Unsere Welt fasziniert mit ihrer Vielfalt an Tieren, Pflanzen, Landschaften und vielem mehr. In alldem gestehen wir Gott eine große Kreativität zu – nur, wenn es um den Menschen geht, tun viele von uns sich noch schwer. Dass es mehr als nur zwei Geschlechter gibt, ist inzwischen unbestritten, doch in Gesellschaft und Alltag noch nicht angekommen oder gar selbstverständlich. Menschen, die nicht den gängigen Normen von eindeutig weiblich oder männlich entsprechen, haben kaum Chancen anerkannt zu werden. Das zu ändern, erfordert die Bereitschaft, Geschlechternormen, -rollen und -zuweisungen in Frage zu stellen.
Ein Lernprozess, an dem sich im Bistum Aachen unter anderem auch Bischof Helmut Dieser beteiligt und die bisherige Sicht der Kirche dazu hinterfragt. So heißt es im Beschluss des Synodalkreises, dem auch der Aachener Bischof angehörte: „Jedes Ding ist vom andern verschieden, keines von ihnen hat er vergeblich gemacht“ (Sir 42,24) und alle Menschen haben das Recht, sich frei und offen zum eigenen Geschlecht, der sexuellen Identität, Orientierung und Lebensform zu bekennen.“
Gleiches gilt für den Diözesanverband der kfd, der dazu mit der AG Queer im Bistum Aachen (QuiBA) zu einer interaktiven Online-Veranstaltung mit Raphaela Soden eingeladen hatte. Raphaela Soden ist non-binär, ist im Vorstand von OutInChurch e.V. und arbeitet im Erzbischöflichen Seelsorgeamt Freiburg unter anderem für den Arbeitsbereich Diversität. Im Gespräch mit Redakteurin Andrea Thomas berichtet Raphaela Soden von eigenen Erfahrungen, den Schwierigkeiten, die die Kirche mit Geschlechtervielfalt immer noch hat und wo es Anknüpfungen in der Bibel gibt.
Viele möchten trans Menschen (In der Definition von Raphaela Soden ist trans: Ein Mensch hat nicht, nicht nur, nicht ganz, nicht immer, das Geschlecht, das ihm zugewiesen wurde.) gerne wertschätzend begegnen, sind aber unsicher, wie sie sie ansprechen oder von ihnen sprechen sollen. Wie möchten Sie angesprochen werden und wie sind Ihre Erfahrungen?
Ich persönlich möchte so angesprochen werden, dass ich nicht vergeschlechtlich werde. Meist wird Herr oder Frau vor den Nachnamen gesetzt. Es hat sich im Deutschen noch keine einheitliche Regel durchgesetzt für Menschen, die keine Frauen oder Männer sind. Ich sag dann meistens, bitte Vor- und Nachname verwenden. Und, wie über mich gesprochen werden soll: keine Pronomen. Wenn es ein nicht-binäres Pronomen gäbe, das sich durchsetzen würde, würde ich es auch nutzen. Bis dahin sage ich, statt eines Pronomens bitte immer wieder meinen Vor- und Nachnamen nennen.
Da stößt die deutsche Sprache noch an ihre Grenzen.
Ja, in der deutschen Sprache ist eine Person gar nicht zu denken, die kein Geschlecht hat. Es gibt nur „Sie“ und „Er“ und als andere Option „Es“, womit aber normalerweise keine Person verbunden ist. Judith Butler (lehrt und forscht zu Gender und Queer Theorie in den USA) beschreibt, dass Geschlechter nur intelligibel – also verstehbar, lesbar, kommunizierbar – sind, wenn sie in dieses Raster passen.
Wenn man das weiterdenkt, ergibt sich daraus für mich in Bezug auf Gottesrede die Frage: Wie können wir einen persönlichen Gott denken, ohne zu vergeschlechtlichen, wenn wir diese sprachlichen Mittel nicht haben? Wie können wir mit Gott sprechen, wie über Gott sprechen, wenn wir nur die Möglichkeit haben, Personsein mit Geschlecht zu verbinden.
Insbesondere in der römisch-katholischen Kirche tun sich immer noch viele schwer, sich davon zu lösen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Als eine Begründung dafür wird gerne die Schöpfungsgeschichte angeführt. Wie lässt sich das aufbrechen?
Tatsächlich deutet das kirchliche Lehramt das Schöpfungshandeln Gottes in dem Papier über die „Zusammenarbeit von Mann und Frau in Kirche und Welt“ von 2004 so, dass Gott aus dem Chaos die geordnete Welt schafft. Gott schafft quasi Binarität, indem er eines vom anderen scheidet und immer zwei Dinge herstellt. Auf den Menschen bezogen, ist „wahres Menschsein“ demnach auch nur männlich oder weiblich. Das bedeutet, allen Menschen, die das nicht, nicht nur oder nicht immer sind, wird das „wahre Menschsein“ abgesprochen.
Aber, das ist eine bestimmte Brille, mit der darauf geschaut wird, und es ist nicht zwingend notwendig, das so aus dem Text herauszulesen. In der jüdischen Tradition gibt es auch andere Optionen und in der neuen Einheitsübersetzung steht inzwischen auch „Gott schuf den Menschen als männlich und weiblich“. Daraus lässt sich auch lesen, jeder einzelne Mensch ist sowohl als männlich als auch weiblich geschaffen worden.
Wie verträgt sich das mit unserem Glauben, dass Gott alles geschaffen hat, also auch das, was in der Schöpfungsgeschichte nicht ausdrücklich genannt ist?
