Wie kann die Integration in Kommunen gelingen?

(c) Michael Esser
Datum:
17. Juni 2025
Von:
Aus der Kirchenzeitung, Ausgabe 20/2025 | Stephan Johnen

Fluchtmigration ist ein Streitthema in der öffentlichen Diskussion. Einerseits wird sie für 
viele Missstände verantwortlich gemacht, andererseits herrscht Fach- und Arbeitskräftemangel.  

Aus dem „Wir schaffen das“ der Merkel-Jahre ist gefühlt immer mehr ein „Es reicht, wir sind überfordert“ geworden. Knapper Wohnraum, fehlende Kita-Plätze oder Kriminalität – Fluchtmigration ist schnell als vermeintliche Ursache ausgemacht. Doch ist es wirklich so einfach?

„Es gibt jede Menge Beispiele, wo Flüchtlingsintegration nicht gut oder gar nicht funktioniert. Aber es gibt auch jede Menge Beispiele – und wahrscheinlich auch viel mehr – wo sie sehr gut gelingt. Über diese Beispiele möchte ich berichten, damit sie anderen Kommunen und Menschen als Anregung dienen können“, erklärt Journalist Michael Esser. Seine wichtigste Erkenntnis: „Den entscheidenden Unterschied macht aus, wie man selbst die Lage beurteilt, ob man glaubt, dass es zu schaffen ist, oder eben nicht.“ Doch dazu später mehr.

 

Zum Nachlesen: Die von Michael Esser beschriebenen Good-Practice-Beispiele für Integrationsmaßnahmen stammen aus der aktuellen Publikation „Von Arbeit bis Zusammenleben – Wie Flüchtlingsintegration in Kommunen gelingen kann“ (Verlag Bertelsmann Stiftung, ISBN  978-3-86793-998-0, 18 Euro). (c) Bertelsmann-Stiftung
Zum Nachlesen: Die von Michael Esser beschriebenen Good-Practice-Beispiele für Integrationsmaßnahmen stammen aus der aktuellen Publikation „Von Arbeit bis Zusammenleben – Wie Flüchtlingsintegration in Kommunen gelingen kann“ (Verlag Bertelsmann Stiftung, ISBN 978-3-86793-998-0, 18 Euro).

Der in Herzogenrath lebende Journalist und Sachbuchautor hat sich aufgemacht, um im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung Beispiele in der Republik zu suchen, wo trotz allgemein ungünstiger oder gar widriger Rahmenbedingungen Integration gelingt. Mit dem Band „Von Arbeit bis Zusammenleben – Wie Flüchtlingsintegration in Kommunen gelingen kann“ möchte die Stiftung den Blick auf das (Streit-)Thema erweitern, um den Diskurs zu versachlichen und sich auf die Lösung der Probleme zu konzentrieren.

Neben einer Analyse von Professor Dietrich Thränhardt, wie es um die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten steht, geht es eben auch um Good-Practice-Beispiele vor Ort sowie überregionale Ansätze. Richtig gelesen! Ganz bewusst ist nicht von „Best-Practice-Beispielen“ die Rede. „Es läuft ja auch in den ausgewählten Beispielen nicht alles reibungslos. Aber es läuft gut“, sagt Michael Esser.

Die Rundreise führte ihn von Krefeld vor der Haustüre, wo er unter anderem die Arbeit des Kommunalen Integrationszentrums beschreibt, die Seiteneinsteigerberatung vorstellt, die jungen Geflüchteten eine Perspektive aufzeigen soll, und ein Interview mit der Integrationsbeauftragten Dr. Silvia Fiebig geführt hat, durch acht weitere Städte von der Ostsee bis in den Schwarzwald.

