Wenn Zerstörung wütet

Wie damit umgehen, wenn Welterbestätten durch Natur oder Menschenhand verwüstet werden?

Dieses Bild zeigt, wie der Eingangsbereich des Baal-Tempels vor der Zerstörung aussah. Einzig die Säulen blieben stehen. (c) www.pixabay.com
Dieses Bild zeigt, wie der Eingangsbereich des Baal-Tempels vor der Zerstörung aussah. Einzig die Säulen blieben stehen.
Datum:
2. Okt. 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 40/2018 | Kathrin Albrecht
Über 1200 Jahre alt ist der Aachener Dom. Er hat Erdbeben, Brände und Kriege überstanden. Er vereinigt Baustile verschiedener Epochen in sich.
Der Architekt Auguste Perret entwarf die Pläne für die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Stadt Le Havre. Der Stadtkern ist seit 2005 Weltkulturerbe. (c) Eric Levilly/wikimedia commons/CC-BY-1.0
Der Architekt Auguste Perret entwarf die Pläne für die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Stadt Le Havre. Der Stadtkern ist seit 2005 Weltkulturerbe.

 Nicht nur seit 40 Jahren, so lange ist der Dom auf der Unesco-Liste der Welterbestätten, kümmern sich Menschen um den Erhalt des Bauwerks, um es für die nachfolgenden Generationen zu bewahren. Denn eine Welterbestätte hat in mehrfacher Hinsicht eine Bedeutung: Neben historischen und kulturellen Aspekten spielt auch die Wirtschaft eine Rolle, denn in der Regel ist eine Welterbestätte für den Tourismus bedeutsam. Das gilt auch für den Aachener Dom, der jährlich rund 1,3 Millionen Besucher nach Aachen lockt.

Doch was passiert, wenn Welterbestätten zerstört werden, durch Naturkatastrophen, Baumaßnahmen oder Kriege? Einige Beispiele: Während des Bosnienkrieges wurde die Brücke von Mostar, bis dahin ein Symbol für das Miteinander von Christen und Muslimen, nach einem mehrstündigen Beschuss zerstört. Das historische Stadtzentrum von Warschau wurde während des Zweiten Weltkrieges komplett zerstört. Die Neugestaltung nach historischem Vorbild ist heute ebenfalls Teil der insgesamt 845 Kulturerbe auf der Liste der Unesco. Toshiyuki Kono, Präsident des International Council on Monuments and Sites (Icomos), war anlässlich des Welterbe-Jubiläums nach Aachen gekommen, um darüber zu sprechen, wie Staaten und Menschen mit zerstörten Welterbestätten umgehen. Die Denkmalschutzorganisation mit Sitz in Paris nimmt Aufgaben als Berater-Organisation der Unesco gemäß der Welterbekonvention von 1972 wahr. Kono leitet bei Icomos eine Arbeitsgruppe, die sich mit Wiederaufbauverfahren zerstörter Welterbestätten befasst.

 

Neu ist die gezielte Zerstörung von Welterbestätten

Zerstörungen, stellte Kono fest, seien kein neues Phänomen. Ein neues Phänomen sei hingegen die gezielte Zerstörung von Welterbestätten. So sprengten die Taliban 2001 die beiden Buddha-Statuen im Bamiyan-Tal. Trotz der Zerstörung nahm die Unesco zwei Jahre später das Tal auf die Liste der Weltkulturerbestätten. 2012 zerstörten islamistische Terroristen in Timbuktu (Mali) die denkmalgeschützten Mausoleen der Gelehrten Sidi Mahmud Ben Amar, Sidi Mahmud, Sidi Moctar und Alpha Moya. 2015 sprengte der sogenannte Islamische Staat die Ruinenstadt Palmyra, die mit ihren unverwechselbaren Kunst- und Baudenkmälern ebenfalls Welterbestätte ist. Ist eine Welterbestätte zerstört, sei es eine natürliche Reaktion, dass Menschen diese – möglichst in der ursprünglichen Form – wieder aufbauen möchten. Für die Denkmalschützer stellt sich dabei die Hauptfrage nach der Authentizität. Doch geht dies weit über die bloße Rekonstruktion des Bauwerks hinaus.

Ein Beispiel dafür sind die Grabstätten der Buganda-Könige bei Kasubi in Uganda. Für das Volk der Baganda ist die rund 30 Hektar umfassende Anlage ein spirituelles Heiligtum. Außerdem stellt die Anlage ein wichtiges historisches und kulturelles Symbol für Uganda und die ostafrikanische Region dar und ist deshalb seit 2001 auf der Welterbe-Liste. 2010 wurde das Haupthaus, die eigentliche Begräbnisstätte, durch einen Brand teilweise zerstört. Die Überreste der dort bestatteten Könige blieben jedoch unversehrt. 2014 begann der von der Unesco begleitete Wiederaufbau des Haupthauses mit traditionellen Baumaterialien und -methoden.

