Das Ende von St. Bonifatius als Pfarrkirche war besiegelt. 2012 haben die Gremien der Großgemeinde St. Lukas beschlossen, die Kirche im Dürener Osten aus der Nutzung zu nehmen, ebenso wie die damalige Pfarrkirche und heutige Grabes- und Auferstehungskirche St. Cyriakus im Stadtteil Niederau.
Ursprünglich sollten in St. Bonifatius Wohnungen für Senioren entstehen. Was folgte, war eine Achterbahnfahrt mit viel Widerstand im Stadtteil, verworfenen Ideen, Gerichtsprozessen sowie einer Resolution im Stadtrat. Und dann meldete sich auch der Denkmalschutz zu Wort und die Nerven lagen beizeiten blank. Neun Jahre dauerte es, bis eine Kindertagesstätte (Kita) ihre Türen öffnen konnte. Der Weg von der Kirche zur Kita ist bislang einmalig im Bistum. Experten loben das Projekt als Musterbeispiel einer gelungenen Nachfolgenutzung. Viele sind zufrieden, aber nicht alle ehemaligen Gemeindemitglieder glücklich.
Auslöser des Prozesses war das Kirchliche Immobilienmanagement (KIM). Die Mittel zur Finanzierung im Instandsetzungsfall wurden ab 2015 reduziert, vor Ort musste entschieden werden, welche Immobilien aus der Förderung genommen werden oder sich durch veränderte Nutzungskonzepte selber tragen können. „Mit Blick auf das große Ganze eine Lösung zu finden, war nicht einfach“, blickt Pfarrer Hans-Otto von Danwitz auf das Jahr 2012 zurück. Eine alternative Nutzung des Kirchengebäudes von St. Antonius im benachbarten Grüngürtel sei aufgrund des Rundbaus kaum möglich gewesen – also fiel die Wahl auf St. Bonifatius, zumal aus pfarreraler Sicht weitere sakrale Räume in vertretbarer Nähe vorhanden sind. In St. Cyriakus war die Frage der Nachfolgenutzung bereits geklärt.
„Am Abend der Gremiensitzung haben wir diese Nachricht in den Gemeinden verkündet. Wir wussten, welche Kirchen aus der Finanzierung gehen, aber es stand nicht fest, was wir mit St. Bonifatius machen können. Wir standen erst am Anfang der Suche nach einer alternativen Nutzung“, bedauert Achim Wilmar aus seiner Sicht einen „Konstruktionsfehler“ des KIM-Prozesses.
Bereits 2010 wurden sechs ehemals eigenständigen Dürener Pfarreien zur Großgemeinde St. Lukas verschmolzen. Nun tat sich die nächste Baustelle auf. „Ohne die Kirche kommt das Gemeindeleben zum Erliegen“, kritisierte ein umgehend gegründeter Förderverein die Pläne zur Entwidmung der Kirche. Der Förderverein machte sich dafür stark, selbst die Kosten für den Unterhalt der nach dem Zweiten Weltkrieg auch mit Spenden der Bevölkerung gebauten Kirche aufzubringen und sammelte 1566 Unterschriften im Stadtteil.
Als die Pfarrei kundtat, einen Architekturwettbewerb auszuloben, um altersgerechte Wohnungen in St. Bonifatius einzurichten, meldete sich ein Erbe des Architekten Professor Albert Boßlet zu Wort, der die 1952/53 entworfene Kirche als Teil der schöpferischen Hinterlassenschaft seines Großvaters im Originalzustand belassen wollte. Ohne eine Einwilligung der Erben sei ein Umbau unzulässig, da das Urheberrecht des Architekten erst 70 Jahre nach dem Tod erlischt. Im Fall von St. Bonifatius wäre dies im Jahr 2027 gewesen.
Auch der Denkmalschutz meldete Bedenken an. „Zu dem Zeitpunkt, als wir mit den Überlegungen begonnen haben, stand die Kirche noch nicht unter Schutz“, sagt Achim Wilmar. Dieser Schritt folgte rasch. Als sich das Oberlandesgericht Köln dafür aussprach, dass die Kirche auch ohne die Zustimmung der Erben umgebaut werden kann, wurden die Pläne für Wohnungen jedoch verworfen. Die geplante Entwidmung der Kirche war zwischenzeitlich auch Thema im Stadtrat, der eine Resolution zum Erhalt des Sakralbaus verabschiedete. Als Pfarrer Hans-Otto von Danwitz vorschlug, während der Wintermonate eine Skater-Anlage in der Kirche zu installieren, kochten die Emotionen hoch.
„Eine Nutzung als Grabeskirche fiel aufgrund der Nachbarschaft und Konkurrenz zum städtischen Friedhof aus. Die Jugendlichen suchen auch heute noch eine Mehrzweckhalle. Ich fand es damals wie heute eine gute Lösung, Jugendlichen einen Raum anzubieten“, sagt Hans-Otto von Danwitz. Er habe kein Öl ins Feuer gießen, wohl aber eine offene Diskussion zur Nachfolgenutzung anstoßen wollen. Denn die Gremien der Pfarrei standen trotz aller Kritik zu ihrem Entschluss. „Ich möchte diese Zeit nicht noch einmal erleben“, spricht Achim Wilmar von einer emotional aufgeladenen Situation. Hans-Otto von Danwitz beobachtete eine „Spaltung der Gemeinde“.
