Von der Welt verlassen?

Fachleute aus dem Dreiländereck tauschten sich grenzüberschreitend zum Thema Einsamkeit aus

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Datum:
30. März 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 13/2021 |Kathrin Albrecht

Einsam waren die vergangenen Wochen und Monate für die meisten von uns. Freizeiteinrichtungen, Restaurants, Cafés, Theater und Museen – alles geschlossen. Soziale Kontakte sind auf ein Minimum beschränkt. Doch Einsamkeit war auch vor Corona bereits ein gesellschaftliches Phänomen, das zunehmend die Aufmerksamkeit von Psychologen, Seelsorgern oder Ärzten weckte.

Doch was beschreibt Einsamkeit genau? Wie kommt sie zustande, welche Faktoren verstärken sie? Ist Einsamkeit ein dauerhafter Zustand und macht sie gar krank? Welche Wege führen aus der Einsamkeit und nicht zuletzt, wie wirkt die Corona-Pandemie auf Einsamkeit als gesellschaftliches Phänomen? Es waren Fragen, mit denen sich Menschen aus der Pflege, der Seelsorge und der Sozialen Arbeit aus dem Dreiländereck in der Ökumenischen Euregionalen Konferenz austauschten, coronabedingt als Zoom-Konferenz.

Einsamkeit, stellte Andreas Wittrahm, Bereichsleiter des Aachener Caritasverbandes, heraus, betrifft in verschiedenen Phasen jeden Menschen und ist oft eine Kombination von Lebensstil und Lebensschicksal. Und es beginnt bereits im Kindes- und Jugendalter: Entstehen keine stabilen tragenden Bindungen zwischen Eltern und Kindern, fällt es den Kindern oft schwerer, selbst gute soziale Bindungen zu anderen Menschen aufzubauen. 
In der Kindheit und Jugend bergen Exklusionserfahrungen das größte Einsamkeitsrisiko, sei es durch anders-sein, anders-empfinden oder anders- beziehungsweise nichts haben. 
Auch die persönliche Entwertung durch Erwachsene (du kannst nichts, du bist nichts) ist für Heranwachsende eine prägende Exklusionserfahrung.

Gescheiterte Lebensentwürfe, niedriges Einkommen, Arbeitslosigkeit, Scham oder fehlende Ressourcen zum sozialen Austausch sind Verstärker der Einsamkeit im Erwachsenenalter. Im hohen Alter entsteht Einsamkeit durch das Schrumpfen der bestehenden sozialen Netze – „nur ich bin noch übrig“. Wittrahms Fazit: Einsam bin ich, mache ich mich und werde ich von außen gemacht. Um einen Weg aus der Einsamkeit herauszufinden, brauche es Geduld und Toleranz in der Begegnung, aber vor allem auch eine gewisse Zurückhaltung, um einsame Menschen nicht wieder in ihr Schneckenhaus zurückzutreiben.

 
Viele Ältere fühlen sich einsam, auch bei Jüngeren ein Problem

In unserer Gesellschaft empfinden sich zunehmend mehr Menschen als einsam. Auch in den Niederlanden ist dies zu beobachten, wie Gerad Sars von der Zorggroup Midden en Zuid Limburg in seinem Impulsreferat zeigte. Bereits vor Corona schätzte das Ministerium für Gesundheit, Sport und Gemeinwohl, dass über die Hälfte der über 75-jährigen Niederländer sich einsam fühlt. Verschiedene Projekte auf kommunaler und gemeindeseelsorglicher Ebene wurden seit Mitte der Nullerjahre ins Leben gerufen, um dieser Einsamkeit zu begegnen.

Doch auch jüngere Altersgruppen fühlen sich zunehmend einsam. Das seit 1979 eingerichtete Kindertelefon verzeichnet bei den Themen Einsamkeit, 
Gewalt in der Familie und Depressionen einen sprunghaften Anstieg. Auch bei Studierenden ist Einsamkeit zeitweise ein Thema. In beiden Altersgruppen wirkt Corona als Verstärker, weil die sozialen Kontakte durch die Schul- und Universitätsschließungen fehlen.

Selbst gewählte Einsamkeit, zum Beispiel in Form von Exerzitien nach dem Vorbild von Ignatius von Loyola, könne ein Weg sein, wieder achtsamer mit seiner Umwelt in Kontakt zu treten. Doch brauche es als Voraussetzung eine stabile, gefestigte Persönlichkeit, unterstrich Pfarrer Frank Reyans, der im Bistum Aachen als Exerzitienbegleiter tätig ist. Für viele Menschen sei der erste Eindruck der Isolation, des Schweigens erst einmal ein Schock, das hat er bei zahlreichen Exerzitien beobachtet. 

Franziska Schmitz und Johannes Mertens berichteten über Erfahrungen mit tiergestützter Therapie und Menschen, die schon länger aus sozialen Beziehungen herausgefallen sind oder krankheitsbedingt Schwierigkeiten haben, soziale Bindungen einzugehen. Das Tier könne dabei ein wichtiges Medium in der Nachsozialisation sein. 
Tiere wertschätzen anders als Menschen, generell komme Wertschätzung in zwischenmenschlichen Beziehungen zu kurz. Tiere helfen auch, die Unsprachlichkeit anders zu erfahren und möglicherweise sogar aufzubrechen. Solche Erfahrungen lassen sich beispielsweise bei tiergestützten Therapien in Altenheimen beobachten, wo Bewohner, die durch ein bestimmtes Krankheitsbild bedingt nicht mehr mit ihrer Umwelt kommunizieren, über das Tier diese Fähigkeit wieder langsam zurückgewinnen. 


Den Kranken als Menschen, nicht als Patienten sehen

Natürlich kamen die Teilnehmenden bei dieser Tagung nicht um das Thema Corona herum. Ein eindrückliches Zeugnis lieferte Bernhard Kampermann aus Berg bei Maastricht, der im vergangenen Jahr an Covid-19 erkrankte. „Ich verbrachte zehn Wochen in Quarantäne, sechs davon zu Hause, vier im Krankenhaus“, erzählt er. Im Krankenhaus fiel er ins Koma, wurde von Maastricht nach Groningen verlegt. Schrittweise kam er zurück ins Leben.

„Ich hätte ein einsamer Patient sein können, aber ich war es nicht“, sagt er im Rückblick. Immer wieder haben ihm die Begegnungen und Gespräche mit dem Pflegepersonal geholfen. Auch seine Familie war ein großer Rückhalt. Doch das Pflegepersonal blieb ihm eindrücklich in Erinnerung, weil sie ihn nicht nur als Patienten, sondern als Menschen wahrnahmen.

In der Begleitung von Coronapatienten, berichtete Hans Kling, der als geistlicher Begleiter am Maastrichter Klinikum arbeitet, liege die Herausforderung vor allem darin, dem Patienten wieder Anknüpfungspunkte an sein Leben und sein Weltbild zu geben, das durch eine plötzliche Erkrankung ins Wanken gerät.