Was uns die Geschichte der Heiligen Familie sagt

Wie geht es nach den Feiertagen weiter, wenn die Weihnachtsseligkeit vorbei ist?

Die Sehnsucht nach einem Zuhause drückt sich auch darin aus, dass Obdachlose ihre Schlafplätze wie Zimmer einrichten. (c) www.pixabay.com
Die Sehnsucht nach einem Zuhause drückt sich auch darin aus, dass Obdachlose ihre Schlafplätze wie Zimmer einrichten.
Datum:
14. Dez. 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 50/2021 | Garnet Manecke

Weihnachten ist die Zeit, in der man sich gerne an diejenigen erinnert, die es nicht so gut im Leben haben. Zum Beispiel Obdachlose. Jetzt werden Lebensmittel und Süßigkeiten für Weihnachtstüten und Festessen gespendet. Aber ist das wirklich Wohltätigkeit, die aus Barmherzigkeit geschieht? Hilft es den Menschen wirklich, wenn man eine Münze in den hingehaltenen Becher wirft? Ein paar Gedanken zur Weihnachtszeit.

Der Sozialdienst katholischer Menschen SKM Rheydt sammelt Spenden, um am 24. Dezember ein Weihnachtsfrühstück für Obdachlose ausrichten zu können. Die Gemeinschaft Sant’Egidio lädt traditionell am ersten Weihnachtstag die Menschen zu einem Weihnachtsessen ein, um die sie sich das ganze Jahr kümmert. Im vergangenen Jahr fand das wegen der Pandemie nicht statt. Aber trotzdem hat die Gemeinschaft einen Weg gefunden, corona-konform eine Andacht zu feiern. Auch in diesem Jahr ist das wieder geplant.

Die Tafeln in den Regionen Mönchengladbach und Heinsberg verteilen Weihnachtspäckchen. Private Initiativen wie die Straßenkämpfer in Rheydt oder die Suppentanten in Mönchengladbach, die jede Woche Obdachlose mit einer warmen Mahlzeit versorgen, geben Weihnachtstüten aus. All das passiert, um es Menschen, die niemanden mehr haben, das Leben etwas zu erleichtern. Denn zu den Leckereien gibt es, und das ist noch wichtiger, auch menschliche Zuwendung. Kontakte zu anderen, ein paar freundliche Worte. Die Botschaft: „Ihr seid nicht vergessen.“

Es gibt Obdachlose, die sind an diesen  Tagen überhaupt nicht ansprechbar

Allein auf der Straße, ohne Familie: Das Gefühl, der Einsamkeit ist an den Feiertagen besonders schlimm. (c) www.pixabay.com
Allein auf der Straße, ohne Familie: Das Gefühl, der Einsamkeit ist an den Feiertagen besonders schlimm.

Aber stimmt das wirklich? Die Menschen, die auf der Straße leben, leben ohne den Schutz einer eigenen Wohnung, sie sitzen nicht im Kreis einer Familie, die ihnen auch in schweren Zeiten beisteht. Sie sind allein. Und die Weihnachstage, an denen Familien zusammenkommen, machen das noch deutlicher. „Es gibt Obdachlose, die sind an diesen Tagen gar nicht mehr ansprechbar“, sagt Manuela Brülls von der Gemeinschaft Sant’Egidio. Auch wenn man die Menschen zu einem Essen einlädt – danach gehen sie wieder raus. Dorthin, wo sie allein sind – selbst dann, wenn sie sich in Gruppen zusammengetan haben.

