„Warum glaubt ihr, behandeln wir das Thema ,Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage‘ im Religionsunterricht?“, fragt Lehrer Thomas Tillmann die katholischen Kinder der sechsten Klassenstufe des Krefelder Gymnasiums Fabritianum.
„Vielleicht, weil Jesus selbst Jude war und deswegen Toleranz für alle Religionen vermittelte?“, vermutet Philipp. „Weil Jesus gegen Ausgrenzung gepredigt hat“, wirft Nina in den Raum. Und Ben ist sich sicher: „Damit war er ja dann auch gegen Sexismus und Homophobie.“ – Jede Aussage der Kinder ist richtig, und doch ist es Tillmanns Anliegen, noch tiefer in die Materie einzusteigen. Er wirft ein Zitat aus der hebräischen Bibel an die Wand: „Gott erschuf den Menschen als sein Bild, als Bild Gottes erschuf er ihn. Männlich und weiblich erschuf er sie.“ „Das bedeutet, Gott erschuf die Menschen auch als Musikbegeisterte oder Sportler, als Menschen mit und ohne Rollstuhl, als Spätzle-Esserin oder Nudel-Liebhaber“, erklärt Tillmann. „Gott sah alles an, was er geschaffen hatte, und sah: Es war alles sehr gut. Seine Botschaft: Jeder von euch ist gut so, wie er ist.“
Seit September letzten Jahres ist das Krefelder Gymnasium eine offizielle „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“ und gehört damit zum größten bundesweiten Schulnetzwerk, das sich offen gegen jede Form von Diskriminierung, Mobbing und Gewalt einsetzt. Allein in Krefeld und Kempen-Viersen gibt es rund 15 weitere Schulen, die dieses Label tragen. „Jede Schule kann mitmachen, wenn 70 Prozent aller Menschen, die hier lernen und arbeiten, sich verpflichten, sich künftig gegen Diskriminierung an ihrer Schule einzusetzen“, erklärt Tillmann.
„Am ,Fabritz‘ ist es uns aber nicht nur wichtig, die Auszeichnung zu haben, sondern sie auch zu leben.“ Und das findet beispielsweise im Religionsunterricht statt. Die Sechstklässler sind bereits mit dem Material vertraut, das Tillmann für die Unterrichtsstunde mitgebracht hat. „Unser Schullogo auf den Regenbogenfarben zeigt zum Beispiel, dass wir als Schule bunt sind“, erklärt Jule, und ihr Mitschüler Noah ergänzt: „Wir akzeptieren jede Kultur, jede Herkunft und auch jede Art der Liebe. Die Farben stehen für LGBT.“ Auch ein buntes Stück Seil, das Tillmann hochhält, können sie erklären. „Als wir als Schule ausgezeichnet wurden, haben wir eine Menschenkette mit einem 1500 Meter langen Seil am Rhein gemacht“, schildert Leonas. „Aus dem Seil werden jetzt Armbänder und Haarbänder gemacht, damit wir auch nach der Aktion zeigen, dass wir uns gegen Diskriminierung einsetzen.“
Zum ersten Mal hat Tillmann heute ein neues Buch mit in den Unterricht gebracht. „Die Mädchenbibel“ steht darauf mit großen Lettern geschrieben. Erneut fragt der Lehrer die Kinder nach ihrer Vermutung über die Bedeutung des Buchs, und Simon weiß die Antwort: „Viele Frauen und Mädchen tragen in der Bibel noch nicht einmal einen Vornamen, sondern werden einfach nur als Weib oder ,Töchter von‘ betitelt. Das Buch hebt das bestimmt auf.“ Richtig – auf fast 270 Seiten erzählt die Autorin explizit die biblischen Geschichten aus der Sicht von Frauen und Mädchen und gibt ihnen dadurch eine Identität.
„Auch die Bibel ist damit ein bisschen sexistisch“, beschreibt es Tillmann. „Es ist wichtig, dass wir darüber sprechen und uns für diese Themen sensibilisieren.“
Für den Religionslehrer, der selbst mit einem Mann verheiratet ist, ist dieses Anliegen ein Herzensprojekt. Gemeinsam mit anderen Protagonisten aus dem Kollegium setzt er sich immer wieder dafür ein, dass Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage auch im klassischen Lehrplan vorkommt. „Wir veranstalten zum Beispiel Projekttage oder haben eine AG integriert, aber selbst im Mathematikunterricht könnten wir Textaufgaben so verändern, dass eben nicht die Mutter Äpfel und Birnen einkauft, sondern das Rollenbild durch die Verwendung des Vaters aufgebrochen wird“, erklärt er. „Als Schule haben wir die Chance, aber auch die Verantwortung, die Kinder und Jugendlichen auf dem Weg zur Toleranz zu begleiten.“
Immer wieder lassen Schülerinnen und Schüler ihre leeren Pfandflaschen einfach im Klassenraum liegen und ärgern damit Lehr- und Reinigungskräfte. „Warum also nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen?“, dachte sich das Team rund um Schule-mit-Courage-Lehrerin Kim-Sophie Grebe am Berufskolleg Viersen und initiierte in Kooperation mit dem gegenüberliegenden Getränkemarkt eine Pfandflaschen-Sammlung.
Seit letzten Herbst stehen im Berufskolleg Viersen nun drei große Sammeltonnen, in denen die Schule Pfandflaschen für den guten Zweck sammelt. „Wir haben uns vorerst entschieden, den Erlös an die Amadeu Antonio Stiftung [benannt nach einem der ersten Todesopfer rechtsextremer Gewalt in Deutschland] zu geben, die auch im ,Schule mit Courage‘-Netzwerk immer wieder genannt wird“, erklärt die Lehrerin. „Wir können uns aber auch vorstellen, nach einer Testphase eine lokale Organisation zu unterstützen.“ Bisher beteiligt sich die Schülerschaft gut: Ein voller Flaschensack geht pro Woche für die gute Sache zur Pfandstation.
Die Schülerschaft des Erasmus-von-Rotterdam-Gymnasiums Viersen nahm sich zum Todestag von George Floyd vor, Opfern rassistischer Gewalt und Diskriminierung zu gedenken, aber mit der Aktion „Ein Viersen gegen Rassismus – Erasmus vs. Racism“ auch aktiv gegen Ausgrenzung und Rassismus vorzugehen. Lange planten sie dafür unter anderem den „,Black Lives Matter‘-Ballontag“ und entwickelten ein eigenes Logo, Flyer, Plakate und Banner, um in einer großen Aktion biologisch abbaubare Ballons in Gedenken in den Himmel zu schicken. Einige Ballons legten beacht-liche Strecken zurück: Nach Viersen
kamen sogar Antworten aus Belgien und den Niederlanden zurück.
Gemeinsam mit dem Kommunalen Integrationszentrum zogen die Schülerinnen und Schüler außerdem in Kleingruppen in die Viersener Innenstadt. Dabei trugen sie stolz ihre Pullover mit dem eigenen Logo „Ein Viersen gegen Rassismus“ und gingen ins Gespräch mit Passanten.
Nicht immer trafen sie dabei auf offene Ohren und waren herausgefordert, sich gegen Alltagsrassismus einzusetzen. Darauf waren sie vorab gut vor-bereitet worden, denn während des Schuljahrs gab es unterschiedliche Workshops, die sich zum Beispiel mit dem Thema „Stammtischparolen, Rassismus und Alltagsrassismus: Was kann ich dagegen tun?“ auseinandersetzten.