Wie eine große Familie

Die ukrainische Gemeinde in Aachen ist seit einem Jahr ein fester Anker für Geflüchtete aus der Ukraine

Im vergangenen Jahr haben Gemeindemitglieder gemeinsam Ostereier nach Traditionen ihrer Heimat bemalt. (c) Nadja Babiak
Im vergangenen Jahr haben Gemeindemitglieder gemeinsam Ostereier nach Traditionen ihrer Heimat bemalt.
Datum:
28. Feb. 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 09/2024 | Andrea Thomas

„Es ist ein Gefühl ,wie zuhause‘ und dafür sind wir sehr dankbar. Aber es ist eben nur so wie“, sagt Roman Horodetskyy darüber, wie sich seine Landsleute in Deutschland fühlen. Der junge ukrainische Priester leitet die ukrainische Gemeinde in Aachen, die den Geflüchteten aus der Ukraine ein Stück Heimat in der Fremde bietet. 

Pfarrer Roman Horodetskyy feiert einmal in der Woche Gottesdienst mit seiner Gemeinde. (c) Andrea Thomas
Pfarrer Roman Horodetskyy feiert einmal in der Woche Gottesdienst mit seiner Gemeinde.

„Wir gehören zur ukrainischen griechisch-katholischen Kirche und unterstehen der Apostolischen Exarchie für die Ukrainer des byzantinischen Ritus in Deutschland und Skandinavien“, erklärt Roman Horodetskyy. Für den 29-jährigen ist es die erste Gemeinde. Er hat vor dem Krieg in der Ukraine Theologie studiert und hatte die Möglichkeit, für seinen Abschluss ins Ausland zu gehen und an der katholischen Universität Eichstätt seinen Magister in katholischer Theologie zu machen. Im Juni 2022 ist er zum Priester geweiht worden, im August 2023 hat er die ukrainische Gemeinde in Aachen übernommen und seit September des Jahres ist er beim Bistum Aachen angestellt und zusätzlich als Kaplan in der GdG Nideggen-Heimbach tätig. Ab März kommt noch eine weitere ukrainische Gemeinde in Düren dazu. „Wir haben vereinbart, dass wir zunächst immer am ersten Sonntag im Monat in St. Anna Gottesdienst feiern und dann schauen, wie es sich entwickelt.“ Der erste Gottesdienst wird am 3. März um 15 Uhr sein.

Die Aachener Gemeinde, die – so klangvoll wie lang – offiziell „Ukrainische Seelsorgestelle der Geburt unserer allerheiligsten Herrin der Gottesgebärerin und immerwährenden Jungfrau Maria“ heißt, hat ihren ersten Gottesdienst im März 2023 in der Kapelle der Schwestern vom armen Kinde Jesu in der Aachener Ja-kobstraße gefeiert. Die Kapelle wurde jedoch schnell zu klein für die wachsende Gemeinde. Seit Anfang August 2023 können sie die deutlich größere Kirche St. Sebastian auf der Hörn mitnutzen. Jeden Sonntag versammeln sich hier im Anschluss an den katholischen Gottesdienst um die 80 Menschen aus allen Regionen der Ukraine, an hohen Feiertagen wie Weihnachten kommen auch mal mehr als 100 Gläubige. Sie kommen aus der näheren und weiteren Umgebung von Aachen und unter ihnen sind auch einige, die früher in die orthodoxe Gemeinde gegangen sind, sich dort jedoch nicht mehr zuhause fühlen, weil deren Patriarch offen Propaganda für Putin macht. 

Gottesdienst in der Muttersprache

Uljana Schulmeyer engagiert sich mit Herzblut für die Aachener Gemeinde, leitet unter anderem den Chor. (c) Nadja Babiak
Uljana Schulmeyer engagiert sich mit Herzblut für die Aachener Gemeinde, leitet unter anderem den Chor.

