„Wie geht es weiter?“

Notfallseelsorgeteams bieten Schulter und Ohr für die betroffenen Menschen in den Hochwassergebieten

Bilder zerstörter Heimat tragen die Menschen auch in sich. (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Bilder zerstörter Heimat tragen die Menschen auch in sich.
Datum:
27. Juli 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 30/2021 | Dorothée Schenk

Mit Generalvikar Andreas Frick war Rita Nagel, Koordinatorin der Notfallseelsorge im Bistum Aachen für die Region Aachen Land in Schleiden, Kall und Gemünd unterwegs.

Gemeindereferentin Rita Nagel, Koordinatorin in der Notfallseelsorge. (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl
Gemeindereferentin Rita Nagel, Koordinatorin in der Notfallseelsorge.

Sie sind gut sichtbar, die Einsatzkräfte in der Notfallseelsorge: mit lila Westen bekleidet. Die Menschen an den Hilfsgüterausgabestellen, an den Essensausgaben und in den Straßen der betroffenen Hochwasserorte der Eifel und im Aachener Land erkennen die Männer und Frauen sofort, die ihnen als Beistand gesandt sind. Und das Angebot wird genutzt, weiß Rita Nagel aus eigener Erfahrung. „Die Menschen sprechen uns an; eher abends, wenn die Arbeit getan und sie müde sind, als tagsüber.“ Gut eine Woche nach der zerstörerischen Flut sind allmählich die drängendsten Aufräumarbeiten getan. Die Häuser sind leergeräumt. „Jetzt ist das Warten angesagt, und es ist Platz für Gedanken und die Gefühle, die dazugehören“, beschreibt es die Notfallseelsorgerin. „Bereits jetzt ist eine unendliche Trauer, Verzweiflung und auch Wut spürbar. Viele haben Angehörige, Freunde oder gleich ihre gesamte Existenz verloren. Traumata entstehen. Helferinnen und Helfer sind psychisch und körperlich am Ende“, fasste es Generalvikar Andreas Frick zusammen.

Die Seelsorge hat gerade erst ihren Anfang genommen. Zuerst kommt der Schmerz über den Verlust. Menschen hätten ihr Hab und Gut verloren, einige besäßen nur noch, was sie am Leib trügen. „Zum Teil landete das ganze Leben im Container: Fotoalben waren nicht zu retten, Erinnerungsstücke sind verloren – die Vergangenheit ist weg. Wenn man sich so überlegt, was man so sammelt: Bilder von den Kindern, die sie gemalt haben, als sie klein waren.“ Dann käme immer wieder die Frage: „Hätte man das verhindern können? Hätte man nicht. Aber die Frage ist verständlich.“

Opfer einer Katastrophe zu sein, ist nicht einfach. Zu dem Verlust der emotionalen Heimat kommt aktuell die Angst, die Heimat in Form der eigenen vier Wände zu verlieren. Fragen, die Rita Nagel begegnet sind, lauteten: „Ist das Haus noch zu retten? Was ist aktuell zu tun? Und: Wie soll das gehen mit dem Wiederaufbau? Wie geht es weiter?“ Die nackte Existenzangst treibt Menschen um.

Angst ist das vorherrschende Gefühl nicht nur bei den Betroffenen, die das ganze Ausmaß der Zerstörung erfahren haben. „Erlebt zu haben, sich nicht mehr im eigenen Haus sicher zu fühlen, weil man sich so ausgeliefert gefühlt hat, das wirkt nach“, schildert Rita Nagel die emotionale Lage der Menschen. Alleine eine Meldung der Wettervorhersage, dass für das Wochenende unwetterartige Regenfälle erwartet würden, lasse die Angst oft sofort zurückkehren.

Diese Erfahrungen in den besonders zerstörten Gebieten und mit dem Leid der Betroffenen gehen auch an den eingesetzten Notfallseelsorgerinnen und -seelsorgern nicht spurlos vorüber. Um Zeit zuhaben, die Bilder und Gefühle zu verarbeiten, ist das Team in mehrere Schichten eingeteilt. Außerdem erhält es Unterstützung durch ein Kriseninterventionsteam aus Norderstedt bei Hamburg, aus Mülheim und aus Viersen, zählt die Koordinatorin auf. „So eine Situation haben wir noch nicht erlebt – und vor allem nicht so flächendeckend“, sagt Rita Nagel. Ihr ist anzuhören, wie die Eindrücke in ihr arbeiten, wenn sie fast fassungslos ergänzt: „Da ist so viel zerstört.“

