„Vor allem liebet Gott …“

Schwester Hiltrud gehört seit 70 Jahren der Ordensgemeinschaft der Christenserinnen an

Großes Jubiläum: Am 16. Oktober gehört Schwester Hiltrud seit 70 Jahren dem Orden der Christenserinnen an. (c) Chistian van t'Hoen
Großes Jubiläum: Am 16. Oktober gehört Schwester Hiltrud seit 70 Jahren dem Orden der Christenserinnen an.
Datum:
8. Okt. 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 41/2024 | Ruth Schlotterhose

                                 ****Starke Frauen im Bistum Aachen****

Sie engagieren sich für Menschen, die Hilfe brauchen, hier oder in anderen Teilen der Welt. Sie gründen Vereine oder Unternehmen, bilden Netzwerke, engagieren sich ehrenamtlich und wuppen nebenbei noch Familie und Beruf. Ohne starke Frauen würde im öffentlichen und gerade auch im Gemeindeleben so einiges nicht mehr funktionieren. Darum stellen wir, die Kirchenzeitung, immer wieder starke Frauen aus unserem Bistum vor. Und weil es so viele dieser engagierten Frauen gibt, ist unsere aktuelle Ausgabe ganz besonders ihnen gewidmet – weil sie es verdient haben.

Als „Dreigestirn“ stellen sie sich gut gelaunt vor: Schwester Hiltrud, Schwester 
Rufina und Schwester Secunda. Die drei Ordensfrauen leben im Heim des guten Samaritan, einem Seniorenpflegeheim im Zentrum Stolbergs. Am 16. Oktober feiert Schwester Hiltrud ein ungewöhnliches Jubiläum: Dann gehört sie seit 70 Jahren ihrem Orden an.

Denkwürdiges Datum: Postulantin Hiltrud (M.) nach ihrer Einkleidung am 5. Mai 1955. (c) privat
Denkwürdiges Datum: Postulantin Hiltrud (M.) nach ihrer Einkleidung am 5. Mai 1955.

Für den Interviewtermin mit der KirchenZeitung hat Schwester Hiltrud ihr Festtagsgewand angezogen: Statt schlichtem Weiß trägt sie feierliches Schwarz. Dieses Kleid wird sie auch bei der Jubiläumsfeier tragen. Die Beine machen nicht mehr so mit, deshalb wird Schwester Hiltrud im Rollstuhl geschoben. Fürsorgliche Hilfe erhält sie von ihren beiden Mitschwestern Schwester Secunda und Schwester Rufina.

Am 11. Januar 1936 wurde Schwester Hiltrud als Ottilie Peckels in Niederkrüchten-Elmpt geboren; da war Josef Heinrich Peter Vogt Bischof des noch jungen Bistums Aachen, Pius XI. war Papst, und Deutschland stand bereits unter nationalsozialistischer Herrschaft. Als Kind erlebte Schwester Hiltrud die Evakuierung ihrer Familie nach Großenheidorn am Steinhuder Meer mit; damals war ihre Mutter mit Zwillingen schwanger. „Hat aber alles geklappt“, sagt die 88-Jährige mit einem verschmitzten Lächeln. Nach ihren Geschwistern befragt, meint sie: „Da muss ich mal abzählen.“ Eine ganze Reihe von Namen kommt da zusammen: Richard, Hans, Trudi, Anton (erlitt als Flakhelfer einen tödlichen Unfall), Rita und Josef. Fünf Geschwister leben heute noch, zu denen Schwester Hiltrud regelmäßigen, wenn auch altersbedingt überwiegend telefonischen Kontakt pflegt.

Eine Krankenschwester in ihrem Heimatort Elmpt, wo sich seinerzeit eine Niederlassung der Christenserinnen befand, bewog Schwester Hiltrud, in den Orden einzutreten. Schon mit 18 Jahren traf sie diese schwerwiegende Entscheidung – da war sie noch minderjährig. Die Eltern waren mit Ottilies Entschluss keineswegs einverstanden, aber: „Dann warte ich eben, bis ich volljährig bin“, habe sie entgegnet. Auch ihre Geschwister baten sie, nicht wegzugehen.

Ähnliches erzählen die beiden Mitschwestern Schwester Hiltruds, die überdies auch leibliche Geschwister sind. Schwester Secunda war beim Eintritt in den Orden sogar noch keine 18 Jahre alt, Schwester Rufina war immerhin schon 19.

