dass ich für die Kirche nicht arbeiten möchte, bevor ist wusste, dass ich queer bin.
Die Doku haben viele meiner Schüler*innen gesehen. Für die aus der 6. Klasse war das Gesprächsthema, dass ich im Fernsehen war. Die Kinder und Jugendlichen reden in der Pause natürlich darüber. Die Schüler*innen aus der 9. Klasse kamen mit Fragen. Die haben zum Beispiel gesehen, dass ich einen Queer-Sticker trage, und mich danach gefragt. Es gibt Schüler*innen, die sich als lesbisch geoutet haben. Die Jugendlichen sind viel aufgeklärter als viele Erwachsene. Das ist beeindruckend.

Ein Grund, warum ich in der katholischen Kirche bleibe, ist mein Engagement in der Jugendverbandsarbeit. Da habe ich eine spirituelle Heimat gefunden. Was wir bei den Pfadfinder*innen machen, ist gelebter Glaube. In der Ausbildung zur Kuratin haben wir darüber gesprochen, dass wir ja auch Vertreter*innen der Katholischen Kirche sind. Der Rückhalt durch die Pfadfinderschaft und die Lieder, die ich früher im Kinder- und Jugendchor gelernt habe, geben mir Halt und Kraft.

Es gibt sehr viele Menschen, für die Kirche ein guter Ort wäre, denen Kirche helfen könnte. Es wäre gut, Seelsorge-Angebote für queere Menschen zu schaffen. Ich glaube, das würde Kirche auch stärken können, wenn sie sich solchen Themen öffnet.

 

Sebastian Merkens freut sich über den Mut der Akteure von #outinchurch (c) Garnet Manecke
Sebastian Merkens freut sich über den Mut der Akteure von #outinchurch

 >> Sebastian Merkens arbeitet in der stationären Jugendhilfe der Caritas

Als ich die Dokumentation gesehen habe, habe ich mich sehr gefreut. Und ich habe gar nicht gemerkt, wie mir die Tränen liefen. Ich bin noch aus beruflichen Gründen in der Kirche, aber seit 2016 war ich in keinem Gottesdienst mehr. Auch Osternächte besuche ich nicht mehr. Das ist schade, weil ich die besonders gerne hatte. Der Segnungsgottesdienst von Christoph Simonsen in Mönchengladbach vergangenen Mai war eine Ausnahme. Aber ich habe gemerkt, dass das nicht mehr meine Heimat ist.

Dabei bin ich katholisch sozialisiert worden. Meine Eltern haben sich immer engagiert, meine Mutter war in der kfd, mein Vater hat mit Leidenschaft im Kirchenchor gesungen. Ich bin wortwörtlich bei den Pfadfindern aufgewachsen. Dort war es nie ein Problem, dass ich schwul bin. Ich habe es damals meinem besten Freund erzählt, und dann war das eben so. Ich habe mich immer in der Jugendarbeit engagiert, und es war für mich klar, dass ich das beruflich machen möchte.

Bei Einstellungsgesprächen habe ich immer offen angesprochen, dass ich queer bin. Immer hieß es: „Ist egal, unterschreib einfach die Loyalitätsverpflichtung. Das ist eine reine Formalität.“ Aber wenn es Probleme gibt, dann ist es plötzlich doch ganz wichtig. 
Der Bruch kam in einem Moment, in dem ich damit nicht gerechnet hatte. Ich war Leiter eines Jugendheims und hatte das Gefühl: Da bin ich gut, da gehöre ich hin. Mir wurde vorgeworfen, ich hätte Jugendliche in die Schwulenszene eingeführt. Plötzlich kamen anonyme Mails, dass ich eine Affäre mit einem Jugendlichen hätte. Aber statt den Vorwürfen nachzugehen, wurde ich aufgefordert zu gehen.

Man hat meinen Ruf beschmutzt, aber nichts zum Schutz der Jugendlichen getan. Ohne die Solidarität der Eltern und Jugendlichen hätte ich diese Zeit im wahrsten Sinne des Wortes nicht überlebt. Daraus habe ich unglaubliche Kraftreserven gezogen. Später hat mich sogar noch eine Mitarbeiterin bei der Polizei angezeigt. Im Nachhinein bin ich dankbar für die Ermittlungen, weil dadurch klar wurde, dass an den Vorwürfen nichts dran ist.

Diese Haltung, jemand ist schwul, deshalb muss man den Vorwürfen gar nicht nachgehen: Das sind die homophoben Momente in der Kirche. Diese homophobe Struktur besteht auch im vermeintlich aufgeklärten Teil der Kirche.
Es ist nicht das erste Mal, dass ich mit der Kirche in Streit über meine Sexualität gekommen bin. In einer Gemeinde hat mich der Pfarrer geoutet, in einer anderen bin ich von einem Priester vor ein Tribunal gestellt worden und aufs Schlimmste zu meiner Sexualität befragt worden. Jetzt erst habe ich über das Missbrauchsgutachten erfahren, dass dieser Priester ein Täter war.

Wir ringen immer darum, positiv anerkannt zu werden. Und jetzt 20 Jahre später festzustellen, von wem man Anerkennung wollte, macht mich wütend. Pfarrer, die nie Respekt vor anderen Leben hatten. Ich glaube, Verachtung ist das richtige Wort, um meine Gefühle auszudrücken.

Die Aktion #outinchurch finde ich unglaublich toll und mutig. Wir erleben, dass jetzt das Zentrum der Kirche geht, diejenigen, die sich immer engagiert haben. Auch ich bin für meine Verhältnisse maximal fern von der Kirche. Aber ich bin nach wie vor ein gläubiger Mensch.

Die Kampagne #outinchurch

(c) #outinchurch

Mit großer Überraschung und Hoffnung wurde in der „Community“ die Haltung des Aachener Bischofs Helmut Dieser wahrgenommen, der in verschiedenen Zeitunginterviews und auch in der ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ zur Aktion #outinchurch klar Position bezogen hatte: „Homosexuelle wurden auch durch die Kirche abgewertet und kriminalisiert. Hier ist auch ein Schuldbekenntnis fällig. Daran arbeiten wir.“  
„Für eine Kirche ohne Angst“ lautet der Zusatz von #outinchurch. Damit wird benannt, wie queere Menschen in kirchlichen Strukturen um ihre Existenz bangen müssen, wenn ihr Queersein offenbar wird. Zur ARD-Dokumentation, die noch in der  Mediathek abrufbar ist, haben die 125 Menschen, die an der Aktion teilgenommen haben, auch ein Manifest veröffentlicht. „Unsere Gruppe ist vielfältig. […] Wir alle waren schon immer Teil der Kirche und gestalten und prägen sie heute mit“, heißt es da. „Eine solche Diskriminierung ist ein Verrat am Evangelium und konterkariert den evangeliumsgemäßen Auftrag der Kirche, der darin besteht, ,Zeichen und Werkzeuge für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit‘ zu sein“, wird darin auch aus dem Lumen Gentium (I,1) des Zweiten Vatikanischen Konzils zitiert.
Die Solidarität für #outinchurch ist groß. Die Online-Petition auf change.org unter anderem zur Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts haben über 110000 Menschen unterzeichnet. Im Mai wird ein Buch zur Kampagne erscheinen.  tee/gam