Was möglicherweise im Fall der Kasubi-Grabstätten noch einfach gelang – die eigentlich rituell wichtigen Überreste der Könige waren unversehrt geblieben – gestaltet sich im Falle einer weitreichenderen Zerstörung jedoch weitaus schwieriger. Was passiert zum Beispiel mit Städten? Zerstört durch Kriegshandlungen sind die syrische Stadt Aleppo und die irakische Stadt Mossul. Die jemenitischen Städte Sanaa und Shibum wurden von der Unesco auf die Liste der gefährdeten Welterbestätten gesetzt. Seit 2011 ist der Jemen immer wieder Schauplatz für gewalttätige Konflikte und terroristische Anschläge. Die Altstadt von Sanaa ist seit 1986 Welterbe.

 

Wie baut man zerstörte Städte wieder auf?

Sie besteht aus tausenden, bis zu acht Stockwerken hohen Turmhäusern, die in Lehmbauweise errichtet wurden. Was also würde eine weitreichende Zerstörung bedeuten? Welche historischen Stadien soll die Rekonstruktion berücksichtigen? Und wie lassen sich neben den materiellen die immateriellen Attribute einer Welterbestätte wieder rekonstruieren? Hier ergibt sich, sagt Toshiyuki Kono, eine Reihe von Problemen. Denn sowohl die Denkmalkonvention, die das Prinzip der Authentizität in den Mittelpunkt der Denkmalerhaltung stellt, als auch das 1994 verabschiedete Nara-Dokument, das sich mit traditionellen Methoden der Rekonstruktion befasst, greifen dabei zu kurz. In diesem Fall ist eine schnelle Reaktion erforderlich, um nicht zuletzt auch ein Weiterleben der Menschen zu ermöglichen. Wie im Fall der nordfranzösischen Stadt Le Havre. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg durch deutsche Truppen besetzt. 1944 eroberten alliierte Truppen die Stadt zurück, 132 Bombenangriffe töteten 5000 Menschen und zerstörten 12 500 Gebäude, die größten Schäden verzeichnete der Stadtkern. In den Jahren 1945 bis 1954 wurde der Stadtkern nach den Plänen des Architekten August Perret in moderner Betonarchitektur wieder aufgebaut. Seit 2005 ist er Welterbestätte. „Der Wiederaufbau des Stadtkerns von Le Havre ist ein Meilenstein. Es ist ein herausragendes Nachkriegsbeispiel für Stadtplanung und Architektur“, erklärt Toshiyuki Kono. Er sieht in dem Fall von Le Havre einen Präzedenzfall für andere durch Krieg zerstörte Städte. Doch müsse jeder Zerstörungs- und Rekonstruktionsprozess im jeweiligen Kontext gesehen werden. Seit 2017 trägt die Icomos in einer Vergleichsstudie daher Daten zusammen, um zu sehen, wie Staaten mit derartigen Prozessen umgehen.

Dass auch eine minimale Intervention bei einer zerstörten Welterbestätte funktionieren kann, zeigte das letzte Beispiel Toshiyuki Konos, das Friedensdenkmal in der japanischen Stadt Hiroshima. Das Gebäude mit seiner prägnanten Dachkuppel wurde 1915 nach den Plänen des tschechischen Architekten Jan Letzel erbaut. Bis zu seiner Zerstörung diente es als Ausstellungshalle für Handelswaren der Präfektur Hiroshima. Bei dem Abwurf der Atombombe wurde das Gebäude zerstört und brannte völlig aus. Heute ist die Ruine Teil des Friedensparks Hiroshima und eine Gedenkstätte für den ersten kriegerischen Einsatz einer Atombombe. Für den Umgang mit zerstörten Welterbestätten sei auch die strafrechtliche Ahndung von Bedeutung. Kono verwies auf die Verurteilung des Terroristen Al Mahdi, der für die Zerstörung der Grabstätten in Timbuktu verantwortlich war. Zum ersten Mal wurde die Zerstörung einer Welterbestätte als Kriegsverbrechen eingestuft. Toshiyuki Kono hofft auch auf eine Abschreckungsfunktion. Denn nicht zuletzt geht es bei allen Überlegungen um den Schutz einer Welterbestätte.