Wie plötzlich das Geld ausgeht

Aus vielen Gründen kann eine Familie in Not geraten. Der Sozialstaat hilft, aber nicht immer ausreichend

Die Sozialpädagogin Miriam Keutgen begegnet den Ratsuchenden wertschätzend, offen und konstruktiv. So gehen Scham und Scheu verloren und lässt sich gut über die Schwierigkeiten reden. (c) Caritas Eifel
Die Sozialpädagogin Miriam Keutgen begegnet den Ratsuchenden wertschätzend, offen und konstruktiv. So gehen Scham und Scheu verloren und lässt sich gut über die Schwierigkeiten reden.
Datum:
16. Dez. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 51/2020

Im Bistum Aachen stecken abertausende Familien in wirtschaftlichen Nöten. Die sozialstaatlichen Netze greifen nicht immer so rasch oder umfassend, wie es die akute Situation erfordert. Gut, wenn es Wegbegleiterinnen wie Miriam Keutgen gibt. Die Sozialpädagogin der Eifeler Caritas berät und unterstützt Hilfesuchende einfühlsam und unbürokratisch. Manchmal mangelt es den Familien auch einfach nur an ein paar Euros, wie sie im KiZ-Interview erzählt.

In welchen Situationen kommen die Menschen zu Ihnen in die offene Sprechstunde?
Das ist so vielfältig, wie das Leben nun mal ist. In den meisten Fällen geraten die Familien unverschuldet in Schwierigkeiten, zum Beispiel durch eine schwere Erkrankung oder durch einen unerwarteten Verlust der Arbeitsstelle. Auch Trennung und Scheidung spielen häufig eine Rolle, wenn eine soziale Schieflage entsteht. Manchmal hat sich eine Situation schleichend entwickelt, bis der Leidensdruck so groß ist, dass man zu mir in die Beratung kommt. Manchmal brennt aber auch von einem Tag auf den anderen die Hütte und ich bin als Feuerwehrfrau gefragt, die hilft, den Brand unter Kontrolle zu kriegen. Die meisten kommen mit einer gewissen Scham und Scheu. Das legt sich aber rasch, denn ich begegne allen wertschätzend, offen und konstruktiv. Was außerdem die meisten verbindet, sind große Existenzsorgen: Wie geht es weiter?

 

Sie helfen Brände löschen. Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Vieles ist in unserem Sozialstaat bereits gut geregelt, aber manches ist auch zu verbessern. Es gibt Ansprüche auf Transfergelder, wenn jemand die Arbeit verliert, zuwenig verdient, um die Familie zu ernähren oder auch nur die Wohnung zu finanzieren. Das Problem ist allerdings, dass es gar nicht so einfach ist, an diese Gelder zu kommen, die einem vom Gesetz her zustehen. Das fängt mit den Formularen an, die man ausfüllen muss, kleinteilig und kompliziert. Bei diesen Anträgen kann ich helfen, fülle mit aus. Oft geht es in der Beratung auch um Fristen, die man einhalten muss oder die man versäumt hat, um zeitig Ansprüche geltend zu machen. Es gibt viele knifflige Details, die einen ohne das entsprechende Fachwissen rasch überfordern können. Zumal die meisten Ratsuchenden in einer Situation zu mir kommen, in der viele Probleme auf einmal sich bündeln. Dann helfe ich sortieren, was am dringlichsten ist und wie man es am besten anpackt.

 

Wenn Sie als studierte Sozialpädagogin die Anträge mit auf den Weg gebracht haben, ist dann alles in Ordnung?
Leider ist es nicht so einfach, wie es von der Theorie her sein müsste. Ich erlebe immer wieder falsche Bescheide seitens der Behörde. Manchmal stelle ich auch fest, dass Ermessensspielräume zu Ungunsten der Ratsuchenden ausgelegt werden. Über Einsprüche und Aushandlungen geht wertvolle Zeit verloren, die viele Familien nicht haben. Sie wissen wegen des Verlusts des Einkommens oft nicht mehr weiter. Es geht buchstäblich darum, dass der Kühlschrank noch gefüllt ist und die Kinder etwas zum Anziehen haben. Diese unmittelbare Not erlebe ich zurzeit gehäuft, denn Menschen verlieren in Folge der Corona-Krise ihre Zeitarbeitsplätze. Die Ämter brauchen zu lange, bei allem Bemühen, um die Hilfsanträge zu bearbeiten. In dieser Zeit stehen die Familien im Regen. Im schlimmsten Fall droht ihnen der plötzliche soziale Abstieg, wird ihnen zum Beispiel der Strom abgestellt oder gar die Wohnung gekündigt.

