Politische Verfolgung, Flucht über Jordanien und die Türkei nach Deutschland – Mahir Dhhewee hat bei allem, was er erlebt hat, seinen Mut nicht verloren. Fast vier Jahre lang konnte der 39-Jährige dann in Deutschland überhaupt nicht arbeiten. Ihm fehlte der nötige Aufenthaltstitel – bis jetzt. Ab Mitte November kann der gelernte Journalist damit endlich wieder seinem Beruf nachgehen, als Korrespondent in Brüssel und Berlin. Dorthin wird er pendeln, bleibt mit seiner Familie aber in Würselen wohnen. „Wir schaffen das“, sagt er zufrieden und lächelt.
Mahir Dhhewee ist im Irak geboren. Schon dort arbeitete er als Reporter beim Fernsehen. Die Neugier auf Menschen, deren Geschichte und vor allen Dingen Politik – das hat ihn schon immer interessiert. So berichtete er im Irak auch über Proteste gegen die Regierung, so wie das die Aufgabe eines unabhängigen Journalisten ist. Doch in einem Land, in dem die Presse dann doch nicht ganz so frei ist, wurde das zum Problem. Mahir Dhhewee geriet ins Visier der Polizei. Ein Freund, der Kontakte zum Geheimdienst hatte, warnte ihn: „Du wirst verhaftet, kommst ins Gefängnis.“
Mit knapp 27 Jahren floh Mahir Dhhewee aus seiner Heimat. Drei Jahre verbrachte er dann in Jordanien, floh schließlich weiter in die Türkei. Dort lebte er fünf Jahre, arbeitete als Reporter für die englische BBC und das türkische TRT (Radio und Fernsehen). 2019 verschärfte sich aber der Konflikt zwischen Großbritannien und der Türkei. Da Mahir Dhewwee in dieser Zeit für beide Länder arbeitete, konnte er auch dort nicht mehr bleiben.
Mitten in der Corona-Pandemie kamen er, seine Frau und seine Kinder in Deutschland an. Untergebracht wurden sie in einem Flüchtlingsheim. Zwei Jahre lebten sie dort. Ohne auch nur die Möglichkeit auf einen Sprachkurs zu haben. Dabei weiß der 39-Jährige, dass Sprache ein wichtiger Schlüssel für Integration ist. Auch arbeiten kann er nicht. „Dadurch habe ich nun eine Lücke im Lebenslauf“, sagt er. Mahir Dhewwee erzählt von Schwierigkeiten mit der deutschen Bürokratie, langsamen Verfahren und oftmals auch ablehnenden Beamten, denen er in der Ausländerbehörde gegenübersitzt. Dabei will er doch nur eines: in seinem Beruf arbeiten, für seine Familie sorgen.
Nach zwei Jahren erhielt er endlich einen ersten Deutschkurs. „Die deutschen Behörden denken oft, dass die richtige Grammatik und Aussprache schon Integration bedeutet“, sagt der 39-Jährige. Doch das ist es eben nicht, steht aber bei den offiziellen Sprachkursen im Fokus. Der Iraker suchte noch nach anderen Kursen und fand den „Deutschkurs für alle“.
So steht es am Klingelschild im Hof 7 in Aachen. Getragen und unterstützt von der Pfarrei Franziska von Aachen wird der Kurs von Ehrenamtlichen geleitet. „Das, was hier passiert, das ist echte Integration“, betont Mahir Dhhewee. Beim „Deutschkurs für alle“ werde eben nicht nur die Sprache, die Grammatik erklärt, es geht auch um Kommunikation miteinander und das Leben in Deutschland. Die Teilnehmer kommen aus der ganzen Welt: Araber, Türken, Ukrainer, Afrikaner – alle an einem Tisch. „So sollte die Gesellschaft doch aussehen: vielfältig, friedlich vereint.“ Gesprochen wird über das Leben, welche Schwierigkeiten die Menschen haben, welche Lösungen es gibt. „Ich komme nicht nur als Besucher hierher, sondern ich komme zu meinen Freunden, meiner Familie.“ Der Kontakt der Teilnehmer reicht weit über den Kurs hinaus.
Doch was macht die hitzige und bisweilen populistische Debatte über Einwanderung in Deutschland, in der auch Wörter wie Remigration und Abschiebung fallen, mit Betroffenen wie Mahir Dhhewee? Angst hat er nicht, sagt der 39-Jährige. In seiner Arbeit als Reporter hat der Iraker auch die Gräueltaten der Terrororganisation des Islamischen Staates gesehen. Dass Rechtsextremismus und Nationalismus sich in Europa, Amerika und der ganzen Welt ausbreiten, beobachtet er. Auch, dass es aus seiner Sicht quasi kaum mehr einen Unterschied zwischen CDU und AfD gebe. Statt einer Polarisierung der Gesellschaft wünscht er sich eher einen sachlichen Dialog.
In Deutschland bleiben möchte Mahir Dhhewee auf jeden Fall. „Aber das ist ja wie Heiraten: Auch das Land und die Menschen hier müssen wollen, dass ich bleibe“, sagt er. Doch er ist zuversichtlich. Seine beiden großen Töchter machen gerade ihr Abitur – warten allerdings noch auf ihren Aufenthaltstitel. Aber: „Wir schaffen das.“
Deutsch für Migranten oder „Deutschkurs für alle“, wie es am Klingelschild steht, findet montags bis donnerstags im Gemeindezentrum Hof 7 in Aachen statt. Der Kurs ist ein kostenloses Angebot, unterstützt von der Pfarrei Franziska von Aachen, für alle, die die deutsche Sprache lernen wollen, egal ob Anfänger oder Fortgeschrittene. Eine Altersbegrenzung gibt es nicht.
Die Initiative wird ehrenamtlich getragen. Derzeit leiten vier Ehrenamtler die Sprachkurse. Eine von ihnen ist Heike Ortmanns. Sie unterrichtet bereits seit fünfeinhalb Jahren. „Ich kann mir überhaupt nicht mehr vorstellen, das nicht mehr zu machen. Das Schicksal der Menschen, ihre Flucht vor Krieg und Verfolgung, lässt die Probleme, die wir in Deutschland haben, doch manchmal klein erscheinen. Das erdet mich auch selbst immer wieder“, sagt Heike Ortmanns.
Pro Tag nutzen acht bis zwölf Personen das offene Angebot. Die einzige Regel, die dort gilt: „Wir erlauben keine Ausgrenzung“, betont Heike Ortmanns. Wer sich für den Kurs interessiert, erhält weitere Infos bei Tulga Toksöz, 01 77/3 18 60 27, ttulga@gmx.de