Der Gottesdienst im ihnen vertrauten byzantinischen Ritus gebe vielen Gemeindemitgliedern in der derzeitigen Situation Kraft, erzählt Uljana Schulmeyer. Sie lebt mit ihrer Familie bereits seit längerem im Aachen. „Früher mussten wir immer bis Düsseldorf zum Gottesdienst fahren, weil es in der Nähe keine Gemeinde unserer Kirche gab“, erzählt sie. Jetzt vor Ort zusammenkommen zu können, sei sehr schön. Daher engagiert sie sich mit viel Herzblut in der noch jungen Gemeinde, deren Chor sie leitet. „Bei uns wird der größte Teil der Liturgie gesungen, auch die Lesung. Der Chor hat daher eine entscheidende Rolle und gehört zu unserem Gottesdienst wie in der römisch-katholischen Kirche die Orgel.“, erklärt sie. Den Gottesdienst in ihrer Muttersprache zu feiern, sei ein Stück Heimat. „Das ist wichtig,denn egal wie freundlich die Menschen hier sind, man bleibt fremd.“ 
Nach dem Gottesdienst kann die Gemeinde noch das benachbarte Gemeindezentrum von St. Sebastian nutzen. Pfarrer Roman Horodetskyy bietet dann abwechselnd einen Bibelkreis oder eine Katechese für die Erwachsenen an. Die Katechese für die Kinder und Jugendlichen macht er einmal wöchentlich online. Das sei organisatorisch einfacher, erklärt er. Im Anschluss an den Bibelkreis oder die Katechese besteht die Möglichkeit, noch ein wenig zusammenzubleiben und sich auszutauschen. Etwas, was sehr wichtig sei, erklärt Uljana Schulmeyer, besonders für die, die erst vor kurzem aus der Ukraine nach Deutschland gekommen seien. Wer schon länger hier ist, hilft mit Ratschlägen und Informationen und Erfahrungen.

Der Krieg prägt auch das Leben hier

Der Chor ist klein, aber von großer Bedeutung für den Gottesdienst in byzantinischem Ritus, in dem der größte Teil der Liturgie gesungen wird. (c) Andrea Thomas
Der Chor ist klein, aber von großer Bedeutung für den Gottesdienst in byzantinischem Ritus, in dem der größte Teil der Liturgie gesungen wird.

Auch die großen Kirchenfeste wie Weihnachten oder Ostern feierten sie zusammen, „um die Traditionen nicht zu verlieren“. An Weihnachten gab es nach dem Gottesdienst ein Essen mit traditionellen, ukrainischen Speisen. „Weihnachten ist in der Ukraine ein Fest der Familie. Hier sind wir eine große Familie“, sagt Roman Horodetskyy. Eine weitere Tradition ist das Segnen der Speisen nach dem Ostergottesdienst, wozu jede Familie ihr Osterkörbchen mitbringe. „Im vergangenen Jahr haben wir in der Fastenzeit außerdem einen Workshop zum traditionellen Bemalen von Ostereiern veranstaltet und zur Bedeutung der verschiedenen traditionellen Symbole und Farben. Das hatte therapeutische Wirkung für die Menschen, die auf andere Gedanken kommen konnten“, erzählt Uljana Schulmeyer. Die Ukraine sei reich an Traditionen, die von Region zu Region unterschiedlich seien. Der Austausch darüber verbinde die Menschen.

 

Ebenso das Erlebte, der Krieg in der Heimat ist allgegenwärtig in der Gemeinde. Nicht nur um den Jahrestag herum, den sie mit einer Andacht für die gefallenen Soldaten begehen. Der Krieg prägt nach wie vor das Leben der geflüchteten Familien und halte es in der Schwebe, berichtet Gemeindemitglied Anatoli Didorenko. Er ist vor anderthalb Jahren aus Dnipro in der Ostukraine hergekommen, seine Frau mit den Töchtern und Enkelinnen schon vor zwei Jahren. Die Söhne und der Schwiegersohn sind noch in der Ukraine, kämpfen oder unterstützen die Truppen. Die Familie ist in Simmerath untergekommen und dank der großen Hilfsbereitschaft ihrer neuen Nachbarn, die sie spontan mit allem versorgt hätten, was man an Möbeln und Hausrat braucht, hätten sie sich auch ganz gut eingelebt.

Doch das Heimweh bleibt. Und die Unsicherheit, wie ihr Leben weitergehen wird. Inzwischen besuche die jüngste Tochter hier das Gymnasium, habe Freunde gefunden und eine der älteren habe eine gute Stelle in Bonn. Wie die meisten Ukrainer hofft er auf einen baldigen Frieden und Freiheit für sein Heimatland. Doch, ob sie dann als Familie zurückkehren oder die Söhne und der Schwiegersohn herkommen und, ob sie hier eine Perspektive haben … das sei ungewiss.

All das bringt die Gemeinde in ihre Gebete und Fürbitten ein, ebenso wie ihren Wunsch nach Frieden und die Bitte um Beistand für die Menschen in der Ukraine, die den Krieg gerade in seiner ganzen Brutalität erfahren, als Soldaten oder Zivilisten, für alle, die auf der Flucht sind oder um einen lieben Menschen trauern. „Wir sammeln außerdem in der Gemeinde und kaufen Tarnnetze für die Soldaten“, berichtet Roman Horodetskyy, wie sie ganz praktisch helfen wollen. Doch letztlich liege alles in Gottes Hand: „Keiner kann den Krieg beenden, außer Gott.“