Über psychische Probleme zu reden ist unter Teenagern meist tabu. Betroffene junge Menschen schämen sich, mit anderen darüber zu reden. Wer ist schon gerne „verrückt“. Ein Schulprojekt setzt dem in der Städteregion seit fünf Jahren ein beherztes „Na und!“ entgegen.
Das Programm „Verrückt? Na und!“ richtet sich an Jugendliche zwischen 14 und 20 Jahren und ihre Lehrkräfte. Es will ein Bewusstsein für eine frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Thema psychische Gesundheit schaffen. Ängste und Vorurteile sollen abgebaut werden, Lösungswege in Krisensituationen vermittelt und Jugendliche gestärkt werden, sich Hilfe zu holen. Entwickelt worden ist es vom Verein „Irrsinnig Menschlich“.
In der Städteregion Aachen wird „Verrückt? Na und!“ seit 2017 von Caroline Braun von der Integrierten Psychiatrieseelsorge im Bistum Aachen koordiniert. Kooperationspartner sind der Aachener Verein, ALI (Aachener Laienhelfer Initiative), die evangelische Kinder- und Jugendhilfe Aachen-Brand, das Bistum Aachen, Psychiatrie-Patinnen und -Paten, der Psychosoziale Trägerverein Euregio und der sozialpsychiatrische Dienst der Städteregion Aachen.
Caroline Braun ist das Angebot ein Herzensanliegen: „Es ist wichtig, jungen Leuten Mut zu machen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.“ Als Fachleute für seelische Gesundheit wüssten sie um die Häufigkeit psychischer Krisen und Erkrankungen, und dass diese überwiegend in der Jugendzeit beginnen. Weil sie immer noch tabuisiert werden, fänden Betroffene oft zu spät Hilfe. Dem will „Verrückt? Na und!“ entgegenwirken und Schülerinnen und Schülern und ihren Lehrkräften einen guten und offenen Umgang damit zeigen.
Von sechs Kindern und Jugendlichen in Deutschland hat eines eine psychische Erkrankung. Besonders betroffen ist die Altersgruppe von 15 bis 18 Jahren. Hier nehmen Depressionen und psychosomatische Erkrankungen sowie Suchterkrankungen (Alkohol, illegale Drogen, digitale Medien) zu. Suizid ist die weltweit zweithäufigste Todesursache bei jungen Menschen von 15 bis 29 Jahren. Etwa 90 Prozent davon lassen sich auf psychische Probleme zurückführen. Mädchen leiden doppelt so häufig an Depressionen, Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit wie Jungen, bei denen ADHS und Sucht-
störungen häufiger vorkommen. Das Risiko für eine Erkrankung ist höher in sozial schwachen Familien oder da, wo ein Elternteil erkrankt ist. Die Coronapandemie hat Studien zufolge die psychische Belastung verstärkt und den Zugang zu Prävention und Versorgung erschwert.
Das Präventionsprogramm „Verrückt? Na und!“ geht mit seinen Expertenteams einen Schultag lang in die Klasssen. Sie setzen sich jeweils aus einer Fachkraft, die sich beruflich mit seelischen Erkrankungen auskennt, sowie jemandem mit persönlichen Erfahrungen aus einer eigenen Erkrankung, zusammen. Sie informieren über seelische Erkrankungen,
teilen Erfahrungen und wirken als „Türöffner“, sprechen Dinge an, über die junge Menschen untereinander, aber auch in Familie und Schule selten reden. Sie ermutigen sie, ihre Fragen zu stellen und psychische Krisen anzusprechen und helfen diese zu verstehen.
Die Jugendlichen lernen so Warnsignale bei sich selbst und anderen kennen. Gemeinsam diskutieren sie Strategien zur Bewältigung, hinterfragen Vorurteile und eigene Ängste gegenüber psychischen Krisensituationen und Menschen, die davon betroffen sind. Ziel ist es, Haltungen und Einstellungen zu verändern und ihnen Wissen an die Hand zu geben, wie sie anderen helfen oder selbst Hilfe finden können. Außerdem lernen sie, wie sie etwas für ihre seelische Gesundheit tun können, um Krisensituationen besser gewachsen zu sein, und wie sie so miteinander umgehen (Stichwort Mobbing), dass dies die seelische Gesundheit aller fördert und nicht beeinträchtigt.
In den vergangenen fünf Jahren hat „Verrückt? Na und!“ 70 solcher Schulstunden an weiterführenden Schulen in Aachen abgehalten. Corona hat das Programm zuletzt gebremst. Doch nun gehe es weiter und für den Herbst seien acht Schultage vereinbart, erklärt Caroline Braun. Darüber sind sie und die Tandems, die in die Schulen gehen, erleichtert. Gerade weil Corona mit Distanzunterricht, Homeschooling, Unterricht mit Test- und Maskenpflicht und eingeschränkten sozialen Kontakten Kindern und Jugendlichen einiges abverlangt hat. Katja Köhler, selbst betroffen, empfindet das Programm als sehr wertvoll. „Hätte es das gegeben, als ich Teenie war, hätte mir das sehr geholfen“, sagt sie.
Martina Reinders von der evangelischen Kinder- und Jugendhilfe Brand ist wichtig, das Thema aus der Tabuzone holen zu können. Es sei immer noch schwierig, an Menschen mit einer psychischen Erkrankung heranzukommen. An den Schultagen bekämen sie
direkt Rückmeldungen von den Jugendlichen. Entscheidend sei, „mit den Betroffenen zu reden, statt über sie“, ergänzt Christina Delannay von der Aachener Laienhelfer Initiative. „Wir helfen Worte zu finden, für das, was sie durchleben.“ Viele hätten Angst, etwas falsch zu machen. Daher ermutigten sie immer wieder: „Sagt, wenn euch etwas überfordert, redet darüber.“
Für Astrid Thiel vom sozialpsychiatrischen Dienst der Städteregion ist die Kernbotschaft: Psychische Krisen gehören zum Leben dazu. „Wir helfen, das Thema besprechbar zu machen. Informieren als echte Menschen, denen sich die Jugendlichen öffnen und die ihnen etwas Last nehmen können.“ Die meisten Klassen gingen mit einem positiven Gefühl und gestärkt aus dem Tag heraus und auch bei Lehrkräften und Schulleitungen kommt das Programm gut an. „Sie spüren eine Zugewandtheit zum Leben und erfahren einen fröhlichen Tag zu einem schweren Thema“, fasst Ilma Sturms, Lehrerin am Aachener Geschwister-Scholl-Gymnasium zusammen. Und vielleicht werde „Seelische Gesundheit“ ja sogar mal Unterrichtsfach, hofft Caroline Braun.
Ansprechpartner für „Verrückt? Na und!“: Caroline Braun, Tel.: 02 41/40 76 93, E-Mail: caroline.braun@bistum-aachen.de, www.psychiatrieseelsorge-aachen.de