Von der Angst zur Hoffnung

Der alternative Karfreitagsgottesdienst in St. Heinrich Horbach holt die Passion in das Leben heute

2019: Eine Mauer, in deren Ritzen Zettel mit Sorgen und auf deren Steinen Hoffnungslichter Platz fanden. (c) Hans Brunner
2019: Eine Mauer, in deren Ritzen Zettel mit Sorgen und auf deren Steinen Hoffnungslichter Platz fanden.
Datum:
24. März 2024
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 12/2024 | Andrea Thomas

Die Passionsgeschichte ist den meisten Christinnen und Christen vertraut, doch für viele stellt sich die Frage: Was hat das noch mit mir zu tun? Wo spiegelt sich die Karfreitagserfahrung in meinen Lebenserfahrungen? Seit einigen Jahren versucht eine Gruppe Ehrenamtliche aus St. Martinus in Richterich mit einem anderen Angebot am Karfreitag eine Brücke zu schlagen zwischen biblischer Geschichte, traditioneller Liturgie und Leben heute.

2018: Bitten und Klagen auf Nägel an Kreuz gepinnt. (c) Fotos: Hans Brunner
2018: Bitten und Klagen auf Nägel an Kreuz gepinnt.

„Ursprünglich hat der Karfreitag uns noch immer viel zu sagen, aber unter traditionellen Riten bleibt oft verborgen, was für Menschen heute wichtig ist“, sagt Christina Brunner. Zusammen mit ihrem Mann Hans und dem Ehepaar Ingrid Budde-Dreßen und Norbert Dreßen sowie Magdalena Thomas und Rolf Kratzborn, die für die Musik verantwortlich sind, bildet sie das Vorbereitungsteam des alternativen Karfreitagsgottesdienstes, der mal in St. Martinus Richterich, mal in St. Heinrich Horbach stattfindet. Gestartet 2017 und mit einer pandemiebedingten Pause 2020 und 2021, ist der diesjährige Gottesdienst ihr inzwischen sechster.

Gemeinsam suchen sie nach einem Thema, das sich aus der Passionsgeschichte ergibt, und versuchen dazu aktuelle Bezüge herauszuarbeiten. Anfangs hätten sie versucht, Figuren aus der Passionsgeschichte in die heutige Zeit zu übertragen und ihre Geschichten zu erzählen. Judas sei zum Beispiel zum Mann geworden, der seine Frau an die Stasi verraten habe, erzählt Ehepaar Brunner. Doch das sei mit der Zeit schwieriger geworden. Wiederholungen oder ein festes Schema, nach dem ihr Gottesdienst abläuft, möchte die Gruppe vermeiden. Menschen sollen sich jedes Jahr neu darauf einlassen können, etwas neu für sich mitnehmen können.

„Wir haben drei feste Elemente, die in jedem Jahr im Gottesdienst vorkommen“, erläutert Hans Brunner. „Das sind die Kreuzverehrung, es gibt immer in irgendeiner Form das Kreuz als Element, das Fürbittgebet, zu dem die Menschen ihre eigenen Fürbitten mitbringen können und die Frage, was Passion mit uns zu tun hat.“ Es gibt auch immer eine Aktion, über die die Besuchenden aktiv eingebunden und beteiligt werden. 2018 haben die rund 130 Mitfeiernden zum Beispiel ihre Nöte und Bitten auf Zettel geschrieben, die das Team vorgelesen und dann an ein großes Kreuz gepinnt hat. Ein Jahr später haben sie eine Mauer aus Ziegelsteinen, die ihnen ein Baustoffhändler für die Aktion geliehen hatte, in der Kirche aufgebaut, und die Menschen konnten im Gottesdienst ihre Gedanken, Sorgen und Bitten notieren und in die Mauerritzen stecken. In einem zweiten Schritt konnten sie an der alten Osterkerze ein Hoffnungslicht anzünden. 

Not und Klagen im Fürbittgebet zum Ausdruck bringen und teilen

2023: Eine Dornenkrone aus Stacheldraht,  geschmückt mit bunten Hoffnungszeichen. (c) Fotos: Hans Brunner
2023: Eine Dornenkrone aus Stacheldraht, geschmückt mit bunten Hoffnungszeichen.

Auch das ist ein wichtiges Element des alternativen Karfreitagsgottesdienstes und ein Anliegen der Vorbereitungsgruppe, die Menschen nicht im Leid lassen, sondern die Hoffnung, die Ostern schenkt mit einbinden. Auch, wenn das angesichts der Weltlage manchmal nicht ganz einfach zu sein scheint. Vor zwei Jahren haben sie ein Kreuz aus Pflanzkisten in der Kirche aufgebaut und die Mitfeiernden haben ihre Botschaften auf Samenpapier geschrieben und vergraben. „Im Anschluss haben wir die Kästen neben dem Pfarrhaus in St. Martinus aufgestellt, wo die Samen keimen konnten“, berichtet Hans Brunner. Dort standen die begrünten Kästen bis zum Christkönigssonntag.

