Mit Generalvikar Andreas Frick war Rita Nagel, Koordinatorin der Notfallseelsorge im Bistum Aachen für die Region Aachen Land in Schleiden, Kall und Gemünd unterwegs.
Sie sind gut sichtbar, die Einsatzkräfte in der Notfallseelsorge: mit lila Westen bekleidet. Die Menschen an den Hilfsgüterausgabestellen, an den Essensausgaben und in den Straßen der betroffenen Hochwasserorte der Eifel und im Aachener Land erkennen die Männer und Frauen sofort, die ihnen als Beistand gesandt sind. Und das Angebot wird genutzt, weiß Rita Nagel aus eigener Erfahrung. „Die Menschen sprechen uns an; eher abends, wenn die Arbeit getan und sie müde sind, als tagsüber.“ Gut eine Woche nach der zerstörerischen Flut sind allmählich die drängendsten Aufräumarbeiten getan. Die Häuser sind leergeräumt. „Jetzt ist das Warten angesagt, und es ist Platz für Gedanken und die Gefühle, die dazugehören“, beschreibt es die Notfallseelsorgerin. „Bereits jetzt ist eine unendliche Trauer, Verzweiflung und auch Wut spürbar. Viele haben Angehörige, Freunde oder gleich ihre gesamte Existenz verloren. Traumata entstehen. Helferinnen und Helfer sind psychisch und körperlich am Ende“, fasste es Generalvikar Andreas Frick zusammen.
Die Seelsorge hat gerade erst ihren Anfang genommen. Zuerst kommt der Schmerz über den Verlust. Menschen hätten ihr Hab und Gut verloren, einige besäßen nur noch, was sie am Leib trügen. „Zum Teil landete das ganze Leben im Container: Fotoalben waren nicht zu retten, Erinnerungsstücke sind verloren – die Vergangenheit ist weg. Wenn man sich so überlegt, was man so sammelt: Bilder von den Kindern, die sie gemalt haben, als sie klein waren.“ Dann käme immer wieder die Frage: „Hätte man das verhindern können? Hätte man nicht. Aber die Frage ist verständlich.“
Opfer einer Katastrophe zu sein, ist nicht einfach. Zu dem Verlust der emotionalen Heimat kommt aktuell die Angst, die Heimat in Form der eigenen vier Wände zu verlieren. Fragen, die Rita Nagel begegnet sind, lauteten: „Ist das Haus noch zu retten? Was ist aktuell zu tun? Und: Wie soll das gehen mit dem Wiederaufbau? Wie geht es weiter?“ Die nackte Existenzangst treibt Menschen um.
Angst ist das vorherrschende Gefühl nicht nur bei den Betroffenen, die das ganze Ausmaß der Zerstörung erfahren haben. „Erlebt zu haben, sich nicht mehr im eigenen Haus sicher zu fühlen, weil man sich so ausgeliefert gefühlt hat, das wirkt nach“, schildert Rita Nagel die emotionale Lage der Menschen. Alleine eine Meldung der Wettervorhersage, dass für das Wochenende unwetterartige Regenfälle erwartet würden, lasse die Angst oft sofort zurückkehren.
Diese Erfahrungen in den besonders zerstörten Gebieten und mit dem Leid der Betroffenen gehen auch an den eingesetzten Notfallseelsorgerinnen und -seelsorgern nicht spurlos vorüber. Um Zeit zuhaben, die Bilder und Gefühle zu verarbeiten, ist das Team in mehrere Schichten eingeteilt. Außerdem erhält es Unterstützung durch ein Kriseninterventionsteam aus Norderstedt bei Hamburg, aus Mülheim und aus Viersen, zählt die Koordinatorin auf. „So eine Situation haben wir noch nicht erlebt – und vor allem nicht so flächendeckend“, sagt Rita Nagel. Ihr ist anzuhören, wie die Eindrücke in ihr arbeiten, wenn sie fast fassungslos ergänzt: „Da ist so viel zerstört.“
Natürlich stehe auch für das Notfallseelsorgeteam eine Supervision an. Die muss aber warten. „Etwas tun zu können, den Menschen beistehen zu können, ist es, was uns aufrecht erhält. Wir tun, was wir können: ein offenes Ohr anbieten, auch mal eine Schulter, und sind damit eine emotionale und seelische Entlastung. In den meisten Fällen ist das hilfreich.“
Neben den erschütternden Momenten gibt es aber auch Bereicherndes: „Besonders berührt hat mich die Welle der Hilfsbereitschaft, wie Menschen Unterstützung beim Aufräumen und Ausräumen bekommen haben, wie bei völlig Fremden mit angepackt und unterstützt wurde, aber auch die Nachbarschaftshilfe untereinander, das Zusammenstehen.“ Die Notfallseelsorge im Bistum Aachen hat für Betroffene eine Hotline geschaltet. Sie ist erreichbar unter 02 41/4 01 57 91.
Als Direkthilfe plant das Bistum Aachen einen Nothilfefonds in zweistelliger Millionenhöhe, teilte Generalvikar Frick mit. Die Caritas begänne zudem in der kommenden Woche mit der Auszahlung von Hilfen, die in den Kirchengemeinden, katholischen Einrichtungen und regionalen Caritas-Anlaufstellen über Formulare beantragt werden könnten. Auf Sachspenden solle verzichtet werden. „Was aber gebraucht wird, sind Kühlschränke, Trocknungsgeräte, Waschmaschinen und Herde,“ sagte Generalvikar Andreas Frick nach dem Ortstermin in der Eifel.