Was ist mir heilig?

Das Hungertuch: Inspirierende Frage und Collage aus vielen Schichten ausgerissener Zeitungsschnipseln

Das Misereor-Hungertuch 2023 „Was ist uns heilig?“ von Emeka Udemba (c) © Misereor
Das Misereor-Hungertuch 2023 „Was ist uns heilig?“ von Emeka Udemba
Datum:
22. März 2023
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 12/2023

In der Fastenzeit geht es ja nicht in erster Linie um „Verzicht“. Der Verzicht soll die Sinne schärfen für die wichtigen Dinge, die das Leben prägen, tragen und auch bereichern. In diesem Sinne ist die Frage, die das Hungertuch des Künstlers Emeka Udemba aus Nigeria stellt, existenziell: „Was ist uns heilig?“ Die KiZ-Redaktion hat in den acht Regionen Menschen in Kirche gefragt, wie ihre Antwort darauf lautet.

Manfred Lang

Brot und Butter, Eucharistie und Gebet, Atem schöpfen und ausruhen, Schulterklopfen und Umarmen, Zuwinken und Zuzwinkern, Trauer und Trost, Glücksmomente, in denen die Zeit nicht vergeht, zusammen schweigen, zusammen sein, zusammen auf etwas zugehen, was noch kommt… Es sind die einfachen Dinge im Leben und die Ursprünglichen, die mir heilig zu sein scheinen, die preiswerten und die Dinge, die man für Geld überhaupt nicht kaufen kann. Die, die materiell nichts wert sind, aber viel bedeuten. Oft sind es Augenblicke, manchmal Ahnung von Ewigkeit.

Ein großartiges Pontifikalamt kann mir ebenso heilig werden wie ein Spaziergang im Frühnebel durch die Felder. Ein Psalm, den ich schon hundert Mal ahnungslos mehr vor mich hingesprochen als gebetet habe, und dessen Inhalt mich plötzlich und unerwartet und in einem Nu bis auf den Grund meiner Seele erschüttert.

Die leuchtenden Augen der Kinder sind mir heilig, ihr grund- und absichtsloses Strahlen, aber auch ihr Schluchzen, ihre Tränen und ihre abgrundtiefe Traurigkeit, die mich aufwühlen und sich durch nichts trösten lassen, aber sich von einem Augenblick zum andern wieder in Lachen verwandeln.

Sorglosigkeit und Glück wären mir sicher heiliger, wenn ich sie besäße, so ahne ich nur, wie Gott, den ich nicht sehe und doch an ihn glaube, weil er ganz da ist, auch und sogar für mich. Das Leben ist mir heilig – und die Suche nach dem Grund aller Dinge.

Ständiger Diakon, GdG Mechernich, Autor, Journalist und Rezitator  

Stephanie Berrer

Es ist ganz klar: meine Familie! Wenn wir uns nach drei Jahren Pandemie und den damit verbundenen Entbehrungen, nach der Flut, Krieg und Zerstörung abends in die Arme nehmen und gemeinsam das Gottvertrauen nicht verlieren, dass die Welt doch noch so viel Gutes für uns bereithält, dann ist mir dieses heilig. Wenn meine drei Teenager zusammen mit den Großeltern jede Gelegenheit nutzen, um aus einem einfachen Treffen ein Fest zu machen, voneinander erzählen, diskutieren, lernen und einfach Spaß haben, dann lehne ich mich zurück und genieße die Zeit.

Koordinatorin im Pilgerbüro für die Heiligtumsfahrt Kornelimünster

Dorothea Gerards 

Eine wichtige Frage… ja, was ist mir heilig? In einer Zeit, in der man das Gefühl hat, dass alles auseinanderbricht, was uns gehalten hat: unsere Werte, unsere Glaubensgemeinschaft (die Kirchen), unser soziales System (mehr alte Menschen, als Junge – die Alterspyramide …), das Gesundheitssystem – Krieg in Europa – Klimawandel – Umweltkatastrophen…
Gerade in dieser Zeit ist mir „heilig“: meine Familie… die Liebe… das Gute, Schöne und Frieden zu bewahren in dieser besonderen Zeit, gerade im Kleinen versuchen, gut zu sein und zu bleiben, Achtung gegenüber jedem Menschen und Natur, unserer gesamten Umwelt zu haben, im Hier und Jetzt zu leben, authentisch zu sein! 

Kirchenvorstand in der Gemeinde St. Martinus Linnich

 Michael Kock 

Im vergangenen Jahr ist mein Zwillingsbruder plötzlich verstorben. Wir haben uns nicht mehr verabschieden können. Unser Kontakt war immer eng und zu keiner Zeit unterbrochen. Das hat uns beiden stets sehr viel bedeutet. Unser Miteinander war mir heilig und wird es für mich immer sein. Ihn jetzt so zu vermissen, lässt mich gewiss sein, dass mir eine Beziehung zu einem Menschen so viel bedeuten kann und etwas Heiliges wird. So wird mein Bruder kein Heiliger, aber die Verbindung zu ihm wird so besonders, so „heilig“. Ich trete sehr gerne mit Menschen in Beziehung und verstehe – jetzt besonders –, dass meine menschliche Beziehungsfähigkeit mir Heiligkeit erst eröffnet. Nicht nur unter Brüdern!

