Wir können als Anker für die Welt wirken

In wenigen Tagen beginnt in den USA die zweite Amtszeit von Donald Trump. „Wir müssen uns Sorgen um die Demokratie in den USA machen“, sagt der Journalist Elmar Theveßen. Doch er glaubt auch, dass Europa ein Gegengewicht bilden kann – wenn es einig ist.

Seit 2019 ist Elmar Theveßen Leiter des ZDF-Studios Washington D. C. Theveßen war bereits von 1995 bis 2001 Korrespondent für das ZDF in den USA. (c) ZDF/Andreas Reeg
Seit 2019 ist Elmar Theveßen Leiter des ZDF-Studios Washington D. C. Theveßen war bereits von 1995 bis 2001 Korrespondent für das ZDF in den USA.
Datum:
7. Jan. 2025
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 02/2025 | Kathrin Albrecht

Am 20. Januar wird Donald Trump in Washington D. C. zum 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt. Am 5. November 2024 hatte er die Wahl gegen Kamala Harris von den Demokraten klar für sich entschieden. Trump, der in seiner ersten Amtszeit 2016 bis 2020 durch seinen erratischen Regierungsstil die Welt irritierte, will in seiner zweiten Amtszeit das System in den USA komplett umkrempeln, dafür sogar „Diktator für einen Tag“ sein. So hat er es angekündigt. 

„Make America great again” – das ist auch das Ziel von Trumps zweiter Amtszeit. (c) Natilyn-Hicks-Photography/unsplash.com
„Make America great again” – das ist auch das Ziel von Trumps zweiter Amtszeit.

Wie ist die Welt, wie ist Deutschland, wie ist Europa auf diese zweite Amtszeit vorbereitet? Die KirchenZeitung sprach mit Elmar Theveßen, Leiter des ZDF-Studios in Washington D. C. Er war für einen Vortrag zum Thema „Amerika hat gewählt – Auswirkungen für Europa und die Welt“ an das Bischöfliche Albertus-Magnus-Gymnasium in Viersen gekommen, an dem er selbst 1986 Abitur gemacht hat und dem er als Kuratoriumsmitglied der Schulstiftung immer noch verbunden ist. 

Herr Theveßen, hat Sie der Wahlausgang überrascht?

Theveßen: Ja, weil er deutlich war, zwar kein Erdrutschsieg, aber doch deutlich. Es sah im Schnitt in den Umfragen so aus, als hätte Kamala Harris ganz leicht die Nase vorn, am Ende war es doch umgekehrt. Es erklärt sich durch das Wahlsystem. In den sogenannten „Swing States“, den Bundesstaaten, die keine traditionelle Mehrheit für die Demokraten oder die Republikaner haben, können ein paar Tausend Stimmen dafür sorgen, dass der Staat komplett an die eine oder den anderen gehen. Und die sieben Staaten, in denen es sehr knapp war, gingen diesmal an Donald Trump. 

 

In Deutschland wurde die Wahl ebenfalls lange als ein Kopf-an-Kopf-Rennen empfunden und die Wahlentscheidung hat viele überrascht, sogar geschockt. Warum hatte Kamala Harris am Ende doch nicht die Nase vorn?

Theveßen: Als wir im Vorfeld der Wahlen für eine Dokumentation 9000 Kilometer quer durch die USA gefahren sind, schien die Mobilisierung bei den Demokraten – also von Tür zu Tür gehen, Leute auffordern, zur Wahl zu gehen – gut zu laufen. Aber am Ende haben 75 Millionen Menschen Kamala Harris gewählt. Vor vier Jahren holte Joe Biden noch 81 Millionen Stimmen. Das sind sechs Millionen Stimmen weniger. Das bedeutet, im Umkehrschluss sind einfach viele Demokraten nicht zur Wahl gegangen, weil sie offenbar Kamala Harris nicht für die Richtige hielten. 

 

Woran liegt das? Weil sie eine Frau oder eine Person of Colour ist?

