Wahlverwandtschaften

Eine Reihe Familienpaten-Projekte und das „Aachener Netzwerk Wahlgroßeltern“ begleiten Familien

Die Ehrenamtlichen nehmen sich Zeit, zum Beispiel zum Vorlesen oder für Kinderfragen. (c) www.pixabaycom
Die Ehrenamtlichen nehmen sich Zeit, zum Beispiel zum Vorlesen oder für Kinderfragen.
Datum:
6. März 2018
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 10/2018 | Andrea Thomas
Oma und Opa und Tanten und Onkel, die gleich um die Ecke wohnen, gehören für viele Familien von heute der Vergangenheit an. Ausbildung und Beruf zwingen uns zu mehr Flexibilität, Familien zerstreuen sich räumlich zunehmend.
Oma und Opa, Tante und Onkel, die gleich um die Ecke wohnen, gehören für viele der Vergangenheit an. (c) www.pixabay.com
Oma und Opa, Tante und Onkel, die gleich um die Ecke wohnen, gehören für viele der Vergangenheit an.

Im Alltag fehlt oft der Austausch zwischen den Generationen, kann nicht eben mal jemand aus der Familie einspringen, wenn Eltern Entlastung und Unterstützung brauchen. Hier helfen Familienpaten-Projekte, wie es sie inzwischen in den meisten Städten gibt. Ehrenamtliche mit einem Herz für Kinder und Familien mit allen ihren Sorgen, Nöten und Herausforderungen verschenken einmal in der Woche etwas von ihrer Zeit. So zum Beispiel in Stolberg, wo es ein solches Angebot seit Jahren gibt. Ab 2012 in gemeinsamer Trägerschaft des Bethlehem-Gesundheitszentrums und des Sozialdienstes Katholischer Männer (SKM) Stolberg, und seit zwei Jahren in Kooperation mit dem Stolberger Jugendamt. „Die Nachfrage ist ungebrochen. Wir haben inzwischen schon eine Warteliste für Familien“, berichtet Martina Küpper, die das Projekt fürs Bethlehem-Gesundheitszentrum koordiniert.

Was ihnen – wie den meisten anderen Familienpaten-Projekten in der Städteregion auch – dringend fehlt, sind Ehrenamtliche. „Viele schrecken davor zurück aus Sorge, dass sie sich in eine Verbindlichkeit begeben, aus der sie nicht mehr herauskommen, wenn es ihnen zu viel wird“, erklärt Nadine Lange, Koordinatorin beim Stolberger SKM. Eine Sorge, die unbegründet sei. „Wir begleiten unsere Paten ebenso wie die Familien, und gemeinsam lassen sich immer Lösungen finden“, sagt Nadine Lange. So schauen sie und ihre Kollegin im Vorfeld, was die Familien brauchen und sich wünschen und was die Paten können und leisten wollen. Danach vermitteln sie, und meistens passe das dann auch ganz gut zusammen, sagen die beiden Koordinatorinnen übereinstimmend. Sowohl bei den Paten als auch bei den Familien sei das Spektrum bunt und breit. So zählen zu ihren Paten sowohl die engagierte Studentin wie die rüstigen Senioren. Unter den Familien sind viele Alleinerziehende und Familien mit mehr als zwei Kindern, aber auch die klassische Kleinfamilie.

 

