Von außen draufgeschaut

Kirchenrechtler Professor Thomas Schüller ordnete die Beschlüsse zu „Heute bei dir“ aus seiner Sicht ein

Der Abend im Nell-Breuning-Haus in Herzogenrath traf auf großes Interesse  vor Ort und per Videozuschaltung. (c) Andrea Thomas
Der Abend im Nell-Breuning-Haus in Herzogenrath traf auf großes Interesse vor Ort und per Videozuschaltung.
Datum:
16. Nov. 2022
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 46/2022 | Andrea Thomas

Mit der Veröffentlichung der Beschlüsse des Synodalkreises zu den zukünftigen pastoralen Räumen im Bistum im April ist für die Menschen in den Pfarreien etwas klarer geworden, was sie mit dem Abschluss von „Heute bei dir“ erwartet. Vieles ist jedoch nach wie vor vage. Wie groß die Verunsicherung und der Wunsch nach etwas mehr „Durchblick“ ist, zeigte nun eine Veranstaltung mit dem Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller.

Die Pfarrei St. Josef in Herzogenrath-Straß hatte ihn gemeinsam mit dem Diözesanrat der Katholiken und dem Nell-Breuning-Haus als Ausrichter eingeladen, die vorliegenden Informationen zur geplanten Strukturreform im Bistum Aachen kirchenrechtlich einzuordnen. Gut 120 Interessierte aus dem gesamten Bistum, vor Ort und via Internet zugeschaltet, nahmen diese Gelegenheit wahr, etwas mehr zu rechtlichen Grundlagen von Pfarreien und möglichen Ausgestaltungen der Pläne des Bistums zu erfahren. Dafür bringt Thomas Schüller eine breite Erfahrung mit. Er berät einige Bistümer in ähnlichen Prozessen und hat im Bistum Limburg selbst Umstrukturierungsprozesse begleitet und mitgestaltet. Außerdem beschäftigt sich der Kirchenrechtler intensiv mit der Sicht Roms auf Fragen der Leitung von Pfarreien.

Prozesse wie in Aachen liefen derzeit in Fulda, Würzburg, Trier und Freiburg, deren Bischöfe beabsichtigten, die Zahl der Pfarreien drastisch zu reduzieren. In anderen Bistümern wie Osnabrück und Münster seien zwar städtische Pfarreien zusammengelegt worden, ende die „Fusionitis“ dagegen, wenn es um die ländlichen Gemeinden gehe. Hier setze man in diesen Bistümern auf Gemeindeleitungen nach Paragraph 517,2.

Priestermangel kein Grund zu fusionieren

Diese „Möglichkeit einer pfarrerlosen Pfarrei, in der eine einzelne nichtpriesterliche Person oder mehrere solcher Personen vom Bischof mit der Wahrnehmung der Seelsorge in allen Bereichen (Verkündigung, Gottesdienst/Sakramente und Leitung) zusammen mit einem nebenamtlich leitenden Priester, der nicht Pfarrer ist, betraut werden“, gibt es im Bistum Aachen unter anderem seit 23 Jahren in der Pfarrei St. Josef, die zu den Veranstaltern des Vortragsabends gehörte. Ein Modell, das sich durchaus als Alternative zu immer größeren Pfarreien mit einem Priester als Leiter eignet. Weltweit werden über 6000 Pfarreien danach geleitet.

Voraussetzung sei, so erläutert es Thomas Schüller, die Einschätzung des Bischofs, dass dauerhaft Priestermangel vorliege und die Pfarrei auf Dauer vakant bleibe, es sich aber um eine lebendige Pfarrei handele, die, auch wenn es auf absehbare Zeit keinen Pfarrer gebe, rechtlich weiter existieren solle. Etwas, das auch Rom zum Erhalt der Kirche vor Ort unterstütze. Weder Priester-, Finanz- noch Gläubigenmangel rechtfertigten eine flächendeckende Zusammenlegung von Pfarreien. Vielmehr müsse ein Bischof in jedem Einzelfall nachweisen, dass dies aus konkreten Gründen, die vor Ort liegen müssen, rechtlich und faktisch unabweisbar notwendig sei.