Theveßen: Das ist eine Mischung. Es gibt tatsächlich Machos unter den weißen Männern, den Latinos und schwarzen Männern, die sich keine Frau als starke Anführerin vorstellen konnten. Dabei gibt es genug Beispiele für tolle Gouverneurinnen in den USA. Starke Frauen, die das Land auch voran bringen. Gretchen Whitmer in Michigan ist so ein Beispiel. Nach einer Studie wünschen sich 65 Prozent der Amerikaner einen starken Anführer, der bereit ist, die Regeln zu brechen. Offenbar verbinden das viele eher mit einem Mann wie Donald Trump. Außerdem hat Kamala Harris nicht klar genug vermitteln können, was sie anders machen würde als Joe Biden. 

 

Auch wirtschaftliche Fragen waren entscheidend bei der Wahl. Die guten Dinge, die die Biden-Administration angeschoben hat und die sich jetzt auswirken, wurden so nicht wahrgenommen. Woran liegt das?

Theveßen: Es ist tatsächlich so, dass die Wirtschaftsdaten super sind. Die USA haben eine Arbeitslosenquote von 4,1 Prozent, ein Wirtschaftswachstum von 3 Prozent, eine Inflation von 2,4 Prozent. Wenn wir durchs Land fahren, sehen wir auch, dass an vielen Orten etwas in die Gänge gekommen ist. Dass da, wo Industrie kaputt war, neue Fabriken entstehen, um Elektroautos zu bauen, Batterien oder Halbleiter zu bauen. Aber es kam nicht in der Breite der Bevölkerung an. Das hat auch viel damit zu tun, dass die Preise durch die Inflation der vergangenen Jahre durch die Decke gegangen sind, vor allem bei Lebensmitteln, bei Benzin und beim Mieten oder Kaufen von Häusern und Wohnungen. So hatten die US-Amerikaner das Gefühl, sie seien auf einem ganz schlechten Weg. Das hat den Veränderungswunsch so stark gemacht, dass Donald Trump mit seinen Argumenten die Wähler überzeugen konnte – man hat ihm eher die Kompetenz für die Wirtschaft zugetraut. 

 

War seine wirtschaftliche Bilanz nach der ersten Amtszeit denn so gut?

Theveßen: Durch sein schlechtes Management von Corona hat er die wirtschaftliche Situation dramatisch verschlechtert. Allerdings in der Zeit davor lief die Wirtschaft ganz gut. Man kann schon sagen, er hat in den ersten Jahren bewiesen, dass es wirtschaftlich vorangehen kann unter Donald Trump. Nur jetzt will er Steuersenkungen für die Unternehmen – nicht für die kleinen Leute, er will Strafzölle, also Handelskriege vom Zaun brechen. 

Was bedeutet das genau?

Theveßen: Wenn ich Zölle von zehn bis 20 Prozent auf alle Waren aus aller Welt und aus China 60 bis 100 Prozent Strafzölle verhänge, dann steigen die Preise in Amerika, weil die Waren knapper und teurer werden. Wirtschaftsexperten rechnen mit Preisanstiegen von bis zu 25 Prozent in den USA. Also das, was er versprochen hat, dass die Preise wieder heruntergehen, wird er nicht erreichen, sondern möglicherweise genau das Gegenteil. Seine Politik könnte in den kommenden vier Jahren die wirtschaftliche Situation in den USA dramatisch verschlechtern. 


Und die Leute sind bereit dazu, das in Kauf zu nehmen?

