Aus dem „Kleinen Prinzen“ von Antoine de Saint-Exupéry stammt das Wort: „Die Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse.“ Menschen reden aneinander vorbei. Menschen behaupten, sie hätten dieses oder jenes so nie gesagt oder andersrum: Sie hätten das doch schon immer so gesagt, aber ihnen sei nie richtig zugehört worden.
Besonders schlimm ist diese Quelle aller Missverständnisse, wenn riesige Sprechblasen entstehen: immer mehr vom selben, in zig Varianten immer nur dieselben scheinbar einfachen Lösungen, immer radikaler das Eine und Einzige fordern und durchsetzen wollen. Solche Sprechblasen bauen sich gegeneinander auf: Was die anderen sagen, das muss und will dann schon lange keiner mehr hören, schon gar nicht verstehen.
Blasen können schrecklich platzen, politisch, militärisch: Dann werden aus Worten Taten, der Schritt in die Gewalt ist überrumpelnd kurz: die Quelle aller Missverständnisse wird dann zur Quelle von Vernichtung.
Im Zeitalter von Massenkommunikation und Massenvernichtungswaffen kann keiner mehr das alles noch für harmlos halten!
Am Christtag hören wir in der Kirche den Anfang des Johannesevangeliums (Joh 1,1–18): Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott.
In Gott gibt es kein Missverstehen!
Gott ist klar und unverstellt, ohne Lüge, ohne Irrtum. Gott braucht niemanden außerhalb, um verstanden zu werden. Sprechen und Verstehen, Reden und Antworten, das sind Bilder für Gottes inneres Leben: Er drückt sich aus, er wird verstanden und bekommt Antwort, er bringt Neues aus dem Verstehen beider hervor: Vater, Sohn und Geist, dreifaltiges Ausdrucks- und Verstehens- und Hervorbringungsgeheimnis.
Selig, göttlich, ohne Anfang und ohne Ende.
Aber Gott macht einen Anfang. Unseren!
Den Anfang des Kosmos. Den Anfang alles Geschaffenen. Den Anfang jedes Menschen. Und zwar nur durch sein Wort.Darum liegt in der ganzen Schöpfung eine Botschaft. Auch im eigenen Leben. Können wir sie verstehen?
Alle Philosophen bemühen sich darum.
Sie suchen danach, ob in der Welt und im Menschsein eine Botschaft steckt.
Aber sie kommen an kein Ende. Heutzutage meinen viele, es gebe gar keine Botschaft. Denn wenn es eine gäbe, dann müsste sie ja einer in alles, was ist, hineingewickelt haben. Und der müsste ja dann so etwas wie ein Schöpfer sein. Aber den gibt es ja vielleicht gar nicht! Alles nur ein Rätsel. Egal! Die Zeit, dahinter zu kommen, ist ohnehin nicht lang genug. Nach 70 bis 80 Jahren stirbst du mit all deinen ungelösten Fragen, vielleicht sind es bei dir ja sogar noch ein paar Jahre drauf!
Das Wort ist aber Fleisch geworden, sagt dagegen der Evangelist Johannes.
Das Wort, mit dem Gott im Anfang alles geschaffen hat. Das Wort, das in allem schon als Botschaft drin steckt, ist von Gott nun endlich so ausgesprochen worden, dass es voll und ganz verstanden werden kann.
Denn das göttliche Wort kam als ein Mensch in die Welt!
Alles an Jesus ist Botschaft: Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht, sagt der Evangelist.
Nun endlich bekommt die Sprache als Quelle aller Missverständnisse einen Dolmetscher für alle: das Faktum, das wirklich Geschehene, die Tat dieses Einzigen, durch die wir die Macht bekommen, Kinder Gottes zu werden.
Denn er hat nichts für sich behauptet, nichts gegen andere durchgesetzt, niemanden totgeredet und schon gar nicht Worte oder Taten aus Lüge, Hass und Gewalt verbreitet.
Er hat sich selbst verschenkt: in einem Menschenleben voller Hinwendung und Hingabe, in seinen Worten voller Erbarmen und Liebe zu Gott und den Menschen, in seinem Stellvertretertod am Kreuz, in seinem Ganz-unten-Sein in Grab und Schweigen.
Krippe und Kreuz übersetzen seitdem das Wort, das Fleisch wurde, in jede Sprache.
Wer ihn aufnimmt, fängt an, ihn zu verstehen.Wer ihn versteht, fängt selber an zu sprechen, weniger mit Worten, mehr mit eigenen Taten voll Hoffnung und Liebe.
Wer ihn aufnimmt, hat die Quelle gefunden, die nie trüb wird: die Quelle der göttlichen Gnade und Wahrheit.
Diese Quelle reinigt und heilt auch die letzten und bittersten Missverständnisse der Menschen.
Denn sie liebt weiter, wo gehasst wird. Sie hofft weiter, wo alles längst gestorben ist.
All das ist Weihnachten: die Erfahrung von endgültigem Sich-Ausdrücken und Verstehen und Geliebtsein.
Die Macht der Kinder Gottes!
Frohe Weihnachten!
Bischof Helmut Dieser