Nach der Volksschule absolvierte Ottilie Peckels eine dreijährige hauswirtschaftliche Ausbildung im Kloster der Heiligen Familie, einer damaligen Niederlassung der Christenserinnen in Elmpt. Anschließend trat sie am 16. Oktober 1954 in den Orden der Christenserinnen ein. Im Rahmen einer liturgischen Feier erhielt die Postulantin am 5. Mai 1955 das Ordenskleid. Auch einen neuen Namen bekam sie, wie das in vorkonziliarer Zeit üblich war. Ob die Schwester Oberin ihr den Namen Hiltrud unmittelbar zugeteilt hat oder ob der neue Name ausgelost wurde, daran kann sich Schwester Hiltrud nicht mehr erinnern. „Ich hab‘ manches vergessen“, gesteht sie.

„Vor allem liebet Gott, sodann den Nächsten“ – Christenserinnen leben nach der Augustinusregel. (c) Christian van‘t Hoen
„Vor allem liebet Gott, sodann den Nächsten“ – Christenserinnen leben nach der Augustinusregel.

In Köln-Hohenlind besuchte Schwester Hiltrud von 1957 bis 1959 die Diätschule des Caritasverbandes, die sie mit dem Staatsexamen zur Diätassistentin abschloss. Während ihrer Studienzeit legte sie am 23. April 1957 in Aachen ihre erste Profess ab. 
Die Ordensgemeinschaft der Christenserinnen ging aus den Hausgemeinschaften der Beginen hervor und gründete 1299 in Aachen ihre erste Niederlassung. Die Schwestern widmen sich der Alten- und Krankenpflege und der Kindererziehung. Seit 1974 ist Haus Maria im Venn in Stolberg-Venwegen das Mutterhaus der Christenserinnen – Ende September wurde dort das 50-jährige Bestehen gefeiert.

Schwester Hiltrud begann ihr Berufsleben noch im Aachener Mutterhaus an der Aureliusstraße. Seit 1960 war sie als Diätassistentin und Küchenleiterin im St.-Josef-Krankenhaus Linnich tätig. Im selben Jahr legte sie am 16. Oktober die ewigen Gelübde ab. 
36 Jahre lang leitete Schwester Hiltrud die Großküche im Linnicher Krankenhaus. In den Anfangsjahren stand sie morgens bereits um halb vier auf, um als erstes den Kohleofen anzufeuern. Neben dem Aufstellen des Speiseplans nach allen Regeln der Gesundheit, dem Lebensmitteleinkauf, der Lagerhaltung und dem Anleiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehörte anfangs auch das Schleppen schwerer Kessel zu ihren Pflichten. 
Nach ihrer Pensionierung war Schwester Hiltrud bis zur Auflösung des Konventes 2004 in der Patientenbetreuung tätig. Als der Ordensnachwuchs ausblieb, mussten mit und mit verschiedene Niederlassungen aufgegeben werden.

Die Leitung der Ordensgemeinschaft liegt heute in weltlichen Händen: Peter Jankowski ist Generaladministrator der Ordensgemeinschaft der Christenserinnen e.V. und wird unterstützt durch Stefan Bienert als Ökonom und Dirk Renerken als weiteres Mitglied des Vorstandes.

2004 zogen die drei Schwestern in ein Haus, das dem Samaritanerheim in Stolberg gegenüberlag. Dort legte Schwester Hiltrud keineswegs die Hände in den Schoß, sondern unterstützte die Kolleginnen in der Hauswirtschaft des Seniorenpflegeheims nach besten Kräften, indem sie Wäsche faltete und auszeichnete.

Die Lage am Bachlauf der Vicht wurde den beiden Häusern zum Verhängnis, als 2021 die Flutkatastrophe über Stolberg hereinbrach. Mit Schrecken erinnern sich die Schwestern an die Evakuierung nach Venwegen, als sie sich wegen des Stromausfalls in absoluter Dunkelheit im Haus zurechtfinden mussten.

Heute ist das Schwesternwohnhaus Geschichte, und die drei leben als Bewohnerinnen im Samaritanerheim; Schwester Hiltrud ist inzwischen selbst pflegebedürftig. Höchst lebendig ist in ihrer Erinnerung die große Zuneigung zu ihrem Vater geblieben, mit dem sie viel gesungen hat: Zum Abschluss des Gesprächs stimmt sie den Chanson „Oh, mein Papa …“ an. Beim „großen Kinstler“ angekommen, erhellt wieder das schelmische Lächeln ihr Gesicht.