Theveßen: Ich glaube, sie haben es noch nicht durchschaut. Sie haben ihm abgenommen, dass das alles kein Problem ist. Dadurch würden Unternehmen wieder mehr Fabriken in den USA bauen, mehr Arbeitsplätze geschaffen, bessere Bezahlung für die Menschen gewährleistet, so dass sie ihm abnehmen, dass es trotzdem gut wird, obwohl Wirtschaftsexperten sagen, es muss schiefgehen. Ein Faktor kommt noch dazu: Er will acht bis 12 Millionen illegale Zuwanderer aus dem Land werfen, möglicherweise auch mit militärischer Gewalt, in Internierungslager bringen und in Massen deportieren. Diese Zuwanderer sind aber für die amerikanische Wirtschaft unverzichtbar, vor allem für die Landwirtschaft und die Fleischindustrie. Sein Vorhaben führt zu einem akuten Mangel an Arbeitskräften, der dann auch wieder zu einer Erhöhung der Preise führt. 

 

 >>Donald Trump will systemsprengend sein. Er ist der Auffassung, man muss das System einmal in die Luft sprengen, um es dann für die USA wieder effizienter, besser, großartiger aufzubauen.<<

Elmar Theveßen

In einem Interview mit  dem Sender NBC hat Trump auch angedeutet, er möchte das Staatsbürgerrecht dahingehend ändern, dass man zukünftig nicht mehr qua Geburt US-Staatsbürger werden kann ... 

Theveßen: Er will, dass die Latte höher gelegt wird. In den USA ist das Geburtsprinzip Tradition. Das will er jetzt abschaffen. Er behauptet, er könnte das innerhalb weniger Tage hinbekommen, per Exekutivverordnung. So hat er es im Interview angekündigt. Ich bin gespannt, was das Parlament dazu sagt und wie die Gesellschaft reagiert. 

 

Bei einem Blick auf sein nominiertes Kabinett fallen viele schillernde Persönlichkeiten ins Auge. Was steckt hinter solchen Nominierungen und haben sie eine Chance, am Ende auch bestätigt zu werden?

Theveßen: Donald Trump will systemsprengend sein. Er ist der Auffassung, man muss das System einmal in die Luft sprengen, um es dann für die USA wieder effizienter, besser, großartiger aufzubauen. Die Leute haben ihm das abgenommen, und sie scheinen ihm dafür den Freifahrtschein geben zu wollen. Darum sind in seinem Kabinett jetzt Leute – Erfüllungsgehilfen – die genau das tun wollen und teilweise extreme Ansichten vertreten.

Wie Pete Hegseth, der das Verteidigungsministerium leiten soll. Er muss sich diversen Ermittlungsverfahren wegen sexueller Übergriffe stellen. Hegseth ist der Meinung, Frauen gehören nicht ins Militär, schon gar nicht in Kampfgruppen. Oder Elon Musk, der als der reichste Mann der Welt und Berater des Präsidenten mal richtig aufräumen und sagen soll, was alles abgeschafft werden kann, um Geld zu sparen. Aber er macht auch Vorschläge, die die amerikanische Demokratie zerstören können. Zum Beispiel die direkte Unterstellung der US-Notenbank unter die Befugnis des Präsidenten. Würde das passieren, könnte der die Währungspolitik bestimmen, also wie sich die Zinsen senken und steigern lassen. Und das von einem Mann entsprechend empfohlen, der selber davon profitiert, der große Unternehmen in den USA hat, der Staatsaufträge hat. Musk hat nicht das beste Interesse für alle Amerikaner im Sinn. Und so geht es weiter, da ist Tulsi Gabbard im Gespräch, die Chefin aller Geheimdienste werden soll und die bis zu seinem Sturz beste Beziehungen zu Assad in Syrien hatte und die enge Kontakte zum Kreml und zu Vladimir Putin pflegt.

Aber es sind auch einige Personen im Kabinett, die man als relativ vernünftig bezeichnen kann. Zum Beispiel Marco Rubio als Außenminister. Er war lange Senator und hat Ahnung von dem, was er da tun muss. Oder Mike Waltz, eventuell der künftige nationale Sicherheitsberater. Er ist langjähriger Abgeordneter und hat wirklich sehr viel Ahnung im politischen Geschäft. Scott Bessent, zwar auch ein milliardenschwerer Investor, aber einer der weiß, dass es gefährlich ist, durch Handelskriege die Weltwirtschaft und auch die amerikanische Wirtschaft in Gefahr zu bringen. Vielleicht könnte er ein Stück weit mäßigend oder bremsend auf Donald Trump einwirken. Aber: All die Genannten sind große Egos, wie Donald Trump. Gerade bei ihm und Elon Musk könnte das spannend werden:  Was passiert, wenn die beiden mal unterschiedlicher Meinung sind? Wie groß wird der Streit zwischen den beiden dann werden?

