Was kommt nach der Braunkohle? Viele Menschen in der Region zwischen Elsdorf und Erkelenz bewegt diese Frage. Denn der Strukturwandel ist beschlossene Sache. 2038 will der Bund endgültig aus der Braunkohle aussteigen.
Die Weichen für den Strukturwandel in der Region werden bereits gestellt, Perspektiven diskutiert: Entsteht dort eine Seenlandschaft, wo jetzt noch Mondlandschaften das Bild prägen? Entsteht gar eine gigantische Wasserstraße, die die Nordsee mit der Region verbindet? Auch neue Technologie und Industrie sollen sich hier ansiedeln, das Rheinische Revier als Modellregion für Technologie, Verkehr – und eben auch für Bioökonomie.
Anfang 2020 verabschiedete die Bundesregierung die „Nationale Bioökonomiestrategie“. Bioökonomie wird hier verstanden als „Erzeugung, Erschließung und Nutzung biologischer Ressourcen, Prozesse und Systeme“. Ziel dieser Strategie ist, unsere auf fossilen Ressourcen basierende Wirtschaft zu einer nachhaltigen und kreislauforientierten Wirtschaft umzustrukturieren. Die Landwirtschaft ist innerhalb der Bioökonomie ein wichtiger Faktor. Doch wie viel Fläche bleibt dafür eigentlich übrig und wie muss sich die Landwirtschaft verändern, um diesen formulierten Ansprüchen gerecht zu werden? Kann sie vielleicht sogar einen Beitrag zur Renaturierung des ausgekohlten Gebietes leisten?
Zu diesen Fragen forscht Ulrich Schurr. Er ist Leiter des Instituts für Pflanzenwissenschaften im Institut für Bio- und Geowissenschaften (IBG-2) am Forschungszentrum Jülich. Sein Institut untersucht unter anderem Wachstum und Transport in Pflanzen und deren Beeinflussung in variierenden Umweltbedingungen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie sich Pflanzen nutzen lassen, beispielsweise als Rohstoff für die Industrie.
Als Referent einer gemeinsamen Veranstaltung des Katholischen Hochschulzentrums „Quellpunkt“, der Bischöflichen Akademie, des Nell-Breuning-Hauses und der RWTH Aachen zum Thema Bioökonomie diskutierte er Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Modellregion im Rheinischen Revier.
Treiber für den Paradigmenwechsel ist das Wachstum der Weltbevölkerung. Der Pro-Kopf-Konsum wird steigen, gleichzeitig werden die Umweltbedingungen schlechter. Das spiegelt auch der Sonderbericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change, deutsch: zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen) zur Klimakonferenz in Paris 2019 wider. Zentrale Aussagen: Die Extremereignisse beim Wetter häufen sich, und auch die Landwirtschaft trägt zum Klimawandel bei. Die fossilen Ressourcen werden zu schnell ausgebeutet. Es braucht eine Diversifizierung der Ressourcen. Und es braucht Nachhaltigkeit.
Wie so etwas aussehen kann, untersucht das Institut für Pflanzenwissenschaft bereits in kleineren Projekten, die zum Strukturwandelprogramm der Bundesregierung gehören. Eines davon sind die Marginal Field Labs in Kooperation mit RWE. Auf den Flächen werden ressourcen-effiziente Pflanzen gezüchtet, die als nachwachsende Rohstoffe oder Bodenverbesserer dienen können. Diese Zwischenbewirtschaftung marginaler Flächen im Tagebau soll mittelfristig einen Beitrag zur Rekultivierung leisten.
In Kooperation mit dem Brainergy Park entstehen gleich mehrere Projekte, zum Beispiel die größte Agro-Photovoltaik-Anlage Europas, bei der die Stromgewinnung durch mobile Photovoltaik-Anlagen mit Landwirtschaft verbunden wird. Das Projekt beruht auf einem erfolgreichen Projekt in Zusammenarbeit des Ministeriums für Entwicklung und Zusammenarbeit der Bundesregierung in Südafrika, bei dem Photovoltaik mit dem Anbau von Arzneipflanzen kombiniert wurde. Ein weiteres Projekt ist der Einsatz von mobiler Robotik in der Feldarbeit. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Forschung, die Ulrich Schurr in der Region betreibt, ist die Standortbestimmung. Welche Akteure sind bereits vor Ort vorhanden? Wie sind sie miteinander vernetzt? Welche Stärken, welche Schwächen weist die Region für eine nachhaltige Bioökonomie auf?
Dafür wird für jede Kommune im Revier ein Bioökonomie-Profil erstellt. Neun Profile – für Aldenhoven, Merzenich, Titz, Erkelenz, Eschweiler, Mönchengladbach, Jüchen, Elsdorf und Bergheim – sind bereits erstellt, bis Anfang 2021 soll das Projekt abgeschlossen sein. Neben den Fragen, wie viel Fläche landwirtschaftlich genutzt wird und welche Akteure aus Wirtschaft und Industrie bereits vor Ort sind, werden auch die Potenziale untersucht.
In der Region gibt es bereits verschiedene Akteure aus dem Maschinenbau, der Papierindustrie, der Biotechnologie, der Papier- und Chemieindustrie, der Energie- und Abfallwirtschaft sowie der Lebensmittel- und Kunststoffindustrie. Eine der zentralen Fragen wird auch sein, wie sich diese unterschiedlichen Branchen mit und durch Bioökonomie verbinden lassen. Denn nicht zuletzt geht es auch um die Sicherung oder Schaffung von Arbeitsplätzen.
Wichtig ist, die Bevölkerung bei solchen Prozessen mit ins Boot zu holen, zu informieren und zu kommunizieren, was vor Ort geschieht oder geschehen kann. Das erreicht das Modellprojekt durch verschiedene Kommunikationsstrategien: in Tiny Houses („winzigen Häusern“), die durch die Region touren, und einer Bioökonomie-Ausstellung können sich Interessierte vor Ort über die Möglichkeiten einer nachhaltigen Bioökonomie-Modellregion informieren. Durch Corona sind diese Instrumente allerdings derzeit etwas ausgebremst worden. Ein weiteres Instrument ist die Bioökonomie-Revier-App, in der sich Akteure eintragen können und Nutzer sich darüber informieren können, was in Sachen Bioökonomie vorhanden ist.
Wichtig ist Schurr zu betonen, dass es nicht darum geht, die fossilen Ressourcen einfach zu ersetzen. Langfristig muss es auch darum gehen, den Verbrauch zu reduzieren und die Konsumgewohnheiten zu ändern.