Wer die eiserne Friedhofspforte in Aldenhoven durchschritten hat und dem Weg folgt, kommt unweigerlich an dem kleinen, mit einer Hecke eingefriedeten Feld vorbei. Es ist ein Erinnerungsort. Zwei Sternenkinder sind hier bestattet. Für viele Namenlose brennen Lichter.
Was so anheimelnd klingt – Sternenkind, ist in Wahrheit nur ein tröstlicher Begriff für Familien, die vor der Zeit ihre Babys verlieren. Gemeint sind Kinder, die vor, während oder bald nach der Geburt gestorben sind. Jede fünfte Schwangerschaft in Deutschland, so weiß Gemeindereferentin Susanne Gerhards, endet so. „Man nimmt aber an, dass die tatsächliche Zahl noch viel größer ist.“ Viele Schwangerschaften endeten, ehe sie offiziell bekannt seien. Stellvertretend formuliert die Gemeindereferentin die Frage: „Ab welchem Zeitpunkt kann man sagen, dass der Verlust für eine Familie relevant ist? Ab wann erlebt eine Familie ihn bewusst?“ Das sei immer noch ein großes Tabuthema, auch wenn es so viele Frauen betreffe.
Im Frühling ist es nach fünfjähriger Vorbereitungszeit zur Einsegnung gekommen. Die Initiative hatte eine betroffene Mutter ergriffen, die in der Aldenhovener Ratsfrau Ayse Kaplakarslan eine Mitstreiterin fand, die Mitglied im Ausschuss für Migration, Integration und Entwicklungszusammenarbeit ist. Eine wichtige Kooperation, denn eine solche Entscheidung obliegt nicht den Kirchen, sondern den Kommunen, beziehungsweise deren Entscheidungsgremien. In diesem Fall der Gemeinderat, der sich für diesen Erinnerungsort ausgesprochen hat.
Er liegt direkt neben der alten Leichenhalle, gesäumt von Baumriesen. Dominiert wird der Platz von einem Grabstein, den der deutsch-niederländische Bildhauer Peter Hodiamont gestaltet hat. Ein Geschenk von Elisabeth Ortmanns, die auf diesem Weg auch den Grabstein ihrer Stiefmutter einer wunderbaren Verwendung zuführen konnte. Sinngebend steht das Monument mit einem eingelassenen Mosaik für das Leben: Es könnten Blumen sein, Sonnen, Ähren… Und das Wasser des Lebens fließt darunter. „Ich sehe darin immer eine kleine Ente“, zeigt Susanne Gerhards lächelnd auf ein Mosaikdetail. Auch die Signatur des Künstlers findet sich eingearbeitet und trägt den bezeichnenden Schriftzug „Auf Wiedersehen, Finny“.
Wichtig ist Gemeindereferentin Susanne Gerhards auch der interkonfessionelle Gedanke: Zur Einsegnung waren nicht nur der Bürgermeister und für das Friedhofsamt Ralf Linscheidt dabei, sondern auch die protestantische Schwesterkirche sowie Hodscha Sadullah Çakar aus der türkisch-islamischen Gemeinde. Er gab dem Ort als Segenswunsch mit, „dass die strahlenden Seelen“ der Sternenkinder dort Geborgenheit finden mögen.
Diese Geborgenheit und diesen Platz für ihre Trauer brauchen vor allem auch die Angehörigen. Susanne Gerhards, die selbst eine Fehlgeburt erlitten hat, weiß, wie wichtig das ist. Für ihr Kind gibt es kein Sternenkinder-Feld. „Aber auch ich habe einen besonderen Ort“, bekennt sie. Mit dem Tod des Kindes sei die Beziehung nicht beendet, weiß sie auch aus Gesprächen mit Betroffenen. „Irgendwie bleibt diese Verbindung bestehen. Sie wird mehr oder weniger bewusst gepflegt. Ich glaube, dass es gut ist, wenn es einen Ort gibt.“
Das Bewusstsein ist seit den 1980er Jahren stark gestiegen. Daher gibt es immer mehr Grabfelder für Sternenkinder in der Region. Das hängt auch von der Gesetzgebung ab, die im Mai 2012 angestoßen wurde. Das Ziel war, allen tot geborenen Kindern eine „Existenz“ zu geben. Der Deutsche Bundestag beschloss Anfang Februar 2013 einstimmig, das Personenstandsrecht zu ändern. Der Bundesrat stimmte dieser Regelung Anfang März 2013 zu, so dass Eltern von tot geborenen Kindern – auch rückwirkend und unabhängig von ihrem Geburtsgewicht und der Schwangerschaftsdauer – diese standesamtlich eintragen lassen können.
In Aldenhoven hat es seit der Einsegnung keine Beisetzungen mehr gegeben.
Susanne Gerhards wünscht sich, dass das Tabu-Thema aus dem Schattendasein tritt. „Wenn man diese Zuschreibung bekommt, dass man als Frau nur wertvoll ist, wenn man gebärfähig bist, hat man das natürlich irgendwann verinnerlicht und nimmt sich selber auch so wahr.“ Das gelte einmal mehr für Frauen, die aus anderen Kulturkreisen nach Deutschland gekommen sind und diese Identifikation über die Mutterrolle und die Gebärfähigkeit noch viel größer sei. Sie überlegt, einen eigenen Gesprächskreis anzubieten. „Das muss man vielleicht einfach mal ausprobieren“, sinniert sie. Ein erstes niederschwelliges Angebot – wenn auch nicht speziell für Eltern von Sternenkindern – gibt es bereits.
An jedem letzten Donnerstagnachmittag im Monat zwischen 14.30 und 16.30 Uhr findet auf dem Friedhof in Aldenhoven eine Gelegenheit zu Gespräch und Austausch statt. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. In zwangloser Atmosphäre sind Interessierte und Betroffene zu einer Tasse Kaffee und Gesprächen mit Gemeindereferentin Susanne Gerhards und Pfarrer Hans-Otto von Danwitz, Rahmi Demirtas von der Türkisch-Islamischen Gemeinde, Pfarrer Charles Cervigne von der Evangelischen Kirchengemeinde sowie Ralf Linscheidt oder Stefanie Fiedler vom Friedhofsamt eingeladen. Ganz zwanglos sind Stehtische in der Nähe der Trauerhalle aufgebaut – in der kalten Jahreszeit in der Trauerhalle. Der nächste Termin ist am Donnerstag, 28. November. Lediglich an Weihnachten und Weiberfastnacht entfällt das Angebot.