Am 20. Januar wird DOnald Trump als 47. Präsident der USA vereidigt. (c) Library of Congress/unsplash.com
Am 20. Januar wird DOnald Trump als 47. Präsident der USA vereidigt.

In der ersten Amtszeit haben viele Kabinettsmitglieder das Handtuch geworfen, weil sie mit dem System Trump nicht zurecht kamen ...

Theveßen: Diese Amtszeit wird der Lackmustest für den Trumpismus. In der ersten Amtszeit gab es eine Reihe sehr guter vernünftiger Persönlichkeiten, die bereit waren, mitzumachen, weil sie mäßigend auf Donald Trump wirken wollten. Künftig sind die meisten Posten besetzt von Loyalisten. Die, auch wenn sie eigene Ideen haben, eigentlich beweisen müssen, dass sie blinden Gehorsam leisten. Danach sind die meisten ausgewählt, nicht alle, aber die meisten. Dann wird sich auch schnell zeigen, wer es überhaupt wagt, sich dem Präsidenten zu widersetzen. Wer das tut, muss gehen, so wie in der ersten Amtszeit.

Dieses Mal kommt Donald Trump mit einem Plan. Den kann man nachlesen. Das „Project 2025“ und auch ein anderes Papier, das das „America first policy Intistute“ geschrieben hat. Da kann man alles nachlesen, was die Innen-, die Außenpolitik, die Sicherheits-, die Welt-, die Wirtschaftspolitik, die Sozialpolitik, die Umweltpolitik betrifft. Und die Leute, die er ausgewählt hat, sollen diese Themenfelder abarbeiten. Und damit das auch gelingt und die Bürokratie sich dem nicht entgegenstellen kann, sollen gleich zu Beginn 50000 Regierungsangestellte durch Loyalisten ersetzt werden, damit quasi alle – ich sage es ausdrücklich mit diesen Worten – bewusst gleichgeschaltet sind und das tun, was Donald Trump im Wahlkampf versprochen hat. Das heißt nicht automatisch, dass dann alles so kommt, wie er es versprochen hat. Donald Trump ist am Ende immer noch einer, den man bei seinem Narzissmus packen kann. Wenn man ihm das Gefühl vermittelt, dass eine gemäßigte Idee seine Idee ist und damit für ihn große Vorteile verbunden sind, hat man eine Chance, ihn von Dingen zu überzeugen, die dem widersprechen, was er im Wahlkampf gefordert hat. 

Machen wir uns zu Recht Sorgen? 

Theveßen: Ja, man muss sich Sorgen machen. Vor allem deshalb, weil in dem Programm die Erosion der demokratischen Institutionen in den USA eingeschlossen ist. Das bewusste Vorhaben, das Recht des Parlamentes einzuschränken, die nach seinem Willen besetzten Gerichte für seine Zwecke einzuspannen, die Ministerien, auch das Justizministerium zu nutzen, um gegen politisch Andersdenkende vorzugehen – kurz: Wir müssen uns Sorgen um die amerikanische Demokratie machen. Jetzt kommt das einzig Positive: Der Systemsprenger Trump zwingt uns, selber einen Plan zu entwickeln. Wir müssen uns in Deutschland einen Plan überlegen, wie wir damit in den unterschiedlichen Politikfeldern in den nächsten Jahren umgehen. Ein gutes Unternehmen macht das auch so. Man hat eine Vision, dann die Strategie und dann die Maßnahmen dazu. Dummerweise haben wir das nicht. Die nationale Sicherheitsstrategie, die wir jetzt haben, ist das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt wurde, weil sie nicht priorisiert und nicht genau sagt, wie man was umsetzen will. Das Zweite: Er zwingt uns, das nicht nur auf der nationalen Ebene zu tun, sondern wir müssen es im Verbund mit den anderen Europäern auch tun. Das heißt, wir müssen es schaffen, wieder einig zu werden in Europa, denn nur gemeinsam bringen wir das Gewicht auf die Waage – wirtschaftlich, politisch, hoffentlich auch irgendwann militärisch – , um dem gegenzuhalten, was Trump in den kommenden Jahren vorantreiben möchte. 