Ehrenamtlicher im Repaircafé Erkelenz, Stammeskurat der Pfadfinder Immerath-Neu

 Sylke Seefeldt 

   Da brauche ich gar nicht lange zu überlegen: Jesus ist mir heilig!
Dass ich an ihn glauben darf, dass ich weiß: Ich bin von Jesus geliebt, trotz meiner Fehler. Dass es mir daher auch egal sein kann, was andere von mir denken oder über mich sagen. Jesus ist mein Mittelpunkt, und aus dieser Verbundenheit darf ich meinen Mann und meine Kinder lieben, aus dieser Kraft kann ich Trauernde begleiten, einsame und kranke Menschen in den Seniorenheimen besuchen, aber auch Kindern meinen Glauben näherbringen.

Gemeindereferentin in der GdG Mönchengladbach-Giesenkirchen

Heinz-Georg Schenke 

„An erster Stelle sind meine Frau, Kinder, Enkel und die Familie mir heilig. Es gibt aber noch andere Personen, die für mich eine große Rolle spielen. Dazu zählen meine Freunde, die ich schon lange kenne. Mit denen ich gemeinsam gute und schlechte Zeiten erlebt habe im Laufe der Jahre. Die immer da waren und einen getragen und unterstützt haben ohne Wenn und Aber. Dies ist ein Schatz, eine Kraftquelle, aus der ich schöpfen kann. Umso schmerzlicher ist es, wenn eine gute Freundin viel zu früh geht. Diese Lücke wird für immer bleiben, aber im Herzen lebt sie weiter bis wir uns eines Tages wiedersehen.“

Geschäftsführer der Grabeskirche St. Mariä Heimsuchung Alsdorf

Hildegard Rother-Hauser 

Die Möglichkeiten meines persönlichen Lebens sind so vielfältig: Ich lebe mehr als auskömmlich und kann mir viele materielle Wünsche erfüllen. Ich bin eingebettet in Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft und habe somit Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
Ich habe Zugang zu vielen Informationsquellen und bin gut unterrichtet.
Aber alle Ermöglichung lenkt mich auch ab, erfordert von mir ständige Entscheidungen nach Priorisierung und lässt mich meine Fokussierung verlieren.

Aber genau das ist mir heilig: mich zu konzentrieren auf den mir zugewiesenen Platz im Leben, in der Schöpfung Gottes, um hier in der Nähe und in meinen Bezügen zu wirken, meine Talente und Befähigung einzubringen. Es hilft mir dann auch dabei, die Ängste und Unsicherheiten, die durch das Weltgeschehen auf mich einwirken, nicht in den Vordergrund zu lassen und mich zu erfreuen an den vermeintlich unscheinbaren Dingen des Alltags.

Ehrenamtliches Mitglied im Regionalteam Krefeld

Giovanni Solinas 

Wir alle sollten einen Teil unserer Zeit einem gesunden Egoismus widmen. Was bedeutet das konkret? Wir sollten uns eine „heilige“ Stunde nehmen, in der wir keine Verantwortung gegenüber der Außenwelt haben, weil jede einzelne Handlung auf unser persönliches Wohlbefinden ausgerichtet ist.

Das bedeutet keineswegs, dass wir uns um alles und jeden scheren, sondern ganz einfach, dass wir unsere Prioritäten ändern: Wir kümmern uns um andere, vernachlässigen aber niemals das, was uns gut tut.

Gesunder Egoismus sollte eine Notwendigkeit sein, aber im Laufe der Zeit hat er sich in ein Bedürfnis verwandelt, und in dieser heuchlerischen Gesellschaft, die von uns allen verlangt, barmherzige Samariter zu sein, ist er zu etwas geworden, wofür man sich schämen muss.

Unglaublich, dass wir in einer Zeit, in der wir vom Überflüssigen erdrückt werden, die Zeit, die wir uns selbst widmen, als überflüssig ansehen. Denn gesunder Egoismus ist genau das: sich Zeit und Raum für sich selbst zu nehmen. Die Idee ist so einfach, dass sie uns in unserer komplexen Überflussgesellschaft unverständlich erscheint, aber das umzusetzen ist (leider!) nicht so einfach …

Dabei reichen schon 60 Minuten am Tag aus, um sich unglaublich besser zu fühlen, selbst wenn sie nicht aufeinander folgen.

Kirchenmusiker der Pfarrei St. Cornelius und Peter Viersen-Dülken, Künstlerischer Leiter des Motette-Psallite-Verlages