Von heute auf morgen arm

Die Pandemie stürzt auch Menschen aus dem Mittelstand in die Armutsfalle

Die Krise trifft auch den Mittelstand. Kurzarbeit und ein faktisches Berufsverbot bringt viele Menschen in die Bedürftigkeit. (c) Nick Fewings/unsplash.com
Die Krise trifft auch den Mittelstand. Kurzarbeit und ein faktisches Berufsverbot bringt viele Menschen in die Bedürftigkeit.
Datum:
27. Okt. 2020
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 44/2020 | Garnet Manecke

Die Corona-Krise ist für alle Menschen eine Herausforderung. Obdachlose und Menschen in Armut aber trifft es besonders: Hilfsstellen, an denen sie soziale Kontakte pflegen können, dürfen nur eingeschränkt öffnen. Zudem gehen die Spendeneinnahmen zurück. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Hilfe, sagen Caritas, der Verein Wohlfahrt und der SKM.

Christoph Föhles, Norbert Schoeller, Hildegard van de Braak und Martin Dalz (v. l.) sorgen sich um die Wohnungslosen in Mönchengladbach. (c) Caritasverband Mönchengladbach
Christoph Föhles, Norbert Schoeller, Hildegard van de Braak und Martin Dalz (v. l.) sorgen sich um die Wohnungslosen in Mönchengladbach.

Auch der goldenste Oktober kann nicht verbergen, dass nun die Jahreszeit kommt, in der es tagsüber recht „usselig“ werden kann. Das so am Niederrhein beschriebene Wetter zeichnet sich durch feuchte Kälte aus, die nach einiger Zeit auch unter die dickste Winterjacke kriecht. Wer sich dann in einem Café oder noch besser in der eigenen Wohnung aufwärmen kann, weiß das besonders zu schätzen.

Aber wie in anderen Städten auch gibt es in Mönchengladbach Frauen und Männer, die kein festes Dach über dem Kopf haben. Vor Corona konnten sie dann die Tage im Tagestreff des Bruno-Lelieveld-Hauses Mönchengladbach oder des SKM, dem Café Emmaus in Rheydt, verbringen. Doch mit Corona hat sich die Situation für Wohnungslose und arme Menschen wesentlich verändert.

„Nach dem Fall der Mauer ist die Zahl der Obdachlosen bei uns dramatisch explodiert“, erinnert sich Martin Dalz vom Verein Wohlfahrt, der das Bruno-Lelieveld-Haus betreibt. „Damals kamen 40 bis 60 Menschen täglich zu uns. Für damalige Verhältnisse war das richtig viel.“ Aber die Verhältnisse und mit ihnen die Zahl der Wohnungslosen haben sich in den vergangenen 30 Jahren geändert. Heute begrüßt Dalz über den Tag verteilt bis zu 100 Männer und Frauen in dem Tagestreff an der Erzberger Straße. Durften sie früher so lange bleiben, wie sie wollten, ist ihre Aufenthaltszeit heute begrenzt. Nach zwei Stunden müssen sie gehen, damit neue Gäste eingelassen werden können. Maximal 15 Gäste dürfen sich in den Räumen des Tagestreffs aufhalten. Im Durchschnitt kommen an den Öffnungstagen 67 Frauen und Männer in das Café an der Erzberger Straße.

„Auch während des Lockdowns hatten wir geöffnet“, sagt Martin Dalz. Mit Beginn des Shutdowns habe man sich sofort mit der Stadt in Verbindung gesetzt, um zu klären, ob und wie noch geöffnet bleiben könne. Die Stadt habe grünes Licht gegeben, und so waren der Tagestreff in Mönchengladbach und der SKM-Tagestreff in Rheydt während des Shutdowns die einzigen Anlaufpunkte in der Stadt für Obdachlose.