 

Da kommt die aktuelle politische Schwäche ausgerechnet der beiden größten europäischen Staaten Deutschland und Frankreich sehr ungelegen ...

Theveßen: Das kann man so sagen. Außerdem haben wir in Ungarn und Italien rechtspopulistische Regierungen. Es ist nicht so einfach, Europa wieder zur Geschlossenheit zu bringen. Wir könnten es aber, weil wir es schon einmal bewiesen haben. Aus der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges heraus ist hier in Europa etwas entstanden, was über Jahrzehnte bewiesen hat, dass man, wenn man zusammenarbeitet, Frieden, Fortschritt, Wohlstand und Sicherheit gewährleisten kann, das nennt sich Europäische Union, erweitert kann man noch die europäischen Nato-Partner dazunehmen. Die EU ist das erfolgreichste Experiment der Menschheitsgeschichte in Sachen Demokratie. Wenn wir uns das wieder bewusst machen würden, würden wir als Europa auch wahrscheinlich mutig genug sein, das zu wiederholen: uns zusammenraufen, gemeinsam eine Strategie entwickeln und schauen, wie wir in dieser Welt, die momentan in Unordnung geraten ist, sicherstellen können, dass wir als eine Art Anker, als Stabilisator für die Welt wirken können. 

>>Trump hat den Menschen vermittelt, dass die Demokraten mit dem erhobenen Zeigefinger der moralischen Überlegenheit nur für die dollen Sachen kämpfen, wie Klimawandel und Minderheitenrechte, aber sich nicht um andere wichtige, die Lebenswirklichkeit der Menschen betreffende Probleme kümmern.<<

Elmar Theveßen

Was denkt Trump über Europa?

Theveßen: Einerseits bewundert er die Erfolge Europas über die vergangenen Jahrzehnte, auch die Erfolge Deutschlands, und gleichzeitig neidet er sie auch. Er kann es nicht ertragen, dass – zumindest in der Vergangenheit – einige europäische Länder besser dagestanden haben oder dastehen als die USA. Und er ist deshalb der Überzeugung, dass die nur deshalb besser dastehen, weil sie die USA über viele Jahre ausgenutzt haben. So argumentieren auch seine Berater, unter anderem Steve Bannon. Sie halten uns Deutschen beispielsweise die sechs Wochen Sommerurlaub, das Bildungssystem vor. Es gehe uns viel zu gut, weil wir uns auf Kosten der USA einen Lenz gemacht haben. Das ist der Ansatzpunkt, mit dem sie jetzt fordern werden, dass wir Europäer in Sachen Sicherheit für die konventionelle Verteidigung Europas weitgehend alleine zuständig sein sollen. Da reden wir nicht über 2 Prozent des Bruttosozialproduktes für Verteidigungsausgaben, sondern über 3,5 Prozent. Übrigens mit dem Verweis: „Ihr in Deutschland hattet das doch schon mal.“ Und zwar unter Willy Brandt im Kalten Krieg. Das wird sehr ungemütlich werden, und es ist möglicherweise auch verbunden mit dem weitgehenden Abzug der amerikanischen Soldaten aus Deutschland, 66 000 stehen hier und es kann sehr gut sein, dass ein Großteil davon abgezogen wird. 