Von der Entlastung im Alltag bis zum Mehrwert für Familien

Die Gründe, warum sich Eltern eine Patin oder einen Paten wünschen, sind vielfältig: Zeit, um mit einem Kind zum Arzt zu gehen, ohne die anderen mitnehmen zu müssen, oder um Formalitäten erledigen zu können, Entlastung im stressigen Alltag oder jemand, der sich Zeit nimmt zum Vorlesen oder zum Spielplatzbesuch. „Man investiert Zeit, bekommt aber auch viel zurück“, sagt Irmgard Graulich, seit acht Jahren Familienpatin. Sie hat in der Zeit schon mehrere Familien begleitet, und zu mancher besteht der Kontakt bis heute. „Wenn die Kinder um mich herumsitzen und einer Geschichte zuhören, dann geht mir das Herz auf“, sagt sie. Und jung halte das auch noch. Um den Austausch zwischen den Generationen geht es auch dem „Aachener Netzwerk Wahlgroßeltern“, einem noch recht jungen Angebot. Träger ist das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in der Städteregion Aachen, das mit einer Reihe von Kooperationspartnern zusammenarbeitet. Dazu gehören Familienzentren, die evangelische Familienbildungsstätte, das Helene-Weber-Haus, die Forster Seniorenberatung, die Initiative „Engagiert älter werden“, der Fachbereich Kinder, Jugend und Schule der Stadt Aachen, der Kinderschutzbund sowie der regionale Caritasverband. „In Aachen leben viele junge Familien, unter anderem bedingt durch die Hochschule, deren Eltern weiter entfernt wohnen, die sich für ihre Kinder Ersatz-Oma oder -Opa vor Ort wünschen“, erläutert Meike Sera vom DRK, die das Angebot koordiniert. Andererseits lebten immer mehr Menschen von 60 Jahren und mehr alleine oder hätten die eigenen Kinder und Enkel nicht in der Nähe. Zu den Familien, die das Angebot nachfragen, gehören auch Alleinerziehende oder Familien, in denen ein Elternteil viel unterwegs ist, wo auch eine Entlastung willkommen ist. Doch das Angebot richte sich bewusst auch an Familien, die die Betreuung gut abgedeckt haben, die sich aber einen „Mehrwert“ wünschten, weil sie selbst mit liebevollen Großeltern aufgewachsen seien und diese Erfahrungen nun gerne auch ihren Kindern ermöglichen wollten, sagt Meike Sera. „Wir haben sogar eine junge Familie, die hat sich schon bei uns gemeldet, bevor das Baby da war, um die Wahlgroßeltern von Anfang an mit einzubinden.“ Dem stehen Senioren gegenüber, die gerne mit Kindern umgehen, sich Anschluss an eine Familie wünschen, in der sie gewollt sind, weil die eigene weiter weg lebt oder gerne mit der jüngeren Generation in Austausch kommen möchten. Diese beiden Seiten so zusammenzubringen, dass es passt, ist eine der Herausforderungen des Projektes. „Wir führen mit den Ehrenamtlichen und auch mit den Familien daher im Vorfeld eingehende Gespräche. Könnte es passen, treffen sich erst einmal die Erwachsenen ohne die Kinder, um sich kennenzulernen. Sind sich beide Seiten sympathisch, gibt es ein erstes Treffen mit der Familie und dem Wahlgroßelternteil.“ Ab da begleitet Meike Sera zwar weiter, bleibt Ansprechpartnerin bei Fragen oder eventuellen Konflikten, aber alles andere kramten beide Seiten dann miteinander, wie in einer richtigen Familie auch.

 

Eine gute Begleitung und entsprechende Qualifizierung

Ganz wichtig ist den Familienpaten wie auch dem Netzwerk Wahlgroßeltern, ihre Ehrenamtlichen gut vorzubereiten. Ein polizeiliches Führungszeugnis ist ebenso Pflicht wie die Teilnahme an einer Präventionsschulung. Bei den „Wahlgroßeltern“ gehören zudem ein Erste-Hilfe-Kurs und ein Kurs „Starke Kinder – starke Wahlgroßeltern“ zum Pflichtprogramm. Analog dazu bieten die Familienpatenprojekte in kirchlicher Trägerschaft die Möglichkeit zur Teilnahme an Fortbildungskursen über den Regionalcaritasverband. „Das kommt bei den meisten Ehrenamtlichen sehr gut an und vermittelt ihnen Sicherheit, es sind ja schließlich nicht ihre eigenen Kinder“, berichtet Meike Sera. Außerdem gibt es in allen Projekten regelmäßig die Möglichkeit, sich mit anderen Ehrenamtlichen auszutauschen, oder gemeinsame Angebote mit den betreuten Familien. „Wenn beide Seiten offen sind, kann sich da ganz viel entwickeln, und alle gewinnen“, sagt Martina Küpper und verrät das Rezept für eine gelingende Patenschaft: „Keine Ratschläge geben, den anderen nicht verändern und ganz viel Liebe und Humor.“