Wichtig sind die beiden Einrichtungen nicht nur, weil die Gäste hier eine warme Mahlzeit und etwas zu trinken bekommen. Auch die vielen sozialen Kontakte sind ein Punkt. Beim SKM haben die Menschen zusätzlich die Möglichkeit der Körper- und Wäschepflege. Wie im Bruno-Lelieveld-Haus bekamen die Gäste auch hier Lebensmittel. „3700 Tüten mit Lebensmitteln haben wir gepackt und über unser Gabenfenster ausgegeben“, erzählt Christoph Föhles, Leiter der Wohnungslosenhilfe beim SKM Rheydt. Finanziert wurde das über Spenden und eine Zuwendung über 55000 Euro der „Aktion Mensch“. Dadurch konnten neben Wohnungslosen auch bedürftige Familien versorgt werden.

Mit Beginn der Corona-Krise haben die Mönchengladbacher die sozialen Einrichtungen mit Spenden großzügig unterstützt. Diese Spendenfreude ist inzwischen abgeflacht. „Woran das liegt, können wir nicht sagen“, sagt Norbert Schoeller, Geschäftsführer des SKM. Er vermutet, dass durch die anhaltende Kurzarbeit und das Arbeitsverbot in einigen Branchen auch bei den bisherigen Spendern das Geld knapp geworden ist. Deshalb schaut er, genau wie seine Kollegen, mit Sorge auf die kommenden Monate. Denn mit zunehmender Kälte müssen auch Räume gefunden werden, wo die Menschen sich aufhalten können, wenn es draußen nass und kalt ist.

Solange die Wirtschaft nicht wieder in Fahrt kommt, besteht auch die Gefahr, dass die Gruppe derer, die Hilfen brauchen, größer und größer wird. „Als die Corona-Krise anfing, haben wir eine Hotline ins Leben gerufen“, berichtet Hildegard van de Braak, Leiterin des Bereichs Soziales und Familie bei der Caritas Mönchengladbach. 140 Frauen und Männer haben sich zu den Themen Mietzahlungen, Pfändungsschutzkonten und Schulden beraten lassen. Vor allem Kleinstunternehmer und Freiberufler müssen derzeit ihre Ersparnisse aufbrauchen, um ihr Leben zu finanzieren. „Kredite können nicht mehr bedient werden“, sagt van de Braak. Sie rechnet damit, dass sich die Situation in den kommenden Monaten noch verschärfen wird und im Frühjahr die Zahl der Schuldner massiv ansteigen wird.

Das sehen auch ihre Kollegen so. Derzeit überlegt Dalz mit seinem Team, wie sie angesichts steigender Infektionszahlen ihr Angebot auch in Zukunft aufrecht erhalten können. „Noch haben wir keine Corona-Erkrankung beim Personal oder bei den Besuchern“, sagt er. Das soll auch so bleiben. „Wir müssen sehen, dass wir offen bleiben“, sagt Dalz. „Denn wenn wir zumachen, gibt es in der Stadt für Wohnungslose gar nichts mehr.“ Das gelte vor allem dann, wenn es zu einem erneuten Shutdown kommen sollte.
Auch Schoeller und Föhles sehen das so. Sie überlegen gerade, was es für eine Alternative zu dem Sommerzelt gibt, das sie im Hof des Cafés Emmaus aufgebaut hatten. Damit haben sie in den warmen Monaten ihre Räumlichkeiten erweitert. Für den Winter ist das Zelt nicht geeignet. „Wir suchen gerade nach pfarrlichen Räumlichkeiten“, sagt Schoeller. Auch ein spezielles Winterzelt wäre möglich. „Aber das ist wieder mit zusätzlichen Kosten verbunden.“ Die müssten durch weitere Spendeneinnahmen gedeckt werden.

Für seine Gäste wäre ein weiterer Shutdown noch auf einer anderen Ebene fatal. „Seit April haben wir die Koordination des Fifty-Fifty-Verkaufs übernommen. Für die obdachlosen Frauen und Männer ist der Verkauf des Straßenmagazins sehr schwer geworden, weil in den Innenstädten kaum noch Passanten sind.“ Auch Einnahmen durch Betteln sind weggebrochen. „Einige unserer Klienten setzen sich nach den Gottesdiensten vor die Kirchen. Das ging nicht, als die Kirchen geschlossen waren“, sagt Schoeller.