 

Trump hat sich in der Vergangenheit gegenüber der Nato kritisch geäußert, auch mit Austritt gedroht. Was bedeutet ihm die Nato?

Theveßen: Er kann versuchen auszutreten, auch, wenn es dafür rechtliche Hürden gibt. Die stören ihn aber nicht. Ich glaube, er ist ein transaktionaler Präsident, einer, der immer den besten Deal machen will. Und dann dienen solche Drohungen der Einschüchterung, um den besseren Deal zu erreichen. Beispielsweise, wenn wir 3,5 Prozent unseres Bruttosozialproduktes für Verteidigung in Europa ausgeben, dass die USA dann weniger ausgeben müssen. Man muss das aber ernst meinen. Wenn Trump nicht das kriegt, was er will, dann bin ich fest davon überzeugt, dann wird er auch aus der Nato austreten. Mit unabsehbaren Folgen, und auch, wenn es Berater bei ihm geben wird, die ihm das auszureden versuchen. Denn bei einem Austritt haben die USA auch keine Helfer mehr, wenn es im Indopazifik zur großen Auseinandersetzung mit China kommt. Da brauchen die USA die europäischen Nato-Partner. Aber ich glaube, dass ihn das am Ende nicht stören wird. 

 

Putin betreibt aktiv die Spaltung der europäischen Staaten. Das macht Trump so nicht. Aber was hat er von einem gespaltenen Europa?

Theveßen: Donald Trump glaubt nicht an multilaterale Bündnisse, sondern er glaubt an bilaterale Deals. Das heißt mit einzelnen Ländern den bestmöglichen Deal herauszuschlagen. Das könnte bedeuten, dass, auch wenn die europäische Handelspolitik eigentlich in Brüssel gemacht wird, er trotzdem versuchen könnte, mit Italien oder mit Ungarn Deals zu machen, weil man da Seelenverwandte hat. Nämlich Viktor Orban und Giorgia Meloni. Wenn wir zulassen, dass da Abkommen geschlossen werden, die die Handelszuständigkeit der EU und Brüssel unterlaufen, dann sind wir erledigt. Dann hat Trump freie Bahn, weil wir Europäer dann nicht mehr geschlossen sind und er uns gegeneinander ausspielen kann. 

 

Warum ist das gefährlich?

Theveßen: Orban und Meloni wollen in ihren Regierungen beweisen, dass autoritäre Systeme erfolgreicher sind als die Demokratie. Wenn wir das weiter laufen lassen oder gar befeuern, haben wir freie Bahn für Autoritarismus rund um den Erdball, der quasi sagt, solange ich für wirtschaftliches Fortkommen sorge, sind mir die Individualrechte – Bürger- und Menschenrechte – egal. Dann ist die alte Ordnung, wie wir sie kennen, kaputt. Wir müssen diese Ordnung stärken, zugleich aber auch neu ausrichten, denn wir haben sie auch zu unseren Gunsten oft ausgenutzt. Länder wie Brasilien und Indien, die international mehr Gewicht erhalten haben, machen uns das klar: Sie wollen keine Ordnung, wo die Europäer immer nur ihre Vorteile herausholen. Wir brauchen eine Ordnung, in der fair auf Augenhöhe miteinander gesprochen wird. Das, was in der Charta der Vereinten Nationen steht, müssten wir jetzt viel ernster nehmen, als wir das in der Vergangenheit getan haben, weil das zu einer gerechteren Welt führen könnte, so wie die, die damals dieses System etabliert haben, sich das auch vorgestellt haben. Wenn wir das nicht tun, werden wir dem Autoritarismus freie Bahn lassen, wo Rechte für Minderheiten keine Rolle mehr spielen. 

 

Bekommen wir das hin?

