„Wir müssen reden“

Bischof Helmut Dieser widmet sich im „Paulinus“ der Macht der Worte und dem Gespräch mit Gott

(c) Bistum Aachen/Anja Klingbeil
Datum:
21. Dez. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 51-52/2022

Im Anfang war das Wort (Joh 1,1), so beginnt der vierte Evangelist sein Jesus-Buch. Am Ende seines Werkes sagt er, er habe es geschrieben, damit die, die es zu lesen bekommen, glauben, dass Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit sie genau dadurch ins Leben gelangen, ins Leben, das von Jesus ausgeht (vgl. Joh 20, 31).

Wir Menschen sind die einzigen Geschöpfe dieser Erde, die überhaupt Worte hervorbringen können. Und das haben wir mit Gott selbst gemeinsam. Darin liegt unsere Ähnlichkeit mit Gott, um die es an Weihnachten so tief geht. Gott fängt neu an mit uns. Aber nicht, indem er das Vorherige widerruft, einstampft oder löscht, sondern indem er den Anfang von allem zum neuen Anfang der Menschen macht.

Heute, an Weihnachten, riskiert Gott etwas Neues. Sein Wort, in dem er sich selbst ausdrückt, wird Mensch.

An Jesus ist nichts Unstimmiges, Gelogenes oder Verfallendes. Jesus ist so Mensch, dass jeder Mensch jeder Epoche und Kultur ihn verstehen kann. In Jesus ist das Leben, das nicht zum Tod hinlebt, sondern zu Gott.

Deshalb aber ist dieses Menschenkind, das heute geboren ist, auch nicht beliebig, sondern für jeden Menschen wie Licht, wie ein neuer Ruf ins Leben, wie eine neue Geburt, um endlich mehr zum Leben zu kommen und immer weniger zum Tod hin zu leben.  

Was fangen wir mit ihm an?

Am besten fangen wir an, mit ihm zu reden. Und zwar, nachdem wir immer neu auf ihn hören. Denn das ist ja seine Geburt: der Anfang eines Gespräches mit jedem von uns, das sich von nun an durch unsere gesamte Existenz zieht: Ich bin wie du, sagt er. Aber viel wichtiger noch: Du bist wie ich, gleichst und passt zu allem, was du an mir findest. In mir siehst du, dass dein Leben kein Zufall ist, sondern ausgesprochen und gewollt von Gott. In mir bist du geliebt, nicht als fünftes Rad am Wagen, überflüssig geduldet oder rätselhaft unlösbar, sondern: einzigartig gewollt und angenommen wie ich, der ewige Sohn! In mir erfährst du, was aus dir werden soll: ein Mensch, der sich selbst herausrücken und verschenken kann.

Ein Mensch, der keine Angst hat vor dem Verlieren und vor dem Kaputtgehen, keine Angst vor den anderen, keine Angst vor den eigenen Abgründen: Ich bin heute in dein Fleisch gekommen (vgl. Joh 1,14), das so verletzlich, so verderblich, so vergänglich ist. Doch all das wird von heute an erfasst von mir, von meiner Geburt, von dem Leben, das aus Gott durch mich in euer Leben kommt. Das göttliche Wort in mir ist stärker als der Tod. Es hält alles Böse aus und macht ihm schließlich ein Ende.

Was fangen wir an, wenn wir anfangen, das zu glauben?

Am besten, wir fangen an zu reden, und zwar miteinander: nicht nur in unseren bekannten Kreisen und Blasen, sondern indem wir uns hinauswagen wie Gott und neue Gespräche riskieren mit Menschen und Existenzen, die uns fremd vorkommen. Wir werden überraschende neue Worte finden in altbekannten bleiernen Situationen, in denen wir bislang nur harte, abwertende Sprüche parat hatten. Wir werden neue Gespräche führen auch mit den Verstummten und den Verhärteten, die schon lange an kein gutes Wort mehr glauben können.

Keine Angst! Auch wenn wir dabei nur stammeln oder nicht recht wissen, wie so ein Anfang geht oder wohin er führt: In uns wirkt dann das Wort, das am Anfang war und heute Mensch wurde, und Gott macht seine Verheißung wahr, dass er selbst uns eingeben wird, was wir dann zu sagen haben (vgl. Lk 21,15).
Ich bin sicher: So beginnen ganz neue Gespräche unter uns Menschen, die uns retten vor Hass, gegenseitiger Vernichtung und selbstgemachtem Untergang. 
Wir werden spüren. Ja, wir Menschen können reden und wir sind ja doch – so verschieden wir auch sein mögen – allesamt Gott ganz ähnlich und seinem Wort.

Frohe Weihnachten!

 

Helmut Dieser, Bischof von Aachen