 

Fragen wir weiter. Wenn also die Anträge gestellt sind, die Bescheide richtig sind, die Transfergelder aufs Konto kommen – ist dann alles okay für die Familien?
Sagen wir es mal so: Sie kommen dann an das Geld, das ihnen von Rechts wegen zunächst einmal zusteht. Aber es gibt auch hier Unterschiede, wie die Behörden das Recht auslegen. Und das kann einen gravierenden Unterschied ausmachen, ob eine Familie mit dem Geld über die Runden kommt oder auch nicht. Zum Beispiel gibt es die Frage der Mietstaffelung: Wie groß oder wie teuer darf die Wohnung sein, in der eine leistungsbeziehende Familie lebt? Und wird die Miete also vollständig vom Amt übernommen oder muss die Familie einen Abschlag selbst finanzieren aus dem Regelsatz? 70 Euro haben oder nicht haben zählt hier viel.

 

Kommt es häufig vor, dass Ratsuchende bei Ihnen vorbeikommen, die schlicht und einfach und ganz akut kein Geld mehr in der Haushaltskasse haben? 
Ja, das kommt häufiger vor, als man denkt. Die Leute drehen erst einmal jeden Cent hin und her, prüfen jede Ausgabe, halten sich im Konsum zurück. Aber irgendwann geht es nicht mehr, und sie haben kein Geld mehr, um sich etwas zu essen zu kaufen. Ein klassischer Auslöser für die Situation ist zum Beispiel, dass die Waschmaschine kaputt geht. Da muss ein gebrauchter Ersatz her, denn die Wäsche für eine Familie mit drei Kindern kann man nicht mit der Hand waschen. Oder das alte Auto muss repariert werden. Ohne Fahrzeug geht es in manchen Eifelgemeinden einfach nicht, das tägliche Leben einer Familie zu organisieren. Auch hier gibt es wieder Unterschiede zwischen den Ämtern und Sachbearbeitern. Die einen gewähren ein Darlehen, die anderen lehnen dieses ab und berufen sich auf die Gesetzesgrundlage, dass Bezieher von Sozilalleistungen für solche Situationen Geld von ihrem Regelsatz ansparen müssen. Das ist aber aus meiner Sicht völlig unrealistisch, dafür ist der Regelsatz zu niedrig bemessen. 

 

Der Staat hilft, aber es reicht nicht. Was können Sie in dieser Situation tun? 
Ich höre genau zu, bespreche mit den Menschen, ob alle Möglichkeiten der Hilfe ausgeschöpft sind. Wenn es an Geld für Kleidung oder Schuhe fehlt, etwa für Teenager, die ständig wachsen, dann gucken wir auch mal in die Caritas-Kleiderkammer oder organisieren Dinge günstig aus Sozialkaufhäusern. Wenn aber alles nicht weiterhilft, dann prüfe ich sorgfältig, was ansteht, und organisiere Geld für die Familie. Manche Spendenorganisationen leisten auf Antrag Hilfe. Und mit der Caritas-Kinderhilfe haben wir einen starken Partner im Bistum Aachen, der uns Gelder für eine unbürokratische Direkthilfe bereitstellt. Auf diesen Familienhilfefonds greife ich zurück, wenn alles andere nicht hilft. So gelingt ein Ausweg aus der akuten Not. Dafür sind alle Beteiligten dankbar, mich eingeschlossen.

 

Das Gespräch führte Thomas Hohenschue. Wie im Frühsommer in der KiZ angekündigt, spendet der Einhard-Verlag 12 000 Euro an die Caritas-Kinderhilfe. Dieses Geld kommt den Familienhilfefonds in allen Regionen des Bistums Aachen zugute. Es stammt aus Mitteln, die durch die Umsatzsteuersenkung im zweiten Halbjahr nicht an den Staat weitergereicht werden mussten.