Natürlich stehe auch für das Notfallseelsorgeteam eine Supervision an. Die muss aber warten. „Etwas tun zu können, den Menschen beistehen zu können, ist es, was uns aufrecht erhält. Wir tun, was wir können: ein offenes Ohr anbieten, auch mal eine Schulter, und sind damit eine emotionale und seelische Entlastung. In den meisten Fällen ist das hilfreich.“

Neben den erschütternden Momenten gibt es aber auch Bereicherndes: „Besonders berührt hat mich die Welle der Hilfsbereitschaft, wie Menschen Unterstützung beim Aufräumen und Ausräumen bekommen haben, wie bei völlig Fremden mit angepackt und unterstützt wurde, aber auch die Nachbarschaftshilfe untereinander, das Zusammenstehen.“  Die Notfallseelsorge im Bistum Aachen hat für Betroffene eine Hotline geschaltet. Sie ist erreichbar unter 02 41/4 01 57 91.

Konkrete Hilfe aus dem Bistum Aachen  angekündigt

Andreas Frick, Generalvikar des Bistums Aachen, hört den Opfern der Hochwasser-Katastrophe vor Ort zu. (c) BIstum Aachen/Andreas Steindl
Andreas Frick, Generalvikar des Bistums Aachen, hört den Opfern der Hochwasser-Katastrophe vor Ort zu.

Als Direkthilfe plant das Bistum Aachen einen Nothilfefonds in zweistelliger Millionenhöhe, teilte Generalvikar Frick mit. Die Caritas begänne zudem in der kommenden Woche mit der Auszahlung von Hilfen, die in den Kirchengemeinden, katholischen Einrichtungen und regionalen Caritas-Anlaufstellen über Formulare beantragt werden könnten. Auf Sachspenden solle verzichtet werden. „Was aber gebraucht wird, sind Kühlschränke, Trocknungsgeräte, Waschmaschinen und Herde,“ sagte Generalvikar Andreas Frick nach dem Ortstermin in der Eifel. 

3 Fragen an Bernhard Stenmans, Leiter des Fachbereichs Bauen und Denkmalpflege im Bistum Aachen.

Bernhard Stenmanns (c) Bistum Aachen/Andreas Steindl

Wie viele Kirchen im Bistum haben Hochwasserschäden davongetragen?
Nach heutigem Stand sind etwa 50 Gebäude mit 19 Kirchen betroffen. Dazu gehören fünf Kirchen in und um Stolberg mit St. Mariä Himmelfahrt im Zentrum. Schwer betroffen sind unter 
anderem auch St. Kornelius in Kornelimünster und Kirchen in der Eifel. In St. Johann Baptist in Blankenheim-Dollendorf ist wohl ein Teil des Fundamentes unterspült. Hier ist wahrscheinlich die Statik betroffen. 

Müssen Kirchen geschlossen werden?
Um eine sichere Aussage tätigen zu können, fehlt uns noch der Überblick. Die Kollegen vom Fachbereich Bau und Denkmalpflege versuchen gerade, sich vor Ort einen Überblick zu verschaffen. Wir erstellen jetzt erst eine Analyse. Es geht neben der Statik auch um Schadstoffe, die durch die Flut in die Gebäude hineingespült worden sind. Die Schäden müssen erfasst werden, und es muss geprüft werden, welche Konsequenzen Schadstoffe, Schlamm und Feuchtigkeit auf die Ausstattung und das Mauerwerk haben werden.

Gibt es Finanzhilfen für die betroffenen Gemeinden speziell für die Bauwerke?
Für jedes Gebäude kann über den Fachbereich Versicherungen 10000 Euro pro Gebäude adhoc abgerufen werden, um erste Schäden oder Untersuchungen angehen zu können. Das ist unkompliziert möglich: Es müssen Fotos, eine kurze Schadensbeschreibung und Rechnungen eingesandt werden. Dann wird die erste Nothilfe gewährt. Ob wir noch ein gesondertes Budget für die hochwassergeschädigten Gemeinden auflegen, kann erst entschieden werden, wenn weitere Prüfungen erfolgt sind.

Das Gespräch führte Dorothée Schenk.


Auskunft zur Versicherung erteilt Marion Roos, Telefon 02 41/45 24 67 oder marion.roos@bistum-aachen.de.