Da drängt sich doch die Frage auf: Wie sind denn Kinder? Seit geraumer Zeit beobachte ich einen etwa dreijährigen kleinen Jungen, der selbstvergessen mitten in einer Pfütze am Kinderspielplatz hockt. Getreu dem Motto „Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur falsche Kleidung“ hat seine Mama ihn ausgerüstet mit Gummistiefeln, Buddelhose und Anorak. Der Kleine ist so versunken in die Untersuchung der Wasserlache, dass er von dem fröhlichen Lärm um ihn herum nichts wahrnimmt. Mit ganzem Herzen ist er bei der Sache. Das bringt mich ins Grübeln: Erledigen wir Erwachsenen unsere Aufgaben nicht viel zu oft nur halbherzig, oberflächlich, nicht gründlich genug? Wann und wo habe ich mich eigentlich zuletzt so intensiv eingebracht wie dieser Knirps? Ich brauche schon eine Weile, bis mir eine Antwort einfällt. Immer wieder patscht der Dreikäsehoch mit der flachen Hand auf das Wasser und beobachtet, wie es Blasen wirft. Ganz offensichtlich ist er fasziniert davon, dass er selbst es ist, der die Wasseroberfläche in Bewegung versetzt, so dass sich immer neue Ansichten ergeben. Vielen Erwachsenen sind diese Eigenschaften im Lauf des Lebens verlorengegangen: das Staunen, die Neugier, der Mut, etwas auszuprobieren. Ich frage mich, ob das bei mir auch so ist.
Kaum einen Meter misst der kleine Bursche, und trotzdem hat er sich hingehockt, um das Objekt seiner Neugierde noch genauer in Augenschein nehmen zu können. Anfangs war er völlig gebannt von seinem eigenen Spiegelbild, das ihm aus der Pfütze entgegenlachte – jetzt erforscht er, was dahintersteckt. Daran könnten sich ausgewachsene Menschen in mancherlei Hinsicht ein Beispiel nehmen, denke ich. Schaue ich eigentlich immer ein zweites oder drittes Mal hin, gehe ich näher heran, ehe ich mir ein Urteil bilde? Die Gefahr, einfach nur Stammtischparolen zu übernehmen, ist in allen Bereichen des Lebens gegeben. Ich nehme mir vor, meine eigene Lebenswirklichkeit immer wieder zu reflektieren. Die Scheu vor Kälte, Nässe oder Schmutz scheint dem Kleinen fremd zu sein. Geschweige denn, dass er sich vor Keimen fürchtet. Schön, dass seine Mutter ihn gewähren lässt. Sie gibt ihrem Sohn den nötigen Freiraum, damit er selbst Erfahrungen sammeln kann. Ganz konkret und heruntergebrochen auf kleinste Ebene wird mir hier vor Augen geführt, wie wichtig Freiheit in Bezug auf Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung ist. In der Theorie wusste ich das ja schon… Jetzt schaue ich dem Jungen bestimmt schon eine Viertelstunde bei seiner Beschäftigung zu, ohne dass er in seinem Eifer nachgelassen hat. Noch etwas, das ich von dem Kind lernen kann: mir Zeit zu nehmen und die Sache, mit der ich beschäftigt bin, wichtig zu nehmen. Wie oft erledige ich Dinge sozusagen im Vorbeigehen, weil ich in Gedanken schon beim nächsten Termin bin. Das soll anders werden, nehme ich mir vor. Irgendwann packt die Mutter ihren Sohn in seinen Buggy und schiebt mit ihm weiter. Ich bleibe zurück und beginne zu begreifen, dass ich an diesem Nachmittag etwas Entscheidendes gelernt habe. Auch wenn ich nur einem kleinen Jungen beim Spielen zugeschaut habe.