Weihnachten gehört den Kindern

Im Bethanien-Kinderdorf ist das Fest zu Christi Geburt ein lebendiges Miteinander

Das Bethanien-Kinder- und Jugenddorf in Schwalmtal ist Heimat von 150 Kindern und Jugendlichen, die nicht mehr bei ihren leiblichen Familien leben können. (c) privat
Das Bethanien-Kinder- und Jugenddorf in Schwalmtal ist Heimat von 150 Kindern und Jugendlichen, die nicht mehr bei ihren leiblichen Familien leben können.
Datum:
20. Dez. 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, ausgabe 51-52/2018 | Ann-Katrin Roscheck
Es ist schon kalt und die Bäume haben bereits ihre Blätter verloren, als im letzten Jahr das Telefon in Schwester Jordana Schmidts gemütlicher Küche klingelt: Für ein Neugeborenes wird dringend ein Zuhause gesucht.
Als Ordensschwester und Kinderdorfmutter hat Schwester Jordana gleich zwei Mal ihre Berufung gefunden. (c) privat
Als Ordensschwester und Kinderdorfmutter hat Schwester Jordana gleich zwei Mal ihre Berufung gefunden.

Als Ordensschwester der Dominikanerinnen von Bethanien und als Kinderdorfmutter im Bethanien-Kinderdorf ist für die Heilpädagogin klar: Wo Hilfe gebraucht wird, springt sie ein. Mit Lara zieht das jüngste Familienmitglied in die Kinderdorffamilie zur 6-jährigen Emmy, zum 8-jährigen Toni und der gleichaltrigen Taylor, zum 9-jährigen Leon und zu Robyn, 10 Jahre alt. „Ein Weihnachtswunder“, sagt Schwester Jordana heute. „Mit Lara in unserer Mitte wurde die Weihnachtsgeschichte für mich lebendig. Gott gibt sich uns in die Hände, das habe ich gespürt.“ Schon als Kind liebt Schwester Jordana die Weihnachtszeit: Mit drei Geschwistern wächst sie in einer Großfamilie in Grevenbroich auf. Die Spannung auf das Weihnachtsfest fasziniert sie bereits in jungen Jahren. „Noch heute liebe ich es, ganz langsam und besinnlich mich auf Weihnachten vorzubereiten“, beschreibt die 49-Jährige. „Wir dekorieren in kleinen Schritten das Haus, treffen uns zum Backen mit Schulfreunden der Kinder, und jeden Abend im Advent lesen wir gemeinsam eine Geschichte oder machen Musik.“


Ein Familienmodell, das nicht klassisch ist

Besonders wichtig ist dabei der Brauch des Adventskalenders im Haus der Kinderdorfmutter. Eine alte Schubkastenbox ist umgewandelt worden zu 24 Türchen voll mit kleinen Geschenken. An jedem Tag darf ein Kästchen geöffnet und anschließend umgedreht werden. So entsteht in 24 Tagen ein wunderschönes Weihnachtsbild, das am Ende sogar die Krippe zeigt. Materielles ist hier zweitrangig, denn der Kalender stärkt vor allem das Familiengefühl. „Unsere Kinder leben in einem Familienmodell, das nicht klassisch ist“, erklärt die Pädagogin. „Sie alle haben leibliche Familien, bei denen sie aus unterschiedlichen Gründen nicht bleiben können. Die Weihnachtszeit ist für uns auch eine Chance, als Kinderdorffamilie noch besser zusammenzuwachsen.“ Toni ist heute dran, den Adventskalender zu öffnen, und präsentiert stolz einen Gutschein für „Einmal Grießbrei zum Abendessen essen“. Sein Bruder war gestern an der Reihe und verwahrt nun aufgeregt den Gutschein, der ihn bemächtigt, einen Film für den gemeinsamen Fernsehabend auszusuchen. Akribisch zählen die beiden Jungen die Tage bis Weihnachten. Natürlich spielt die Aussicht auf Geschenke eine Rolle, aber auch die besinnliche Zeit tut den Jungen gut. „Ich merke bei meinen Kindern aber auch ein Gefühl der Sehnsucht. Nicht nur darauf, dass der Heilige Abend nun endlich da ist, sondern auch eine Sehnsucht nach einer heilen Familie“, beschreibt Schwester Jordana.


Weihnachtsgeschichte stärkt

Wenn das Jugendamt entscheidet, dass Kinder nicht mehr bei ihren leiblichen Familien bleiben können und dauerhaft in einer Kinderdorffamilie untergebracht werden, gibt es immer eine Vorgeschichte. Nicht alle Kinder in Schwester Jordanas Familie haben noch Kontakt zu ihren leiblichen Eltern, alle aber feiern gemeinsam in der Kinderdorffamilie das Weihnachtsfest. Die Weihnachtsgeschichte gibt ihnen dabei Stärke, denn auch Maria und Josefs Weg ist kein klassischer. „Wir blicken auf ein Paar, das eine schwierige Ehe hat, das in Obdachlosigkeit und Armut lebt“, erklärt Schwester Jordana. „Auch Jesu Familienverhältnisse waren nicht ideal.“ In der Krippe stellt die Kinderdorffamilie in jedem Jahr die Weihnachtsgeschichte nach. An Heiligabend, nach dem Gottesdienst in der Kinderdorfkapelle, wird mit dem Einlegen des Gotteskindes in die Krippe die Geschichte komplettiert. „Dann ist Jesus da“, sagt Jordana. „Und dann haben wir Grund zum Feiern.“

Weihnachten gehört in Schwester Jordanas Kinderdorffamilie den Kindern. Sie dürfen entscheiden, wie der gemeinsame Tag abläuft: Um das Warten auf den Heiligen Abend zu verkürzen, liebt es die Familie, schwimmen zu gehen oder noch einmal einen gemeinsamen Spaziergang mit den heilpädagogischen Pferden von der Kidoranch zu unternehmen. Jedes Kind darf sich das Weihnachtsoutfit aus dem Kleiderschrank aussuchen, meist fällt die Wahl auf neue Kleidung, und gemeinsam wird das Haareflechten und Spängchensetzen zelebriert. Über das Weihnachtsmenü wird bereits einige Tage vorher demokratisch abgestimmt. „In einem Haushalt mit unter Zehnjährigen fällt dann die Wahl natürlich auf Hähnchen mit Pommes“, erzählt Schwester Jordana und lacht. „Aber auch Fingerfood hatten wir schon. Das eignet sich besser zum schnellen Essen zwischen den ausgiebigen Spieleinheiten unter dem Tannenbaum.“


„Die Botschaft Gottes wird in einem Baby begreifbar“

Schwester Jordana ist glücklich, wenn sie ihre Kinder unter dem Baum beobachtet. Oft hat sie selbst an Heiligabend noch Besuch eingeladen. Zu wichtig ist ihr das Fest, um, wenn die Kinder um neun Uhr im Bett verschwunden sind, alleine im weihnachtlichen Wohnzimmer zu sitzen. In diesem Jahr werden zwei ihrer Konventschwestern beim Fest dabei sein. Und dennoch hat sich mit dem Einzug von Lara im letzten Jahr etwas in der Einstellung der Ordensfrau verändert. Als sie letztes Jahr mit dem Säuglingskind im Arm in der Kapelle saß, übermannte sie ein besonderes Gefühl der Rührung, das bis heute anhält. „Die Botschaft Gottes wird in einem Baby
begreifbar“, sagt sie und ihre Augen beginnen zu leuchten. „So fühlt sich das an. Das hat unser Gott gemacht.“