„Als Professor Dr. h. c. Josef Buchkremer am 11. Januar 1949 im 85. Lebensjahr starb, verlor der Aachener Dom den besten Hüter und einen hingebungsvollen Freund.“ Diese Worte von Dr. Kurt Vaessen sind einem Beitrag aus dem Heft „Aachen zum Jahre 1951“ entnommen, herausgegeben vom Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Heimatschutz.
Viel Zeit ist seitdem vergangen. Und dennoch hat der Name des „erfahrensten aller Münsterbaumeister“ auch heute noch Gewicht. Seine Verdienste für den Dom waren groß, seine Erkenntnisse und Gedankengänge wegweisend.
„Wir kommen heute wieder auf vieles von dem zurück, was er damals herausgefunden zu haben glaubte, zwischendurch jedoch von anderen Theorien überlagert wurde“, sagt Dr. Birgitta Falk, die Leiterin der Domschatzkammer. Ein Beispiel ist für sie die Erforschung der Geschichte des Karlsgrabes. Buchkremers schon damals umstrittene und kontrovers diskutierte Einschätzung, dass der Proserpinasarkophag oberirdisch an der zur Mauer zur Sakristei gestanden habe, gelte heute wieder als die wahrscheinlichste Variante.
Auch Dombaumeister Dr. Jan Richarz muss nicht lange überlegen, um eine Einordnung vorzunehmen. „Buchkremer war eine interessante Person. Er hat sehr genau beobachtet und kannte jede Ecke bis ins Detail. Vor 100 Jahren hat er viele Dinge sehen können, die heute nicht mehr sichtbar sind. Zum Glück hat er viel notiert und dokumentarisch gezeichnet. Das hilft uns heute bei der Einschätzung zu bevorstehenden Eingriffen.“
Wer aber war der von seinen Handwerkern ehrfürchtig „Professor“ genannte frühere Dombaumeister? Zunächst einmal ein waschechter Öcher, 1864 in einem Haus auf dem Sandkaulbach geboren. Während seiner Schulzeit auf dem Realgymnasium sagten ihm seine Lehrer bereits eine Laufbahn als berühmter Maler voraus. Nach der Schule begann er eine Lehre in einem Baugeschäft. Durch seine zeichnerischen Fähigkeiten wurde der Aachener Hochschullehrer und Architekt Karl Henrici auf ihn aufmerksam. Unter dessen Fürsprache begann Buchkremer 1883 ein Studium am Polytechnikum und arbeitete nebenbei als Student und später als Assistent im Büro Henricis.
Der Bau des ersten Gregoriushauses an der Eynattener Straße – den Auftrag erhielt er noch als Student – machte Buchkremer in der Fachwelt bekannt. Nach seiner Habilitation 1891 wurde er Privatdozent für die Bereiche Kunstgewerbe, Malerei und künstlerische Perspektive. Als freier Architekt übernahm er viele Bauprojekte und Restaurierungen. Buchkremer baute eine Villenkolonie in Koblenz, entwarf Denkmäler, Altäre oder Krankenhäuser und restaurierte unter anderem Schloss Breill bei Geilenkirchen. Einen vielbeachteten Berührungspunkt mit dem Dom gab es 1894, als er im Auftrag des Karlsvereins einen Vortrag über die Aachener Barockarchitekten Johann Joseph Couven und Jakob Couven hielt und damit eine „Couven-Renaissance“ auslöste.
Dennoch vergingen etliche weitere Jahre, in denen Buchkremer zum begehrtesten Kirchenarchitekten des Sauerlands aufstieg und zahlreiche Auslandsaufträge annahm, ehe er am Aachener Dom ab 1915 alle Arbeiten übernahm und 1917 den Titel Münsterbaumeister (ab 1931 Dombaumeister) erhielt. Bereits zuvor war er mit mehreren Projekten befasst gewesen, darunter 1898 mit der Rekonstruktion des Atriums und einige Jahre später mit der Erforschung und Wiederherstellung des Throns Karls des Großen sowie der Säulenaufstellung der Kaiserloge.
Die Liste seiner Tätigkeiten als Dombaumeister ist lang: Buchkremer ließ die erste Feuerlöschanlage einbauen (die Wasserpumpe ist bis heute in Betrieb), stellte den Durchgang zur gesperrten Wolfstür wieder her, restaurierte die schweren Schäden an der statisch gefährdeten Chorhalle unter anderem durch Einbau eines von Prof. Josef Pirlet erdachten zentralen Ankersystems („Pirlet-Anker“) und ließ in der Allerseelenkapelle 1930 eine neue Schatzkammer einziehen. Außerdem erteilte er den Auftrag zum Bau einer neuen Orgel nach eigenen Plänen. Stets achtete der Dombaumeister darauf, dass die baulichen Veränderungen mit größtmöglicher Schonung durchgeführt wurden. Immer wieder findet sich in Bauprotokollen der Satz: „Gottlob brauchten alte Architekturteile nicht gestört zu werden.“ Seiner für die damalige Zeit sehr „heutigen“ Auffassung nach hatte sich die moderne Technik dem Bau unterzuordnen. Vor jedem Eingriff forschte Buchkremer in alten Quellen und Aufzeichnungen seiner Vorgänger, ehe er ans Werk ging.
„Lückenlos lässt sich das Werk des Dombaumeisters an seinen hinterlassenen Aufzeichnungen ablesen. Alle Bauvorgänge, Erkenntnisse und Überlegungen legte er in Schriften, Protokollen, Aktennotizen und Zeichnungen fest. (…) Sein reiches Erbe wird auch für die Zukunft fruchtbar bleiben, wenn unsere Generation nur willens ist, es zu nutzen“, schließt Kurt Vaessen seine eingangs erwähnte Publikation. Der Satz hat bis heute nicht an Gültigkeit verloren.