Was muss ich denn jetzt tun?

Das neuartige Coronavirus wirft alle möglichen Gewissheiten, Pläne, Rituale, Gewohnheiten über Bord

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Datum:
17. März 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 12/2020 | Thomas Hohenschue

Die Zahl der Menschen, die immer noch an Übertreibung und Panikmache glauben, sinkt stündlich. Im Takt der Ankündigungen, Verordnungen, Absagen, Infektions- und  Todesmeldungen gewinnen die Warnungen der Wissenschaftler vor der Pandemie an Glaubwürdigkeit. Es hat gedauert, bis sich der Ernst der Lage herumgesprochen hat. Kein Wunder: Auf so eine Infragestellung des ganzen Alltags reagieren die meisten Menschen erst einmal mit Unglauben und innerer Abwehr. Das ist ganz natürlich.

Das öffentliche Leben kommt allmählich zum Erliegen. Immer mehr Veranstaltungen werden abgesagt. (c) www.pixabay.com
Das öffentliche Leben kommt allmählich zum Erliegen. Immer mehr Veranstaltungen werden abgesagt.

Ich meine, wir sollten anfangen, unsere ganz eigene Geschichte mit dieser gesamtgesellschaftlichen Herausforderung zu erzählen. Und beginne selbst damit.

Als die Neuigkeiten aus China kamen, schaute ich da in einer eigentümlichen Mischung aus Faszination und Sorge hin. Dass dort ganze Millionenmetropolen abgeriegelt wurden, Krankenhäuser in zehn Tagen hochgezogen wurden, flößte mir direkt Respekt ein. Ohne Not tut das niemand, auch kein Staat mit so unendlichen Ressourcen wie China, dachte ich.

Als dann die ersten Meldungen über Coronafälle in Deutschland kamen, erst aus Bayern, dann aus Gangelt, wuchs meine Aufmerksamkeit. Aber da ich jenseits geregelter und seltener beruflicher Kontakte keine Verbindung in diesen Teil unseres Aachener Bistums habe, kam mir die Neuigkeit immer noch wie eine Nachricht aus einem fernen Land vor.

Das änderte sich schlagartig, als ich feststellte: Über einen einzigen Zwischenschritt hatte ich Kontakt mit einer Frau, die kräftig bei der berüchtigten Kappensitzung in Gangelt mitgefeiert hatte. Plötzlich war das Virus keine abstrakte Größe mehr, sondern es klopfte direkt an meine Tür. 

 

Eine selbst auferlegte Quarantäne

Ich habe sofort für die nächsten Tage alle Termine abgesagt und für die KirchenZeitung vom heimischen Büro aus mitgearbeitet. Die Frau wurde ebenso wie ihr Mann auf eine mögliche Infektion getestet. Die Zeit, bis die Testergebnisse eintrudelten, zog sich für alle Beteiligten unendlich hin. Zugesagt waren ursprünglich sechs Stunden, aber schon zu dieser frühen Phase dauerte es Tage, bis das bereits überlastete Labor die Ergebnisse lieferte.

Dann das Resultat: Der Ehemann der Frau war an Covid-19 erkrankt, sie selbst jedoch nicht. Sie blieb weiter in Quarantäne und hat ganz offensichtlich nicht ihr berufliches Umfeld angesteckt – und somit auch nicht die Personen, die mit ihren Arbeitskollegen zusammen leben und arbeiten, also auch mich nicht.   So beseitigte diese Nachricht eine Sorge, die ich hatte. Und ich hob die selbst auferlegte häusliche Quarantäne auf, da ich mich gesundheitlich weiter fit fühlte.

Aber dieser Vorfall hat mir gezeigt, wie knapp man bei einem hochansteckenden Virus, der sich die ersten Tage ohne Symptome im Körper verbirgt, an einer Infektion vorbeischlittern kann. Ich habe es selbst erlebt. Seitdem ich mich vorsorglich als möglichen Weiterträger  eingestuft hatte, um niemanden zu gefährden, achte ich penibel auf die Hygieneempfehlungen. Inzwischen lege ich auch die letzten schlechten Gewohnheiten ab, die ich in dem Bereich hatte. In meinem Haushalt hängen nun die zehn wichtigsten Empfehlungen an einer Tür.

Beruflich bedingt habe ich intensiven Kontakt mit einem Krankenhaus aus der Region. Dort habe ich den Balanceakt beobachten und mitgestalten dürfen, die  Öffentlichkeit über das zu informieren, was ansteht, ohne sie über Gebühr zu beunruhigen. Denn Panik hilft niemandem weiter.

Früh bekam ich interne Einschätzungen von Virologen und Intensivmedizinern zu Gesicht, was bei weiterer Ausbreitung des Coronavirus zu erwarten ist. Mit diesem Wissen im Hinterkopf habe ich Pressemitteilungen und Facebook-Postings getextet, bekam mit, wie sich Verantwortliche, Mediziner und Pflegekräfte mit großer Ernsthaftigkeit, Professionalität und Sorgfalt auf wachsende Fallzahlen vorbereiten. Und ich habe erlebt, dass eine offene, ehrliche Kommunikation Vertrauen schafft. Auch schlechte Neuigkeiten werden gut entgegengenommen, wenn sie gut begründet werden.

 

Nachvollziehbar, dass alles runterfährt

Ich meine, auch der Staat macht das richtig gut. Ein weiteres Mal fühle ich mich in meiner Auffassung bestätigt, dass meine Steuergelder gut investiert sind. Mir imponieren Verantwortungsträger, die den Rücken breit machen für alle nachgeordneten Einrichtungen, die unbequeme Entscheidungen treffen, anstatt sie nach unten zu delegieren.

Dass nun im Tagestakt das öffentliche Leben mehr und mehr zum Erliegen kommt, scheint mir vor dem, was uns ins Haus steht, die richtige Strategie. Die Verbreitung des neuartigen Virus, für das es nach Stand heute noch kein therapeutisches Mittel und keinen Impfstoff gibt, zu verlangsamen, um ältere und kranke Menschen nicht zu gefährden, erscheint mir ohne Alternative.

Folgerichtig für mein Empfinden, wenn nun in der Redaktion im Minutentakt Absagen eintrudeln: Veranstaltungen und Gottesdienste fallen aus, Einrichtungen schließen. Wir Redakteure reagieren planerisch darauf: Ab nächste Woche veröffentlichen wir keine Gottesdienste mehr. Wir wollen unsere Leserschaft und unsere Partner in den Pfarreien von unnötigen Anrufen und Vorgängen verschonen. Unsere Terminseiten werden sich auf Angebote konzentrieren, die deutlich in der Zukunft liegen. Dann, kurz vor Druck, die Entscheidung der Bundesregierung: Gottesdienste sind verboten.

Auch persönlich überschlagen sich die Ereignisse: Mein geliebter Badmintonabend mit niederländischen Freunden entfällt. Private und berufliche Termine platzen. Der Kopf ist voller Überlegungen: Was tun? Wie sich einstellen auf Einschränkungen? Dann die Sorge um die Eltern: Werden sie gesund durch diese Zeit kommen? Kaufe ich demnächst für sie ein?

Und dann auch noch das: Mein Onkel ist gestorben. Die Trauerfeier wurde bereits untersagt. Aber jetzt ist klar: Auch die Trauermesse findet nicht statt. Das ist sehr schmerzlich für meine Familie und mich – doch scheint es mir richtig so.