Die Entscheidung, Gottesdienste aus der Kirche ins Jugendheim zu verlegen, habe zwar erneut Widerstand hervorgerufen, aber auch das Zeichen gesendet: Wir feiern weiter Eucharistie, auch wenn wir keine Kirche mehr haben. „Eine Messe ist wichtiger als ein äußeres Kirchengebäude“, meint von Danwitz. Und auch für das Gebäude wurde ein Plan vorgelegt, der den mittlerweile denkmalgeschützten Sakralbau weitgehend erhält: In St. Bonifatius soll eine viergruppige Kita errichtet werden. Geholfen hat sicherlich das Interesse der Stadt an Kita-Plätzen, die im Dürener Osten damals fehlten. Ende 2015 stimmte der Denkmalschutz den Kita-Plänen zu, eine wichtige Hürde war genommen.
Nun mussten Fragen der Finanzierung geklärt werden. Die Pfarrei St. Lukas kündigte an, zwar die Trägerschaft der Kita zu übernehmen, aber nicht die Trägeranteile für alle Gruppen. Den Sommer 2016 über wurde im Stadtrat diskutiert und gestritten, bis eine Einigung erzielt wurde. Ende Juni 2016 stimmte der Rat zu, Ende des Jahres gab der neue Aachener Bischof grünes Licht für die Nachfolgenutzung. Am 6. Januar 2017 wurde St. Bonifatius entwidmet, nicht alle Menschen im Stadtteil waren damit einverstanden.
Mit Beginn der Bauarbeiten gerieten diese schnell wieder ins Stocken, weil die Kosten nicht zu halten waren. Statt der von der Stadt zugesagten 1,7 Millionen Euro für die Baukosten waren nun 2,2 Millionen Euro notwendig. Eine Summe, die sich letztlich Stadt, Pfarrei und Bistum nach zum Teil hitziger Diskussion im politischen Raum teilten. Im Sommer 2018 startete der Umbau. Mit einem letztmaligen Zuschuss des Bistums zur
Sicherung des Gebäudes wurde unter anderem der Turm saniert, bei dem Ermüdungserscheinungen festgestellt worden waren.
2019 wurde Richtfest gefeiert, es gab weitere Verzögerungen, die Coronapandemie beeinträchtigte die Arbeiten. Im August 2021 wurde nach langem Warten und Ringen die Kita eröffnet. Namenspatron ist der heilige Pedro Claver, Schutzpatron der Sklaven aus Kolumbien, dem Partnerland des Bistums Aachen. Entstanden sind vier Gruppenräume mit Nebenräumen, im Altarraum finden nun „übereinander“ Küche und Aufenthaltsraum Platz, die Krypta wurde zum Gymnastikraum. „Wir haben viel mehr von der Kirche erhalten, als wir anfangs dachten“, fragt sich Achim Wilmar, ob ausgehend vom Ergebnis nicht mancher Streit oder manche Unsicherheit hätte im Vorfeld vermieden werden können.
„Jede Veränderung löst etwas aus. Wir müssen von Altem Abschied nehmen, das betrifft auch andere Fragen, was sich in Kirche ändern muss“, sagt Hans-Otto von Danwitz rückblickend: „Wenn ich nicht bereit bin, das in Kauf zu nehmen, verändert sich nichts.“ Er ist überzeugt, dass die ehemaligen Pfarrkirchen St. Bonifatius und St. Cyriakus „am sichersten sind, was den Erhalt angeht“, schließlich sei auf Dauer unklar, wie viele andere Gebäude erhalten werden können. Viel Lob für die Gestaltung gab es vom Amt für Denkmalpflege beim Landschaftsverband Rheinland. Der Umbau der Kirche zur Kita sei ein gelungenes Projekt einer Kirchentransformation. Entstanden sei ein neuer, multifunktional nutzbarer Raum – stets mit Bezug zur Kirche.
Die Taufkapelle der ehemaligen Pfarrkirche St. Bonifatius ist als sakraler Raum in der Kita St. Pedro erhalten geblieben. Auch das Allerheiligste hat hier einen neuen Platz gefunden. „Für uns war es ein wichtiger Punkt, dass die Taufkapelle sakraler Raum bleibt“, sagt Pfarrer Hans-Otto von Danwitz. Doch auch der ehemalige Kirchenraum kann nach Schließung der Kita für Gottesdienste und Veranstaltungen genutzt werden. Bestuhlt ist für bis zu 120 Besucherinnen und Besucher Platz. Ein „mobiler Altar“ mit Rollen bietet auch Platz für die Materialien der religionspädagogischen Arbeit, die auf dem roten Teppich im Mittelschiff stattfinden soll. Statt einer Sakristei gibt es einen Einbauschrank. In der ehemaligen Kirche können auch weiterhin Orgelkonzerte stattfinden. Die Orgel wurde nach Abschluss der Umbauarbeiten runderneuert beziehungsweise saniert.