Als vor gut einem Jahr rund 400 Menschen sich an den Händen haltend den Aachener Dom „umarmten“, war das ein starkes und lebendiges Zeichen für den Wunsch vieler Gläubiger nach einer geschlechtergerechten Kirche. Daran haben die katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (KFD) und die Frauenseelsorge im Bistum Aachen nun mit einer ebenso farbenfrohen Folgeaktion angeknüpft.
Eine Menschenkette in gleicher Form, das war klar, würde wegen Corona-Abstandsregeln diesmal so nicht möglich sein. Wie also den Dom erneut „umarmen“, mit
weniger Menschen und ausreichend Abstand, aber auch mit der Möglichkeit für viele, sich zu beteiligen? So entstand die Idee zu einer Wimpelkette. Gruppen und Einzelpersonen konnten sich über die Stoffwimpel mit ihren Forderungen und Statements einbringen. Die Schnüre, an denen sie befestigt wurden, sorgten für den nötigen Abstand, so dass die Zahl der Teilnehmer vor Ort coronagerecht blieb.
Eine Idee, die nicht nur bei Unterstützern und Gleichgesinnten – und das sind ganz im Sinne einer geschlechtergerechten Kirche Frauen wie Männer – aus dem Bistum Aachen großen Zuspruch fand. Gut 400 individuell gestaltete Wimpel waren vor dem Aktionstag in der KFD-Geschäftsstelle eingetroffen, darunter auch Wimpel aus den Bistümern Münster, Osnabrück Hamburg und Köln. Besonders gefreut hat die Organisatorinnen, dass sich auch die Schwestern aus Kloster Fahr in der Schweiz beteiligt haben, wo die Donnerstagsgebete für eine geschlechtergerechte Kirche ihren Ursprung haben. Sie nähten für die Aachener Kette bunte Wimpel aus Paramentenstoff, mit dem Motto der Gebetsreihe „Schritt für Schritt“. „Diese Wimpel werden wir besonders in Ehren halten“, verspricht KFD-Vorsitzende Marie-Theres Jung.
Mit ihnen wurde auch noch einmal die Verbindung zwischen der Gebetsreihe, der sich KFD und Frauenseelsorge im Bistum angeschlossen haben und die in diesem Jahr durch alle Bistumsregionen wandert, unterstrichen. Die Wimpelketten-Aktion schloss sich folgerichtig an das Donnerstagsgebet für die Region Aachen-Stadt an. Dazu versammelten sich 120 Menschen (mehr waren wegen Corona nicht erlaubt) im Dom. Wer nicht vor Ort dabei sein konnte, hatte die Möglichkeit, beim Online-Gebet per ‘Zoom’ mitzubeten. Das Gebet am Bischofssitz ist für Annette Jantzen, Frauenseelsorgerin für Aachen-Stadt und -Land, kein Widerspruch. Auch und gerade, weil die Forderungen nach einer geschlechtergerechten Kirche in der Bistumsleitung unbeliebt seien: „Beten ist Widerstand vor Gott. Wir beten im Dom, weil unser Anliegen keine Randerscheinung ist, sondern aus der Mitte der Kirche kommt. Nur mit gleichberechtigten Frauen hat unsere Kirche eine Zukunft.“ Sie seien dankbar, dass Dompropst Rolf-Peter Cremer dies möglich gemacht habe.
Dass gleichberechtigte Kirche mehr heißt, als nur die Zulassung von Frauen zu allen kirchlichen Diensten und Ämtern, verdeutlichten Annette Jantzen und Annette Diesler, geistliche Leiterin im Diözesanvorstand der KFD, in ihren Predigtimpulsen. Nach der Lesung in gerechter Sprache, die „Mann“ mit „Mensch“ ersetzte, erinnerten sie, dass Gott den Menschen als männlich und weiblich geschaffen habe und auch Jesus sich nicht nur mit zwölf männlichen Jüngern umgeben habe. Eine Kirche, die das in ihren Strukturen nicht anerkenne, habe es möglich gemacht, dass Menschen zu Opfern wurden. Das seien Wunden, die nie heilten, aber Gleichberechtigung könne ein starkes Zeichen sein, dass die Kirche umkehrfähig ist. Dafür gelte es laut zu bleiben.
Unter die Betenden im Dom hatte sich auch Aachens Bischof, Helmut Dieser, gemischt. Eine Geste, die von vielen positiv anerkannt wurde – auch wenn sie mit seiner Sicht und Position nicht einverstanden sind. Die hatte der Bischof in einem vorab verbreiteten Statement noch einmal unterstrichen: Er begrüße das gemeinsame Gebet und stimme mit Ver-
anstalterinnen, Teilnehmerinnen und Teilnehmern überein, „dass das Anliegen der Geschlechtersensibilität wachgehalten und nur gemeinsam dauerhaft verwirklicht werden kann“. Bereits heute nähmen Frauen in Pfarreien, diakonischen Diensten und kirchlicher Verwaltung Leitungsverantwortung wahr. In der Diskussion über die Zulassung zu kirchlichen Ämtern gebe es im Bistum sehr unterschiedliche Positionen. „Die Diskussion darüber wird in der Öffentlichkeit als innerkirch- licher Konflikt und nicht als Dialog wahrgenommen.“ Das berge die Gefahr der Polarisierung.
Dem setzten die Frauen (und Männer) erneut ihre Sicht und ihre Forderungen in den Aufschriften der zahlreichen Wimpel entgegen. „Gleiche Würde, gleiche Rechte“, „Wir alle sind Kirche“ oder „Gebt den Frauen eine Stimme, sonst ist es bald still in der Kirche“ war da zu lesen. „Die Toleranzgrenze ist langsam ausgereizt“, erklärte Marie-Theres Jung. „Gerade wird wieder eine Diskussion zu Leitungsämtern in der Kirche durch die Veröffentlichung der neuesten Vatikan-Vorgabe geführt. Diesmal möchten sich viele Bischöfe dieser Instruktion widersetzen. Ihnen müsste klar sein, dass sie sich genauso für das Weiheamt für Frauen einsetzen müssen, solange es noch engagierte Frauen in der Kirche gibt.“ Mit der Wimpelkette, die so bunt sein sollte wie das kirchliche Leben, ist es erneut gelungen, Flagge (pardon Wimpel) zu zeigen – für eine Kirche, in der alle gleich sind.