In seinem einführenden Exkurs skizzierte Thomas Schüller allgemeine kirchenrechtliche Gesichtspunkte zu Leitung und Struktur von Pfarreien. Er verwies dabei unter anderem auf die deutsche Sonderform, nach der Pfarreien auch nach staatlichem Recht Kirchengemeinden als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit dem gewählten Kirchenvorstand als seinem rechtlichen Vertretungsorgan sind. Was mit Blick auf fusionierte Großpfarreien nicht unwichtig sei, da die Vermögen aus Kirchenfabrik, Pfarrfonds und Stiftungen an die Gemeinden gebunden seien, bei einer Fusion daher nicht einfach aufgelöst und für andere Zwecke eingesetzt werden dürften.

 

Thomas Schüller begann seinen Vortrag mit  einem Exkurs in kirchenrechtliches Basiswissen. (c) Andrea Thomas
Thomas Schüller begann seinen Vortrag mit einem Exkurs in kirchenrechtliches Basiswissen.

Auf dieser Basis beleuchtete er schließlich die Aachener Pläne etwas genauer. „Heute bei dir“ sei „prosaische Sprache für harte Entscheidungen“. Die öffentlich zugänglichen Texte dazu empfinde er noch als recht vage und in einer Sprache, die weder theologisch noch kirchenrechtlich sei. Neben acht bis 13 Pfarreien soll es zukünftig etwa 50 pastorale Räume geben, die am Sozial- und Lebensraum der Gläubigen orientiert sein sollen, fasste er zusammen.

Aus seiner Sicht sei demnach wohl Folgendes angedacht: Die Pfarrei ist nur noch rechtliche Hülle mit einem Pfarrer als Leiter und fungiert als „Aufsichtsrat“. Entscheidend seien die pastoralen Räume mit ihren Orten von Kirche, in denen vorrangig alle Seelsorgenden in Teams mit Ehrenamtlichen arbeiteten und in denen Verkündigung, Gottesdienst, Leitung und Gemeinschaft mit Leben gefüllt werden sollten. Da hinein flössen dann auch die Kirchensteuermittel, wobei die rechtliche Ausformung noch unklar bleibe, da es klassische Kirchenvorstände staatskirchenrechtlich nur auf Ebene der Pfarrei geben könne. Eine Möglichkeit seien „öffentliche kanonische Vereine“. Egal, welche rechtliche Form zur Verwaltung der Kirchensteuermittel für die pastoralen Räume man am Ende wähle, es werde wohl darauf hinauslaufen, dass mehr hauptamtliches Personal nötig sei.

In der sich anschließenden Diskussion zeigte sich, dass die Sorge vieler groß ist, dass in den geplanten Strukturen verloren geht, was Kirche vor Ort heute ausmacht. Im städtischen Umfeld machten Großpfarreien ja noch Sinn, aber im ländlichen Raum, wo die Entfernungen größer seien, sei das schwierig bis katastrophal. In solch großen Einheiten fehle den Verantwortlichen Pfarrer und Gremien, der Bezug zu dem, was vor Ort wichtig sei. Das könne die pastoralen Räume mit ihren Synergien konterkarieren, weil eine höhere Stelle nein sagen könne, wenn es um das Geld zur Finanzierung gehe, so eine der Befürchtungen. Die Zufriedenheit der Menschen vor Ort, auf ihre Bedürfnisse einzugehen, das sei auch „römische Denke“, bekräftigte Thomas Schüller. Wichtig sei daher, Strukturen zu schaffen, die dem Rechnung tragen.

Eine Möglichkeit wäre, statt auf wenige große Pfarreien mit pastoralen Räumen auf 50 oder mehr Pfarreien zu setzen, die überwiegend nach 517,2 geleitet werden. Wobei es auch da natürlich immer einen Priester, wenn auch ohne Leitungsverantwortung, geben müsse, wie Thomas Schüller auf diese Idee hin anmerkte. Er brachte seinerseits noch eine andere Möglichkeit ins Spiel, nämlich „die untere Ebene zu verfeinern“. Da, wo Ehrenamtliche schon Erfahrung in der Übernahme von Leitungsverantwortung gesammelt haben, zum Beispiel als ehemalige 517,2-Gemeinde, könnten sich nicht-pfarrliche Gemeinden gründen. Das sei kirchenrechtlich möglich und könne da, wo es lebendige Strukturen gebe, einen Bezugsrahmen schaffen.

Eines machte der Abend deutlich. Es bleibt wohl noch einiges zu tun, um die geplanten Strukturen auszugestalten. Damit sie in Rom bestehen können, aber auch, um den Menschen vor Ort die Sicherheit und das Vertrauen zu geben, dass Kirche weiter lebendig bleibt.