Die Theologie: eine Wissenschaft für sich. Sie hat über Jahrhunderte Disziplinen ausgebildet, beleuchtet das Christentum aus verschiedenen Blickwinkeln. In sich ist jede Disziplin noch einmal vielfältig. Auch wenn das der ein oder andere gerne hätte: Die eine, für alle verbindliche Aussage über Gott, den Glauben und das Leben gibt es nicht. Jedes Dogma, jedes Gleichnis, jede Vorschrift unterliegt der jeweiligen, wissenschaftlich begründeten Interpretation: gestern, heute und morgen.
Nicht anders ergeht es der Kirche, wenn sie sich – wie im Bistum Aachen – auf den Weg macht, sich ihrer Grundlagen und weiteren Vorgehensweisen zu vergewissern. Aufmerksam nehmen die Aachener Theologen Simone Paganini, Guido Meyer und Patrick Becker den Gesprächs- und Veränderungsprozess „Heute bei dir“ wahr. Sie werten ihn grundsätzlich als positive Chance. Wie Theologen so sind, wenden sie alle Aspekte hin und her, die sie mit dem Anliegen verbinden, um einen konstruktiven Beitrag zu leisten.
Im Grunde ist es wie mit einer guten Suppe, die auf einem Teller dampft. Mit diesem Bild arbeiten die drei Theologen, um ihre Gedanken rund um einen gelingenden Dialog von Kirche mit der heutigen Gesellschaft auf den Punkt zu bringen. Nahrhaft soll sie sein, die Suppe, und sie soll schmecken. Aber welcher Weg führt zu diesem Ziel? Die Geschmäcker sind nun mal verschieden – und auch das Verständnis dessen, was in eine nahrhafte Suppe hineingehört und was auf jeden Fall nicht. Wer bestimmt das: Viele Köche verderben den Brei, heißt es, aber wenn nur einer kocht, kommt das dabei heraus, was er unter einer guten Suppe versteht. Es ist kompliziert.
Und so kommen die drei, die am Institut für Katholische Theologie der RWTH Aachen arbeiten, zu einer ersten Aussage. Soll Dialog echt und wahrhaftig sein, soll er gelingen, soll er seinen Beitrag zur Zukunft leisten, muss er anerkennen, dass die heutige Gesellschaft plural ist. Die Menschen, die in ihr leben, auch die Christen, die in ihr leben, haben sehr verschiedene Vorstellungen von einem guten Leben, von einem guten Miteinander, von Glauben und von Gott.
Das anzuerkennen, davon auszugehen, dass dem einen eine deftige Erbensuppe mit Wursteinlage schmeckt und dem anderen die filigrane französische Küche, bildet eine zwingende Voraussetzung, damit man alle an einen Tisch bekommt. Die Kirche muss darauf achten, dass Vielfalt auf dem Speisezettel steht. Ansonsten laufen ihr viele Gäste weg, obwohl sie sich nach einem guten Essen unter dem Dach der christlichen Glaubensgemeinschaft sehnen. Sie finden sich im wohlgemeinten Angebot der Kirche nicht wieder.
Mancherorts beschränke sich die kulinarische Köstlichkeit weiter auf den altbewährten Eintopf, der niemandem mehr so recht schmecke, kritisieren die Theologen. Die Idee einer „Suppe für alle“ trage auch nicht mehr. Gefragt sei hingegen die Festtagssuppe mit raffinierten Zutaten, unerwartet gewürzt. Aus dem Bild übertragen verstehen Paganini, Meyer und Becker das Gebot der Stunde so: Natürlich müsse die Kirche weiter dem einzelnen eine Verortung geben in den Traditionen, die das Lehramt überliefert. Bei aller Individualisierung benötigten die Gläubigen ein Fundament, auf dessen Boden religiöse und spirituelle Erfahrungen möglich werden. Aber die Verkündigung der Botschaft Christi dürfe sich nicht in den überlieferten Dogmen erschöpfen. Die biblische Offenbarung sei größer, die institutionelle Kirche müsse die Zeichen der Zeit erkennen und sich öffnen für einen Dienst am Heil und an der Welt, der größer und anders ist als das, was sie bislang macht.
Die Gesellschaft wolle eine Kirche, die in der Dynamik der heutigen Welt Grenzen zöge als moralischer Impulsgeber. Zeichen und Werkzeug des Heils zu sein, lautet das Vermächtnis des Zweiten Vatikanums, erinnern die Theologen. Sie wissen, dass sie damit eher am Rand des Suppentellers sitzen. In dieser Rolle finden sie sich wieder und sagen: In der Mitte des Tellers ist es am heißesten. Dort kann man sich rasch den Mund verbrennen, vor allem, wenn sich die Diskussion auf diesen Teil der Suppe verengt.
