Wenn Gewissheiten und Träume zerplatzen

Ehrliche Lebenszeugnisse rund um Continental prägten ein politisches Abendgebet im Aachener Dom

Die Sorgen und Nöte vor Gott und solidarische Menschen tragen: Das haben Veit Rzembcitzky und Natalie getan. Dompropst Rolf-Peter Cremer (l.) stellte dafür den Dom zur Verfügung. (c) Katholikenräte/Ralf Roeger
Die Sorgen und Nöte vor Gott und solidarische Menschen tragen: Das haben Veit Rzembcitzky und Natalie getan. Dompropst Rolf-Peter Cremer (l.) stellte dafür den Dom zur Verfügung.
Datum:
30. Sep. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 40/2020 | Thomas Hohenschue

Wie geht es mit Continental in Aachen weiter? So, wie bis dato die Dinge liefen: schlecht. Eines hat die Ankündigung der Konzernleitung in jedem Fall geschafft: Zukunftsängste ausgelöst, Trauer, Verzweiflung, Wut. All dies fand kurz vor der entscheidenden Sitzung des Aufsichtsrats in Hannover einen Ort im Aachener Dom.

So aufwühlende Momente erlebt die Aachener Kathedrale selten: ungeschminkte, ehrliche Lebenszeugnisse, gerade heraus formuliert, unmissverständlich, schonungslos. Zwei Betroffene traten ans Mikrofon und berichteten beispielhaft, was die Absicht, das profitable Aachener Werk zu schließen, an Verwüstungen und Verletzungen auslöst. 
Veit Rzembcitzky und seine Frau wissen noch ganz genau, wann ihre Träume von einem geordneten, sorgenfreien Ruhestand zerstoben: am 15. September um 14.30 Uhr. Bis zu diesem Zeitpunkt sahen die beiden einem mietfreien Leben mit entspannten Reisen im Wohnmobil entgegen. Statt dessen nun die Aussicht auf zehn Jahre Hartz IV, denn mit 57 Jahren findet man keine Arbeit mehr, blickt der Mitarbeiter des Aachener Werks realistisch in die Zukunft. Seine Enttäuschung ist grenzenlos: Er hat Continental vertraut, das Unternehmen war für ihn eine feste Bank, für die er den Rücken krumm gemacht hat, all die Jahre.

Wie 1800 Kolleginnen und Kollegen. Wie auch der Vater von Natalie, die als zweite ihr Lebenszeugnis im Dom ablegt. Sie hat ihren Vater die Hälfte ihres Lebens nicht gesehen, weil er immer bei Conti malochte, stets rufbereit, auch in der Nacht, auch im Urlaub. Mit seiner harten und langen Arbeit habe er seiner Familie ein schönes Leben ermöglicht, sagt Natalie. Eine ehrliche, schnörkellose Dankbarkeit prägt diesen Bericht, genauso wie die offene Beschreibung der Verzweiflung, welche die Vorstandspläne in ihrem Vater auslösen. Den Mut sinken lassen möchte Natalie nicht, ihr Vater habe ihr gezeigt, wie man kämpfe, auch wenn er jetzt selbst so traurig sei. 


Conti gehört wie der Dom dazu


Was kann man als Christ in solchen Momenten tun? Dabei sein, zuhören, zusprechen. Die Sorgen und Nöte vor Gott tragen. Um seinen Beistand für die Beschäftigten bitten. Unrecht benennen und anklagen. All dies haben regionale Katholikenräte, Diözesanrat, Katholische Arbeitnehmer-Bewegung und Betriebsseelsorge in dem gemeinschaftlich getragenen und gestalteten politischen Abendgebet getan. Dompropst Rolf-Peter Cremer stellte den Moment in eine Tradition des Domes, in existenziellen Situationen für die Menschen in der Region da zu sein. Ein Plakat am Werkstor nahm die Verbindung vorweg. Dort hieß es: „Conti gehört zu Aachen wie der Dom“.  


Bischof appelliert an alle


Kurz vor Beginn des Abendgebets meldete sich auch Bischof Helmut Dieser per Pressemitteilung zu Wort. Die Sorge um Arbeitsplätze und Existenzsicherung müsse von allen Rollenträgern in Wirtschaft und Politik gemeinsam sehr ernst genommen werden. Er rief zu einem intensiven gemeinsamen Dialog auf.

Nur so könne es gelingen, den sozialen Frieden zu wahren und die Prinzipien der 
Solidarität und des Gemeinwohls nicht zu verletzen. Bischof Helmut Dieser rief zum gemeinsamen Gebet auf, damit die anstehenden Gespräche vom Geist des Zuhörens und der Verständigung im Ringen um gute Lösungen geprägt seien. Er schloss mit einem Dank an die kirchlich Aktiven.