Im März 2020 nahm die Forschungsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) „Sakralraumtransformation – Funktion und Nutzung religiöser Orte in Deutschland“, abgekürzt „Transara“, ihre Arbeit auf. Jetzt legt sie mit dem Band „Kirche im Wandel“ den Ertrag ihrer ersten Jahrestagung vor.
Spätestens mit Beginn des KIM-Prozesses ist im Bistum Aachen das Thema „Umnutzung von Kirchen oder pfarrlich genutzten Gebäuden“ leidenschaftlich diskutiert worden. Nicht wegzuleugnen ist die Tatsache, dass die Institution Kirche zunehmend an Bedeutung verliert – sowohl bei der Kirche Nahestehenden als auch allgemein in der Gesellschaft. Die christlichen Gemeinden geraten immer stärker in eine Minderheiten-situation – ein Prozess, der durch interne Probleme vor allem in der römisch-katholischen Kirche beschleunigt wird und auch im katholischen Rheinland deutlich zu spüren ist.
Die sinkenden Kirchenmitgliederzahlen erhöhen natürlich den Druck auf die einzelnen Gemeinden, ihren mittlerweile meist viel zu großen Immobilienbestand kritisch unter die Lupe zu nehmen. Sowohl Katholiken wie Protestanten müssen sich die Frage stellen, ob Kirchengebäude verkauft werden, ungenutzt bleiben oder einer neuen, respektive erweiterten Nutzung zugeführt werden sollen.
Mit genau diesen Fragen setzt sich die Forschungsgruppe „Sakralraumtransformationen“ auseinander. Der erste Band der Reihe gleichen Namens ist unter dem Titel „Kirche im Wandel“ erschienen.
Herausgeber ist Professor em. Albert Gerhards von der Rheinischen Friedrich-
Wilhelms-Universität Bonn (Bild), der das Gesamtprojekt gemeinsam mit Kerstin
Menzel von der Universität Leipzig koordiniert und auch Sprecher der Forschungsgruppe ist. Die beiden Untersuchungsräume Aachen und Leipzig ermöglichen einen Vergleich zwischen Regionen mit unterschiedlichen konfessionellen Prägungen.
Darüber hinaus waren und sind sowohl der Raum Leipzig als auch der Raum Aachen durch den Braunkohletagebau gekennzeichnet, der sehr öffentlichkeitswirksame Sakralraumtransformationen in Gang setzt. Im Leipziger Raum etwa wurde eine komplette Kirche versetzt, während im Raum Aachen der Abriss des „Immerather Doms“ mediale Wellen schlug und sich trotz aller Proteste nicht verhindern ließ.
Die doppelte Herausforderung, wenn wie im Falle von St. Clemens Inden und St. Pankratius Altdorf nicht nur zwei Kirchen dem Tagebau weichen müssen, sondern sich in der Folge zwei Gemeinden eine neue Kirche zu teilen haben, beschreibt Pfarrer Hans-Otto von Danwitz recht anschaulich. Der Priester, der aktuell in der Pfarrei St. Lukas Düren tätig ist, macht in seinem Beitrag zur Tagung keinen Hehl daraus, dass er sich für eine neue Kirche eine aktuellere künstlerische Gestaltung gewünscht hätte. Hier sei eine Chance zur Gestaltung eines nachkonziliaren Kirchenraums vertan worden, stellt er mit Bedauern fest.
Darin sieht die Forschungsgruppe Transara einen ihrer Ansätze: Sie möchte die Kommunikations- und Vernetzungswege stärken sowie eine neue Dialog-Plattform mit Handlungsleitfäden anhand eines erarbeiteten Kriterienkatalogs bereitstellen. Damit soll den Verantwortlichen in den Gemeinden unter anderem auch der „Wert“ einer Nachkriegskirche vermittelt werden. Die Grafiken in dem neuen Tagungsband zeigen, dass vor allem Kirchen, die in der Zeit zwischen 1950 und 1970 erbaut wurden, als erstes in den Fokus geraten, wenn es darum geht, sich von Gotteshäusern zu trennen. Bis jetzt ist „die rechtliche Zuschreibung eines Denkmalwertes für ein zur Umnutzung anstehendes Kirchengebäude häufig der einzige Weg, um den Bau in seiner historisch gewachsenen Substanz beziehungsweise ihn generell zu erhalten“, konstatiert Stefanie Lieb, außerplanmäßige Professorin für Kunstgeschichte an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln.
Wenn auch im Bistum Aachen nach Abschluss des KIM-Prozesses schon eine große Zahl von Kirchengebäuden aus der Kirchensteuerfinanzierung herausgenommen wurde, so ist der Transformationsprozess noch lange nicht abgeschlossen. Der eklatante Priestermangel führt zu einer immer größeren Konzentration der Seelsorgeeinheiten und damit auch zu einer Dezimierung der Gottesdienstorte. Entsprechende Diskussionen werden im Bistum Aachen seit einiger Zeit im Umfeld des „Heute bei dir“-Prozesses geführt.
Damit ist das Schicksal einer weit größeren Anzahl von Kirchengebäuden ungewiss als bisher angenommen. Die Zahlen sprechen hier eine deutliche Sprache: In den Jahren 2000 bis 2010 wurde nach „Kirche im Wandel“ für 26 Gebäude im Bistum Aachen eine Umnutzung beschlossen, in den folgenden zehn Jahren waren es bereits 38 Umnutzungen, und seit 2020 sind es auch schon fünf Umnutzungen. Hinzu kommt die Planung einer Umnutzung für drei weitere Kirchen (Stand bei Drucklegung des Buches).
Doch genauso, wie der Begriff Kirche einmal für die Gemeinschaft der Glaubenden steht und ein anderes Mal für ein Gebäude, geraten mit Hilfe des Transara-Projektes weit größere Transformationen in den Blick, nämlich ein Neudenken und Neuerfinden von Kirche, Christentum beziehungsweise Religion. Ob und in welcher Weise soll die Kirche Jesu Christi „in der Welt von heute“ öffentlich präsent sein, und inwieweit ist diese Präsenz wesentliche Bedingung für den Bestand von Kirche oder nicht? Laut Jörg Seip, Professor für Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, steht den Kirchen jedenfalls „eine Epoche der Abrüstung“ bevor.
Albert Gerhards (Hg.): Kirche im Wandel. Erfahrungen und Perspektiven, Reihe Sakralraumtransformationen Bd. 1, 375 S., 117 Abb., kart., Aschendorff-Verlag, Münster 2023, Preis: 59,– Euro, als Open-access-Datei kostenlos abrufbar unter
https://www.transara.uni-bonn.de/publikationen