Esser: „Überall habe ich Menschen getroffen, die einen großen Sinn darin sehen, dass sie sich für die Integration engagieren.“ 

Ein Leitsatz für die Lektüre der Beispiele könnte die Aussage einer Ukrainerin sein, die Michael Esser in Krefeld kennengelernt hat: „Integration fängt bei den Unterschieden an – und arbeitet auf die Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten hin.“

Die wichtigste Grundlage, warum an manchen Orten die Integration besser gelingt als an anderen, ist für Michael Esser die „Haltungsfrage“, sozusagen das Mindset. „Schon bei den Gastarbeitern haben sehr viele gedacht: Die gehen wieder zurück. Da müssen wir uns nicht drum kümmern.“ Die Lösung der Probleme hieß dann „Nicht-Beachtung“ oder gar Hinwendung zu vermeintlich wichtigeren Themen. „Das war damals die falsche Einstellung, das ist auch heute die falsche Einstellung“, sagt der Autor, dessen Recherchen zeigen: „Überall da, wo sich die Kommunen wirklich mit positiver Einstellung um Integration kümmern, läuft es besser.“

Die Behauptung, Deutschland sei kein Einwanderungsland, sei ebenfalls eine Täuschung. Wer also nur reagierte, anstatt mit eigenen Konzepten um die Ecke zu kommen, mag schnell ins Hintertreffen geraten sein. „Spätestens seit dem 30-jährigen Krieg ist Deutschland ein Einwanderungsland“, spitzt Michael Esser es bewusst zu.

„In Zeiten von Fachkräfte- und Personalmangel ist Deutschland bekanntlich auf die Zuwanderung aus Drittstaaten angewiesen“, betont auch der Politikwissenschaftler Professor Dietrich Thränhardt in seinem Beitrag „Chancen besser nutzen. Die Arbeitsintegration der Schutzsuchenden aus der Ukraine.“ Die mitunter hohen Qualifikationen der ukrainischen Schutzsuchenden seien jedoch kaum genutzt worden.

„Umso größer ist nach mehr als zwei Jahren die Enttäuschung. Sie verleitet einzelne Politikerinnen und Politiker zu extremen Rückführungsforderungen“, analysiert der Wissenschaftler. Seine Frage: „Warum ist es nicht gelungen, die gut ausgebildeten ukrainischen Schutzsuchenden mehr in Arbeit zu bringen?“ Kurzum: Ob Anerkennung von Berufsabschlüssen oder Führerscheinen (bei Berufskraftfahrern) oder beim Angebot von Qualifizierungsmaßnahmen: In Deutschland geschah – anders als in vielen Nachbarländern – lange Zeit nichts beziehungsweise viel zu wenig. Und dies, obwohl die oft als starr und überbordend bezeichnete Bürokratie der Europäischen Union mit zahlreichen Ausnahmeregelungen schnellere und unkomplizierte Verfahren ermöglichte.  

Kaum überraschend ist daher, dass viele Good-Practice-Beispiele genau diese Themen aufgegriffen haben: Es sind Beispiele, in denen Initiativen und auch Behörden ganz gezielt in die Beratung und das sogenannte „Empowerment“ von Geflüchteten einsteigen, um schulische, berufliche und soziale Perspektiven aufzuzeigen – auch abseits der ausgetretenen Pfade und linearen Schul- und Ausbildungsbahnen. Besonders erfolgreich gelingt Integration offenbar in Kommunen, in denen Zivilgesellschaft und die öffentliche Verwaltung Hand und Hand zusammenarbeiten.

„Ohne Zivilgesellschaft funktioniert das nicht. Aber es läuft auch nicht ohne die öffentliche Hand. Nur wissen beide Seiten das manchmal nicht“, will Michael Esser das Bewusstsein dafür schärfen, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Die Leistung der Kommunalverwaltungen angesichts der immer neuen Aufgaben und Herausforderungen dürfe nicht unterschätzt werden. Gleichzeitig seien viele privat und spontan organisierte Hilfsangebote, die oftmals passgenaue Lösungen bieten, auf Dauer kaum ohne öffentliche Unterstützung aufrechtzuerhalten. „Werden die Bedürfnisse nicht gegenseitig erkannt und das Engagement anerkannt, kann dies auf beiden Seiten zu gesteigerter Frustration führen“, warnt Michael Esser. Letztlich sei es eine Frage der (Um-)Organisation – auch um sich für potenziell weitere Fluchtbewegungen zu wappnen.