Wenn wir das glauben, dann hat Gott zum Beispiel nicht nur Abend und Morgen sondern auch das Morgen- und das Abendrot geschaffen. Warum soll das beim Menschen anders sein? Es ist ja nicht so, dass wir davon ausgehen, dass Gott nur das gemacht hat, was wirklich konkret in Genesis 1 aufgezählt wird. Dieses Gegensatzpaar ist außerdem nicht durchgängig im Text. Bei den Gestirnen zum Beispiel ist nicht nur Sonne und Mond genannt, sondern da gibt es auch die Sterne. Da wird die Struktur, nach der behauptet wird, alles ist binär, schon nicht durchgehalten.
Wo Menschen allerdings an der Binarität festhalten und diese Brille nicht absetzen, ist es natürlich schwierig miteinander ins Gespräch zu kommen.
Aufbrechen lässt sich das auch durch den Blick in die Bibel, wo Menschen, die trans, inter und/oder nichtbinär sind, durchaus Anknüpfungspunkte für sich finden können.
In der Bibel kommen nicht nur Menschen vor, die nach heutigem Verständnis cis Männer oder Frauen sind. Es gibt einige Stellen, an denen zum Beispiel auch von „saris“ (hebräisch) oder „eunouchos“ (griechisch) gesprochen wird. Damit wurden unterschiedliche Menschen benannt. Unter anderem auch solche, die nicht den damaligen Normalitätsvorstellungen von Männern und Frauen entsprochen haben. In Mt 19,11f. spricht auch Jesus über „Eunuchen“ („eunouchoi“). Es gebe die, die von Natur aus so sind, andere, die von Menschen dazu gemacht wurden und solche, die sich selbst wegen der Nähe zum Reich Gottes dazu gemacht haben. Der Punkt, der für mich da wichtig ist, Jesus nimmt keine Bewertung vor. Es gibt einfach Menschen, die so sind. Und auch welche, die Gottes Reich besonders nah sind.
Dann gibt es die Josefsgeschichte im ersten Testament. Darüber gibt es verschiedene Auslegungen. Unter anderem deshalb, weil Joseph von Josephs Vater ein besonderes Kleidungsstück geschenkt bekommt. Da ist von einem „ketonet passim“ die Rede. Dieser Terminus kommt in der Bibel nur noch an einer anderen Stelle vor (2 Sam 13, 18f.) und da wird es definiert als ein Gewand, das Königstöchter trugen. Jospeh hat also ein Prinzessinnenkleid bekommen. Darin lassen sich Anknüpfungspunkte sehen für das, was wir heute mit nicht geschlechtskonformem Verhalten oder mit Transgeschlechtlichkeit bezeichnen.
Eine weitere Geschichte ist in der Apostelgeschichte die, des äthiopischen Menschen, der als erster Mensch nach Jesu Tod getauft und in die Gefolgschaft Jesu eingeschlossen wird. Er wird auch als „Eunouchos“ bezeichnet, ist noch dazu nicht-jüdisch und fremd und damit von verschiedenen Ausschlusskriterien in Bezug auf die Gesellschaft betroffen.
Auf Ihrer Webseite schreiben Sie darüber, was Sie ausmacht: „Unter anderem auch mein Glaube und meine Verwurzelung in der römisch-katholischen Kirche, die manchmal tiefer reicht, als mir guttut.“ Inwiefern?
Ja, weil natürlich immer wieder die Frage von außen kommt, aber auch in mir selbst – ich arbeite ja auch noch für Kirche – wie das denn zusammenpasst: Diese Queer-Feindlichkeit, diese Trans-Feindlichkeit in Teilen der Kirche und kirchlichen Lehre und meine Existenz, meine Erfahrung, die halt eben anders ist. Es schmerzt an vielen Stellen, weil das auch meine Kirche ist, in der ich viele positive Erfahrungen gemacht habe. Zum Beispiel in der kirchlichen Jugendarbeit, in der ich gelernt habe, dass es von Gott her okay ist, dass ich bin, wer ich bin und wie ich bin. In der Lehrmeinung und vielen Strukturen nicht mitgedacht zu sein, dass mir immer wieder – meist implizit – Botschaften entgegengebracht werden, dass es nicht okay ist, dass ich bin, wie ich bin. Das tut dann schon nicht immer gut.
Sie sind im Vorstandsteam von OutInChurch e.V. Was hat sich in Kirche und für Sie dadurch bereits verändert?
Vor #outinchurch hatte ich nicht viel Kontakt zu anderen queeren Menschen, die katholisch sind oder in der Kirche arbeiten. Das macht einsam. Durch #outinchurch weiß ich, dass ich damit nicht allein bin. Ich glaube auch, dass Dinge dadurch sagbarer und besprechbarer geworden sind, auch, wenn sie in der Lehre noch nicht geändert wurden. Ich war auch vorher „out“ und habe mich nicht versteckt bei meiner Arbeit. Aber es verändert schon, wenn Menschen sichtbar sein können. Für mich persönlich hat sich auch geändert, dass ich nicht immer die Angst haben muss: Kann ich jetzt rausgeschmissen werden, wenn ich mich weiter aus dem Fenster lehne? Es hat sich schon etwas verändert, aber es ist noch nicht so, dass queere Menschen nicht ausgegrenzt und seelisch beschädigt werden in und von Kirche. Da bleibt noch einiges zu tun – in Kirche und Gesellschaft.
Eine vielfältigere Nacherzählung der Schöpfungsgeschichte sowie weiterführende Gedanken und Denkanstöße finden sich auf der Webseite von Raphaela Soden: www.feuerfunkenflug.de/ich-bin-wer-ich-bin/
Informationen zur AG Queer im Bistum Aachen gibt unter:
www.quiba.de