Wegberg. Mit der Diskussion um eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht ist auch das soziale Engagement vor allem von jungen Menschen in den Fokus geraten. Angesichts der politischen Spaltung des Landes und der damit einhergehenden Gefahr für die Demokratie: Wäre da ein soziales Pflichtjahr nicht gut für den Zusammenhalt in der Gesellschaft? Wie könnte das aussehen?
Diese Frage stellte der BDKJ (Bund der Deutschen Katholischen Jugend) in einer Online Disksussion mit dem Thema „Wer wählt freiwillig Pflicht? Pflichtjahr einführen oder Freiwilligendienst stärken?“. Ein Pflichtjahr sieht der Verfassungsrechtler Professor Bernhard Schlink nicht kommen. Schlink lehrt an der Humboldt-Universität Berlin öffentliches Recht und Rechtsphilosophie. „Die Einführung eines Pflichtjahres erfordert eine Grundgesetzänderung und infrastrukturelle Vorbereitungen“, sagt Schlink. Ein soziales Pflichtjahr müsse auch pädagogisch und fachlich geleitet werden. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wäre es allerdings förderlich. „Dass eine Gesellschaft von einem Pflichtjahr profitiert, ist oft belegt worden“, sagt Schlink. „Die Dienstleistenden erfahren Begegnungen mit Menschen, denen sie sonst nie begegnen würden. Sie gewinnen an sozialer Intelligenz und Kompetenz.“ Zivildienstleistende hätten oft den Gewinn durch ihren Dienst beschrieben. Umfragen zeigten, dass 66 Prozent der Jugendlichen und 73 Prozent der Bürger ein verpflichtendes Dienstjahr befürworteten.
Auch Michael Houben spricht sich für ein Pflichtjahr aus. Aber: „Auch Ältere sollten ein Pflichtjahr leisten“, findet der 57-Jährige. Er ist gerade im „engagierten Ruhestand“, ein Programm für Beamte aus Postnachfolgeunternehmen, die schon mit 55 Jahren in den Ruhestand gehen. Um ihre Pension abschlagsfrei zu erhalten, müssen sie sich 1000 Stunden ehrenamtlich engagieren. Houben leistet das Engagement im Haus St. Georg in Wegberg. „Das bringt mir total viel“, sagt der 57-Jährige, der nun Büsche schneidet, Möbel repariert und Tische für Gästegruppen schleppt. Dabei schätzt der Vater von drei Kindern im Alter von 27 bis 33 Jahren die Zusammenarbeit mit jungen Freiwilligen, die gerade die Schule abgeschlossen haben. „Die Gespräche mit der jungen Generation sind nicht immer leicht, aber total spannend“, sagt er. Der Perspektivwechsel sei Bereicherung.
Einer, der Houbens Leben auf diese Weise bereichert, ist Lars Decker. Der 18-Jährige wusste nach dem Abitur nicht so recht, was er tun sollte und entschied sich erst mal für den Bundesfreiwilligendienst (Bufdi) im Haus Wegberg. „Man lernt Leute kennen und gewinnt viele Einblicke ins Berufsleben“, zählt Decker die Vorteile auf. „Ich denke, dass ich auch selbstbewusster geworden bin.“ Obwohl Decker ein Freiwilliges Jahr sinnvoll findet, hält der 18-Jährige nichts von einem Pflichtjahr. „Ich habe mit vielen Bekannten und Freunden darüber gesprochen“, sagt er. „Viele sehen das für sich gar nicht und hätten auch keine Lust darauf.“
Den Aspekt „ keine Lust“ hält sein älterer Kollege Houben für kein Argument in der Diskussion. „Ich habe keine Lust, Steuern zu zahlen, aber dennoch haben meine Familie und ich davon profitiert“, sagt der 57-Jährige mit Blick auf Kindergeld und Schulbildung. Houben hat in der Diskussion noch einen anderen Punkt: „Die Vergütung für die Freiwilligendienste sollte besser sein“, findet er. Auch Vergünstigungen bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder für Freizeitangebote könnte es geben.
Das sieht auch Felicitas Hoffmann so. Sie koordiniert die Freiwilligen-Dienste im Haus St. Georg Wegberg. Das Selbstversorger-Haus bietet Übernachtungsmöglichkeiten und Tagungsräume für seine Gäste. Dazu gehört ein großes Außengelände, das von Pfadfindern und anderen Gruppen gerne für Zeltlager genutzt wird. „Bei den jungen Freiwilligen wird im Lauf des Jahres ein Verselbstständigungsprozess in Gang gebracht“, beobachtet Hoffmann. Die meisten brauchten zu Beginn klare Anleitungen: Wie geht man eine Aufgabe an und welches Werkzeug wird benötigt? Mit der Zeit lösen die Freiwilligen die Aufgaben selbstständiger, bringen eigene Ideen ein und setzen sie auch selbstverantwortlich um.
„Ich bin immer wieder begeistert, wie nachhaltig uns die Jugendlichen bereichern“, sagt Hoffmann. Gerade diese Zielgruppe nimmt für das eigene Leben einiges mit. Hoffmann erlebt immer wieder, wie Jugendliche ihre Aufgabe finden und so Entscheidungen für Ausbildung und Studium treffen können. Nicht alle Freiwilligen sind Abiturienten: Gerade das Freiwillige Ökologische Jahr wendet sich an Jugendliche mit einem Abschluss in der Real- oder Sekundarschule oder an Schulabbrecher, die eine neue Orientierung suchen.