Das Kind, dessen Geburt wir an den  Weihnachtstagen feiern, ist obdachlos

Während in den Stuben die Lichter brennen, ist es draußen dunkel. Während es drinnen warm ist, ist es draußen kalt. Die Einsamkeit, das Gefühl, von der Welt verstoßen worden zu sein, ist dann besonders schmerzlich. In Gottesdiensten und bei Weihnachtsfeiern wird die Geschichte der Heiligen Familie erzählt, die auf der Suche nach einer Herberge abgewiesen wird. Das Kind, dessen Geburt wir Christen feiern, ist obdachlos.
Wenn wir die Weihnachtsgeschichte hören, dann hören wir die Geschichte einer obdachlosen Familie. Ihnen wurden viele Türen vor der Nase zugeschlagen, bevor sie zumindest den Stall fanden.

„Egal wer du bist, egal wo du herkommst, egal wie du aussiehst, egal wie sehr dein Leben dich geprägt hat und egal wie krank oder gesund du bist, hier ist ein Platz für alle. Also auch ein Platz für Menschen, die sonst kaum einen Ort haben, an dem sie willkommen sind“, heißt es auf der Homepage des Mönchengladbacher Vereins Wohlfahrt. Der Verein ist Träger des Bruno-Lelieveld-Hauses in Mönchengladbach. Hier können Obdachlose ihre Grundbedürfnisse stillen: etwas essen, sich waschen oder die Toilette benutzen. 
Was für viele selbstverständlich ist, wird zum Luxus, wenn man auf der Straße lebt. Während es für Menschen mit gutem Einkommen eine reiche Auswahl an Orten gibt, an denen sie willkommen sind, ist die Auswahl für Menschen in Armut überschaubar. Für jene ohne festen Wohnsitz gilt das im besonderen Maße.

Wer die Geschichte der Heiligen Familie hört, wundert sich, warum ihnen so oft die Tür vor der Nase zugeschlagen wird. Maria ist doch schwanger. Aber Hand aufs Herz: Wie würde man selbst reagieren, wenn ein fremdes Paar vor der Tür um Einlass bittet? Wie reagiert man, wenn es klingelt und draußen steht ein wohnungsloser Mensch? Ungewaschen, müde, in schmutziger Kleidung. Würde man sagen: „Komm rein, nimm ein Bad und setz dich zu uns. Es ist genug Essen da“? Oder würde man eher angewidert versuchen, ihn wegzuscheuchen? Vielleicht gar mit Worten wie: „Geh weg, du Penner“? 
Weihnachten wird jedes Jahr gefeiert und die Geschichte jedes Jahr erzählt. Wie die Heilige Familie sind auch hierzulande immer mehr Familien obdachlos. Einfach, weil bezahlbarer Wohnraum fehlt.

Laut aktuellem Statistikbericht der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungs-
losenhilfe (BAGW) sind ein Viertel der Wohnungslosen erwerbstätig. Die BAGW schätzt, dass rund 680000 Menschen in Deutschland wohnungslos sind, darunter 20000 Kinder. Ihnen ein wenig menschliche Wärme zu schenken, ist eine gute Tat. Die aber immer nur die Wirkung eines Pflasters hat, wenn sich nicht jeder einzelne in der Gesellschaft dafür einsetzt, die Lebensumstände Wohnungsloser dauerhaft zu verändern. Ein erster Schritt ist es, daran zu denken, dass das Kind in dem Stall einer von ihnen ist.

INFO

Der SKM Rheydt bietet im Haus Emmaus ein Tagescafé für Obdachlose an. Hier bekommen sie eine warme Mahlzeit, können duschen und ihre Wäsche waschen. Dazu gibt es Beratungsangebote. www.skm-ry.de
Im Bruno-Lelieveld-Haus können sich Obdachlose aufwärmen, etwas essen und trinken. Auch ihrer Körperpflege können sie nachgehen. www.verein-wohlfahrt.de
Sant’Egidio bietet jeden Samstag den Franziskustisch an. Hier können nicht nur Obdachlose Platz nehmen. Zu den Stammgästen gehören auch viele Menschen, die in Armut leben, geflüchtet sind oder alte Menschen.
Die Caritas bietet jeden Mittwoch einen Mittagstisch in der Kirche St. Albertus an.