Die Möglichkeit zur Beteiligung kann jedoch auch ausufern, wie die Gruppe feststellen musste. „Wenn 150 persönliche Fürbitten zusammenkommen, dann sprengt das etwas den Rahmen“, erzählt Christina Brunner. Sie hätten sie alle vorgelesen, das sei ihnen wichtig gewesen, damit die Themen der Mitfeiernden laut wurden, aber das habe schon viel Zeit gebraucht. Weshalb sie im vergangenen Jahr und auch für dieses Jahr nach einer Form gesucht haben, in der Menschen ihre Not und ihre Klage aufschreiben und teilen können, aber sie nicht mehr alle vorgelesen werden. 2023 haben sie aus Stacheldraht eine große Dornenkrone gebaut, an die die Menschen bunte Bänder geknotet haben als Hoffnungszeichen.

Der große Rücklauf bei den Fürbitten habe gezeigt, dass die Not der Menschen groß ist, von privaten Sorgen bis Politik und Weltgeschehen. Das habe sie bewogen im vergangenen Jahr nach Hoffnung in der Krise zu suchen. „Wir lesen die Passionsgeschichte, weil es Ostern gibt“, erklärt Christina Brunner. Also haben sie „Hoffnungsmenschen“ in den Mittelpunkt des Gottesdienstes gestellt und ihre Geschichten erzählt. „Wir dachten, schlimmer wird es nicht …“, sagt Hans Brunner. Doch immer mehr Konflikte, die mit Gewalt gelöst werden sollen, die Klimakrise und politische Krisen und Umbrüche, ebenso wie persönliche Nöte, Sorgen und Konflikte, belehren nicht nur das Vorbereitungsteam eines Besseren.

2018: Bitten und Klagen auf Nägel an Kreuz gepinnt. (c) Fotos: Hans Brunner
2018: Bitten und Klagen auf Nägel an Kreuz gepinnt.

So ist dann das Thema für den diesjährigen Karfreitagsgottesdienst entstanden: Karfreitag – Angst ohne Ende? „Wir haben uns die Frage gestellt, was tun mit der Angst? Was hat das mit der Passion zu tun?“, sagt Hans Brunner. Ausgangspunkt soll auch diesmal die Karfreitagserfahrung sein, heruntergebrochen auf uns und unsere Welt heute. Mittelpunkt wird ein mehrere Meter großes Kreuz mit einem lebensgroßen Korpus sein. In Kreuzverehrung und Gottesdienst will die Vorbereitungsgruppe aufzeigen, wo wir uns gebunden, geschunden, aber auch von Gott gefunden fühlen.

Wie in den Vorjahren sucht die Gruppe dazu Texte, in einer verständlichen, heutigen Sprache, um Menschen einen Zugang zur Leidensgeschichte Jesu zu vermitteln. Den fänden viele nicht mehr in den traditionellen Texten und Liedern und ihrer oft schweren bis unverständlichen Sprache, so ihre Erfahrung. Das werde deutlich in der von Anfang an hohen Zahl Mitfeiernder. Sie betrachteten ihr Angebot auch nicht als Konkurrenz zu den anderen Gottesdiensten an Karfreitag, sondern als Alternative. Weshalb sie auch bewusst in die Gemeinde und Kirche gehen, in der an diesem Tag sonst nichts stattfindet. Auch, wenn das manchmal eine Herausforderung sei, den jeweiligen Kirchenraum optimal einzubinden und seine Möglichkeiten auszuschöpfen.

Ein tragendes Element ist seit der Premiere die Musik. „Eigentlich schweigt die Musik an Karfreitag. So bin ich noch geprägt, aber inzwischen sieht man das toleranter“, erklärt Musikerin Magdalena Thomas. Für ihr Format ist die Musik jedoch unverzichtbar, vertieft und interpretiert sie das gewählte Thema noch einmal auf ganz eigene Weise. „Das sind schwere Themen und Musik ist immer auch eine Form von Therapie“, sagt Magdalena Thomas. Sie spielt Flöte, Rolf Kratzborn Saxofon. 

Mit anderen Instrumenten andere  Form von Gottesdienst gestalten

„Wir wollten bewusst keine Orgel. Die ist das klassische Instrument für die klassische Form des Gottesdienstes. Wir wollten über eine andere Musik auch eine andere Form von Gottesdienst gestalten“, erläutert Christina Brunner. So sei die Idee entstanden, Flöte und Saxofon zu koppeln. Die erklingen mal einzeln und abwechselnd, mal gemeinsam. Grundlage seien die Texte, auf die sie sich beziehen wollten. Die teilten sie untereinander auf und suchten dazu nach Stücken oder entwickelten eine Improvisation dazu. Die gewählten Stücke könnten eine Emotion aufgreifen oder eine Reaktion auf einen der Texte sein. Das sei ganz unterschiedlich. „Jeder soll sich angesprochen fühlen oder etwas für sich herausnehmen können. Musik ist ja ohne Worte“, sagt Magdalena Thomas.  

Karfreitag, 29. März, 19 Uhr, St. Heinrich, Aachen-Horbach