Theveßen: Man kann pessimistisch sein, wenn man auf Europa guckt. Aber ich glaube, es nützt nichts. Wir müssen uns darauf besinnen, dass wir es schon mal geschafft haben und weil wir es schon mal geschafft haben, kann man das auch wieder hinkriegen. Es braucht dafür Politiker, die sich entschlossen an einen Tisch setzen, gerne auch mal ein, zwei Wochen wegschließen, einen gemeinsamen Plan entwickeln und die Menschen in Europa auch davon überzeugen. Wir haben ein paar Chancen verpasst, als sich der französische Präsident Emanuel Macron Berlin zugewandt hat und Berlin nicht einmal darauf reagiert hat. Es ist die Frage, ob Deutschland und Frankreich jetzt genug eigenes Elend erleben, dass eine Entschlossenheit wächst und auch eine Einsicht, dass man einen neuen Plan machen muss. Trump hat den Menschen vermittelt, dass die Demokraten mit dem erhobenen Zeigefinger der moralischen Überlegenheit nur für die dollen Sachen kämpfen wie Klimawandel und Minderheitenrechte, aber sich nicht um andere wichtige, die Lebenswirklichkeit der Menschen betreffende Probleme kümmern. Stichwort ungeregelte Zuwanderung, hohe Preise, wirtschaftliche Probleme. Trump bietet am Ende an: Er kümmert sich ausschließlich um diese Themen. Ihm sind der Kampf für Minderheiten und Klimawandel völlig egal. Ich glaube, die Wahrheit liegt in der Mitte. Es braucht Politiker, die für beides eintreten. Der Kampf um das Klima ist nichts Schlechtes, im Gegenteil, er wird diese Welt vermutlich langfristig retten. 

 

Sie sind seit 2019 Leiter des ZDF-Studios Washington, haben die letzten Monate der ersten Amtszeit Trumps miterlebt. Was für eine Gesellschaft hat Donald Trump hinterlassen?

Theveßen: Er hat geschafft, was Kellyanne Conway zu Beginn gesagt hat: Er hat die alternativen Fakten etabliert. Menschen in den USA leben teilweise in unterschiedlichen Wirklichkeiten. Das ist so extrem, dass der Blickwinkel des anderen nicht akzeptiert wird und sich beide Seiten unterstellen, dass das alles Lügen sind. Als Journalist bin ich dafür zuständig zu schauen, was wahr ist und was Lüge. Und das muss ich auch belegen. Es ist so, dass auf der Seite Trumps gelogen wird, dass sich die Balken biegen und das auf der anderen Seite in dem Ausmaß bei Weitem nicht geschieht. Natürlich hat auch Kamala Harris Dinge verbreitet, die so nicht stimmen oder die man anders bewerten muss, aber sie hat keine Lügen verbreitet. Und Donald Trump hat das, was Hannah Arendt mal als „Wahrlügen“ bezeichnet hat, im politischen Diskurs etabliert. Das bedeutet, wenn man die 
Lügen nur oft genug wiederholt, werden sie für die Wahrheit gehalten. Das ist brandgefährlich in der Demokratie, weil wir dann keine gemeinsame Grundlage mehr haben, auf der wir uns verständigen können. 

 

Werden die USA eine zweite Amtszeit von Donald Trump überleben?

Theveßen: Schwer zu sagen: Wenn er die amerikanische Wirtschaft salopp gesagt in die Grütze setzt, dann kann es sehr gut sein, dass die Nation sich mit Grausen abwendet und sich den Demokraten wieder zuwendet, wenn diese eine Alternative bieten können. Wenn er es aber schafft, dass die Leute das Gefühl haben, es läuft, müssen wir uns langfristig auf den Trumpismus, eventuell dann in Person von JD Vance, einrichten, und den halte ich noch für ein ganzes Stück gefährlicher, weil er in allererster Linie die Interessen von Multimilliardären aus dem Tech-Bereich vertritt, die ein anderes Weltbild haben. Denen schwebt vor, dass die Welt nicht von Politikern regiert werden sollte, sondern von den Bossen der großen weltumspannenden Tech-Konzerne, wie Peter Thiel, dem Gründer von PayPal, und Elon Musk, die angeblich besser wissen, was für die Welt gut ist.