Seine Beispiele zeigen auch, es ist nicht immer eine Frage des Geldes, ob und wie nachhaltig Hilfsangebote etabliert werden können. Ebenso wenig lässt er das Argument gelten, die Kommunen seien per se überlastet. „Das ist ein Thema, bei dem alle die Wahrheit zu kennen glauben. Aber es gibt bis heute keine repräsentative, bundesweite wissenschaftliche Untersuchung. Es gibt sicher Kommunen, die nicht mehr können, während anderen noch viel gelingt.“

Auf der Reise durch Deutschland begegneten dem Journalisten neben Optimismus und Pragmatismus vereinzelt auch blanker Rassismus und klare Ablehnung. Dazu Michael Esser: „Ich habe den Eindruck, dass man trotz vieler guter Beispiele überall auch immer Vorbehalten begegnet, die keine richtige Grundlage haben, sondern sich vor allem aus Argwohn nähren. Wenn es irgendwo ein Problem gibt, weil die Nachbarn laut sind oder den Müll nicht richtig trennen, kann man miteinander reden und eine Lösung finden, notfalls auch mal durchsetzen. Aber dass so oft Ausgrenzung, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus zutage treten ist sehr ernüchternd und enttäuschend. Integration ohne Probleme geht nicht, das muss man sehen. Wir müssen dann eben für die Lösungen sorgen.“

Stuttgart

(c) Michael Esser

Ankommen in der Stadt und in der Gesellschaft: Berufskoordinatorin Lea Würschum und Dr. Fazli Doğan vom Ausbildungscampus Stuttgart helfen jungen Zugewanderten bei der persönlichen und beruflichen Entwicklung. Viel Unterstützung kommt aus dem Ehrenamt.

Potsdam

(c) Michael Esser

Vom Baubeschluss bis zum Bezug in wenig mehr als einem Jahr – die neuen Wohnkomplexe (vorne) im Potsdamer Stadtteil Schlaatz. Möglich machte das – neben vorliegendem Baurecht – unter anderem die Modulbauweise. Containergroße Module werden je nach Bedarf zu verschieden großen Wohnungen zusammengesetzt. Die Unterkünfte sind nicht nur für Geflüchtete bestimmt, sondern auch für Alleinerziehende, Bedürftige und andere Gruppen.

Eschwege

(c) Michael Esser

Das Möbelangebot im Sozialkaufhaus des Vereins „Eschwege hilft“ im Werra-Miessner-Kreis wird stark genutzt. Charly Montag, Polizeioberkommissar a. D. und Lokalpolitiker, ist Sprecher des Bürgervereins.

Freiburg

(c) Michael Esser

Im früheren Telekom-Zweckbau ist das Jobcenter Freiburg untergebracht, das sieben verschiedene Ämter und Dienststellen unter einem Dach bündelt: von der Ausländerbehörde über Asylbewerber-Leistungen bis zu Wohnen und Integration. Auch ein Kompetenz-Center für Geflüchtete ist dort untergebracht.

Gelsenkirchener „Kinderstube“

(c) Michael Esser

Ein Gruppenfoto vor dem Polizeiauto gehört zu jedem Kinderstuben-Besuch der Polizeihauptkommissarin Christina Kleine dazu. Regelmäßig steuert sie die Kinderstuben an, kommt mit Kindern, Eltern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern  ins Gespräch. In vielen Herkunftsländern der Geflüchteten ist das Konzept der Polizei als „Freund und Helfer“ unbekannt.