Widerstand im Glauben

Wegberg verlegte für den Katholiken Eickels und die jüdischen Familien Salm sogenannte Stolpersteine

Der Gedenkstein von Matthias Eckels. (c) Garnet Manecke
Der Gedenkstein von Matthias Eckels.
Datum:
31. Jan. 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 05/2023 | Garnet Manecke

Das Menschenbild der Nazis konnten Matthias Eickels und seine Familie nicht mit ihrem Glauben vereinen. Sie zahlten dafür einen hohen Preis. Am 27. Januar wurde zum internationalen Gedenktag zur Befreiung von Auschwitz der Opfer des Nazi-Regimes gedacht. In Wegberg wurden die ersten sogenannten Stolpersteine für die Familien Salm und Matthias Eickels verlegt.

„… Sternberg, Nettchen, geborene Katz, geboren am 30. Januar 1894 in Venrath. Ermordet am 27. Mai 1944 in Auschwitz. Bach, Helena, geborene Weiß, geboren am 22. August 1869 in Erkelenz. Deportiert am 19. September 1942 nach Treblinka. Bogen, Luise, geborene Hertz, geboren am 26. April 1909 in Erkelenz. Ermordet am 6. Oktober 1944 in Auschwitz. Kohlen, Theresia, geborene Hertz, geboren am 3. Juni 1897 in Erkelenz. Ermordet am 12. Oktober 1942 in Auschwitz …“

Jedes Jahr hallen die Namen der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar laut über den Marktplatz von Erkelenz. In einer Endlosschleife werden die Namen sowie Lebens- und Todesdaten der verfolgten und ermordeten Frauen, Männer und Kinder aus Erkelenz zwischen Sonnenaufgang und -untergang vorgelesen. Seit 2012 erinnert der Heimatverein der Erkelenzer Lande mit diesem „Akustischen Stolperstein“ am internationalen Gedenktag zur Befreiung von Auschwitz. Auch auf andere Weise erinnert Erkelenz an das Unrecht, das Menschen in ganz Deutschland ihren jüdischen Nachbarn antaten. Da ist zum einen die „Route gegen das Vergessen“, die sich über elf Stationen von Erkelenz-Mitte in die umliegenden Dörfer zieht.

Auch mit den sogenannten Stolpersteinen des Kölner Künstlers Gunter Demnig gibt Erkelenz den Opfern ihre Namen zurück und erinnert an sie. 2002 wurden die ersten vier Steine für das Ehepaar Ernst und Thea Strauß und deren Kinder Helmut und Hannelore verlegt. Insgesamt gibt es in Erkelenz 35 solcher sogenannter Stolpersteine, auf denen in eine glänzende Messingplatte die Geburts- und Todesdaten sowie der Zeitpunkt der Deportation eingraviert sind.

Zwei jüdische Familien mit insgesamt neun Personen lebten in Wegberg im NS-Regime
Am 27. Januar 2023 hat auch die Stadt Wegberg ihre ersten „Stolpersteine“ bekommen. Auf zehn Steinen wird an die Familien Salm und an Matthias Eickels gedacht. Moses und Berta Salm sowie ihre vier Kinder Alex, Ilse, Lotte und Kurt wurden 1942 ins polnische Ghetto Izsbica deportiert, wo die Eltern und drei Kinder ermordet wurden. Nur Alex überlebte den Holocaust. Auch Moses’ Bruder Jakob Salm, der letzte Vorsteher der jüdischen Gemeinde in Schwanenberg, wurde mit seiner Frau Irma und Sohn Albert dorthin verschleppt. Dort verliert sich ihre Spur; von Albert ist noch bekannt, dass er wohl nach Frankreich fliehen konnte. Alle drei galten nach dem Krieg als verschollen, die Eltern wurden 1948 und Albert 1950 für tot erklärt.

Pfarrer Franz Xaver Huu Duc Tran kniet mit den Schülerinnen und Schülern der Edith-Stein-Realschule vor dem „Stolperstein“ für Matthias Eickels nieder. Er wurde an Eickels’ letztem Wohnort in Beeckerheide verlegt. (c) Garnet Manecke
Pfarrer Franz Xaver Huu Duc Tran kniet mit den Schülerinnen und Schülern der Edith-Stein-Realschule vor dem „Stolperstein“ für Matthias Eickels nieder. Er wurde an Eickels’ letztem Wohnort in Beeckerheide verlegt.