Dabei wollen die Menschen weit mehr von der Kirche, sie essen die Suppe eher vom Rand her, weil sie dort angenehm temperiert ist und ihnen genauso schmeckt wie mittendrin. Das beobachten die Theologen aufmerksam, und sie sehen aber auch, dass immer mehr christlich sozialisierte Menschen über den Tellerrand hinausschauen. Diese erwarten von ihrer Kirche, dass sie sich zu dem positioniert, was außerhalb des katholischen Tellers ist. Sie wollen Aussagen zum Miteinander mit Menschen, die anders oder gar nicht glauben. Sie wollen Aussagen zu einem Leben, das anders ist als das, was die reine Lehre verkündet. Sie wollen Aussagen zur Verantwortung der Christen und der Kirche in der Welt.
Die Theologen sehen in Papst Franziskus einen Vorreiter für diesen Blick über den Tellerrand. Er stehe dafür, nicht nur das eigene Süppchen zu kochen. Seine Enzyklika „Laudato si“ zum Beispiel setze für die Weltverantwortung von Kirche und Christen Maßstäbe. Sie breche eine Lanze dafür, mehr zu sehen als den eigenen Kernbereich, frei nach dem Motto: Gib dem Guten eine Chance, auch wenn es nicht christlich ist. Kirche braucht Verbündete, um ihren eigenen Auftrag in der modernen Welt umzusetzen.
Das alles erfordert Mut, räumen die drei Theologen ein. Sie wissen um die reflexhafte Abwehr gegenüber einer Öffnung der Kirche in den Fragen von Glaubenssätzen, von Ritualen, von Ästhetik und von Hierarchie. Im vorauseilenden Gehorsam hätten viele eine Schere im Kopf, die aber das Gelingen des Dialogs enorm erschwere. Wohin soll er führen, wenn soviel ausgeklammert ist? Paganini, Meyer und Becker ermutigen zum Mut, fordern eine größere Experimentalkultur der Institution. Das wiederum geht nur, wenn sehr viel Vertrauen gegeben und wenig Kontrolle ausgeübt wird.
Schon der Weg ist das Ziel, streuen die Theologen als nächsten Gedanken ein. Wenn die Kirche wirklich wieder mehr Menschen erreichen will, muss sie sich auch anderweitig öffnen. Die wichtigsten Zutaten sind nun mal Menschen, welche die Botschaft weitertragen. Und da gibt es bisher eine solide Einheitswürzung, die zwar nicht wenige trifft, aber doch die Suppe nicht so reichhaltig mit Geschmack versieht, wie es nötig wäre. Aus dem Bild genommen heißt das: Die Kirche rekrutiert im Moment einen Großteil ihrer Mitarbeiter aus wenigen Milieus, entlehnt ihre Ästhetik und ihre Sprache aus ebendiesen Milieus und erreicht daher auch weiterhin eher nur diese Milieus.
Die Frage der Menschen dieser Zeit laute, so wenig man sich eventuell auch damit anfreunden könne: „Was bringt mir das?“ Auf diese pragmatische Suche müsse die Kirche wahrhaftige Antworten geben. Und zwar Antworten, welche aus andere Milieus überzeugen als die, die sie bislang nur erreicht. Was den einen anspricht, verschreckt den anderen und umgekehrt. Vielleicht braucht es so etwas wie neuen Respekt voreinander. Das ist ja auch generell die Herausforderung in unserer Gesellschaft, welche sich schwer tut mit dem anderen und dem Fremden.
In einem Prozess wie „Heute bei dir“ könne durchaus so ein neues Klima und eine neue Akzeptanz entstehen, sagen die Theologen. Was aus ihrer Sicht dazu beitragen kann, damit Kirche im Bistum Aachen eine gut gewürzte, nahrhafte Suppe für alle Menschen auf dem Bistumsgebiet ist und wird, haben sie im Gespräch entwickelt. Sie kennen den Vorwurf, im Elfenbeinturm lasse sich leicht reden. Sie wissen, dass es darum geht, dicke Bretter zu bohren – und zwar nicht allein in die Gesellschaft hinein, die der Kirche fremd geworden ist. Sondern auch in die Kirche, die der Gesellschaft fremd geworden ist.