Der letzte Stein erinnert an Matthias Eickels, einen gläubigen Katholiken, der aufgrund seines Glaubens das Menschenbild der Nazis ablehnte. Sein Leben und sein Widerstand sind in den beiden Bänden „Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts“ beschrieben. Im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz hat Prälat Helmut Moll die Bücher mit den Lebensbildern von 900 katholischen Märtyrerinnen und Märtyrern herausgegeben.

„Auch Wegberg war kein weißer Fleck auf der braunen Landkarte“, sagte Bürgermeister Michael Stock, bevor er und Schülerinnen und Schüler der Edith-Stein-Realschule aus dem Leben von Matthias Eickels berichteten. Sein Beispiel zeigt, dass einige „einfache Leute“ Haltung und Widerstand zeigten.

Matthias Eickels, dessen Gedenkstein an seinem letzten Wohnort in Beeckerheide verlegt wurde, wurde als jüngstes von acht Kindern am 15. Dezember 1887 in Klinkum geboren. Er besuchte die Volksschule und lernte danach das Handwerk des Schuhmachers. Bis 1913 arbeitete er in diesem Beruf, dann ging er zur Deutschen Reichsbahn.

1916 heiratete er Anna Heinrichs, die wie er aus Klinkum stammte. Die beiden gründeten eine Familie und bekamen vier Kinder: Josef (1918), Helene (1919), Elisabeth (1921) und Johannes (1931). Die Familie lebte im katholischen Glauben, im Jahr von Johannes’ Geburt wurde Matthias Eickels zum Reichsbahnassistenten befördert. 1933 ist der Bahnhof Wegberg seine Dienststelle. Eickels lehnt das Menschenbild der Nazis ab. Er spendet nicht für das Winterhilfswerk der NSDAP, er verweigerte sich einer Mitgliedschaft in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) und in der Partei, und auch das Abonnement des Westdeutschen Beobachters lehnten Eickels und seine Frau Anna ab. Ihr ältester Sohn Josef engagierte sich seit 1934 aktiv in örtlichen katholischen Jugendvereinigungen, dem Jungmännerverein und der Pfadfinderschaft St. Georg. Die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend lehnte er ab und verweigerte den Hitlergruß in der Schule.

Prälat Helmut Moll präsentierte die Bände „Zeugen für Christus“. (c) Garnet Manecke
Prälat Helmut Moll präsentierte die Bände „Zeugen für Christus“.

Für Eltern und Sohn hatte ihr Verhalten harte Konsequenzen. Nachdem ein Lehrer sie denunziert hatte, wurde der 17-jährige Josef im Herbst 1936 von der Schule gewiesen. Er hatte die Oberprima des Gymnasiums in Wegberg besucht. Das Abitur war ihm damit endgültig verwehrt. Matthias Eickels wurde 1935 nach Krefeld und 1938 nach Baal versetzt. Von Beeckerheide aus waren die Verbindungen zu beiden Orten schlecht, so dass er den Arbeitsweg täglich mit dem Fahrrad absolvieren musste – jeweils zwei Stunden für die einfache Fahrt. Die Strapazen schädigten seine Gesundheit. Als 1939 in den Schulen die Kreuze entfernt wurden, beschwerte sich Anne Eickels beim Wegberger Bürgermeister. Auch das wurde negativ in der Akte der Familie vermerkt.

1941 schließlich wurde Eickels in den Ruhestand geschickt, weil er dienstuntauglich war. Seine Gesundheit machte nicht mehr mit. Sein Widerstand aber blieb ungebrochen. Nach wie vor machte die Familie bei den Sammlungen nicht mit und spendete nichts für die NSV, verweigerte den Hitlergruß, trat nicht in die Partei ein. Im März 1942 schließlich stand die Gestapo vor der Tür, durchsuchte das Haus und verhaftete Matthias Eickels. Er kam ins Gefängnis in Aachen, wo ihn sein Sohn noch einmal kurz besuchen durfte. Im Juni 1942 wurde Eickels ins Konzentrationslager Dachau deportiert, wo er am 10. Dezember 1942 völlig geschwächt starb.

In einem Gottesdienst betete Prälat Helmut Moll in der Wegberger Pfarrkirche St. Peter und Paul für Matthias Eickels und die anderen Opfer. „Wenn wir lesen wollen, was auf den Steinen steht, müssen wir uns hinknien“, sagte Pfarrer Franz Xaver Huu Duc Tran und kniete gemeinsam mit den Schülern und Schülerinnen der Edith-Stein-Realschule vor der Haltung des Matthias Eickels.