Von Menschen lernen

Ammar Habib engagiert sich im Studium und ehrenamtlich für Bildungs- und Chancengleichheit

Ammar Habib vor der Aula der Katho Aachen.  Er wurde mit dem DAAD-Preis 2020 ausgezeichnet. (c) Kathrin Albrecht
Ammar Habib vor der Aula der Katho Aachen. Er wurde mit dem DAAD-Preis 2020 ausgezeichnet.
Datum:
8. Juni 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 23/2021 | Kathrin Albrecht

Ammar Habib strahlt bei unserem Treffen an der Katholischen Hochschule in Aachen (Katho). Gerade hat er seine Preisträger-Urkunde abgeholt. Der Deutsche Akademiesche Austauschdienst, DAAD, hat ihn für seine hervorragenden akademischen und kulturellen Leistungen ausgezeichnet. 

„Das war eine sehr erfreuliche Nachricht“, erinnert sich der 32-Jährige, „und ich bin schon ein bisschen stolz auf mich.“ Diese Leistungen wirken noch einmal so beeindruckend, wenn man bedenkt, dass Ammar Habib erst vor fünf Jahren nach Deutschland kam. Aus politischen Gründen musste er 2015 Syrien verlassen: „Ich hatte wenig Vorstellungen von Deutschland. Ich war Fan vom Fußballclub Bayern München und beherrschte einige Brocken wie ,Danke‘. Ich musste einiges neu lernen, wie ein kleines Kind, im Alter von 27 Jahren“, erinnert sich Ammar Habib. „Vieles habe ich mitgenommen, auch Erinnerungen aus Syrien.“ Zeit brauche es, das alles zu verarbeiten, erzählt er im Rückblick: „Das sage ich auch anderen.“ Trotzdem ging es bei Ammar Habib schnell. In Kassel, seiner ersten Station in Deutschland, machte er einen Deutschkurs.

In Syrien hatte er ein Lehramtsstudium abgeschlossen und bereits erste berufliche Erfahrungen als Lehrer gesammelt. Daran anknüpfen konnte er in Deutschland, wo er seit 2016 lebt, zunächst nicht. Doch es tat sich eine andere Möglichkeit auf. Ammar Habib kam nach Aachen, wo er ein Praktikum an einer Grundschule begann und unter anderem auch für eine Familie als Übersetzer tätig war. Über das Praktikum entstand der Kontakt zur Katho und damit die Idee, dort ein Studium aufzunehmen. 


Engagement als Dolmetscher und als Begleiter von Jugendlichen

Sein im Wintersemester 2017/18 begonnenes Studium im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit hat Ammar Habib bereits abgeschlossen. In seiner Bachelorarbeit beleuchtet er die Entstehung von struktureller Gewalt in Gemeinschaftsunterkünften für Menschen mit Fluchtbiografie und arbeitet heraus, welchen Beitrag die Soziale Arbeit in diesem Bereich zu einem gewaltfreien Miteinander leisten kann. In den Flüchtlingsunterkünften lebten Menschen unterschiedlicher Kulturen auf engstem Raum miteinander: „Sie kommen oft nicht miteinander klar“, fasst Ammar Habib zusammen. Dabei wäre ein kultursensibleres Vorgehen hier wichtig. Doch es werde zu wenig investiert.

Auf 1000 Menschen in einer Gemeinschaftsunterkunft kämen oft nur drei bis vier Sozialarbeiter, erzählt Ammar Habib: „Und ihre Arbeit kann sich oft nur auf das Nötigste beschränken, wie Anträge stellen oder die Menschen bei einer Rückführung begleiten.“ Dabei wäre es wichtig, den Menschen, die auf ihrer Flucht viel erlebt haben und die oft traumatisiert sind, zu helfen, diese Erlebnisse zu verarbeiten. Elementar wichtig wäre auch eine entsprechende Anti-Rassismus-Pädagogik, die helfen könnte, bestehende Vorurteile abzubauen.

Eng verbunden mit seinem Studium, aber auch mit seinen persönlichen Erfahrungen ist das ehrenamtliche Engagement Ammar Habibs. Er ist als Dolmetscher und Begleiter beim Jugendmigrationsdienst des Caritasverbandes in Aachen unterwegs. Außerdem engagiert er sich als ehrenamtlicher Betreuungshelfer beim Verein für Jugendhilfe Aachen. „Der Verein begleitet Jugendliche, die kleinere Delikte begangen haben“, erläutert Habib. 
Darüber hinaus hat er als Insider beim Projekt Talentscouting (einem Gemeinschaftsprojekt von RWTH Aachen und FH Aachen) mitgewirkt. Ziel des Projektes ist die Förderung der Bildungs- und Chancengerechtigkeit von jungen Menschen aus Familien ohne akademische Erfahrung.

Blickt er auf seine eigene Biografie, würde Ammar Habib sich selbst ebenfalls als Arbeiterkind beschreiben. „Zwar haben einige meiner Geschwister studiert, meine Eltern jedoch nicht. Ich musste für mein Studium kämpfen.“ Seine Erfahrungen fließen auch in das Pilotprojekt „Figest“ ein, das im vergangenen Wintersemester an der Katho startete und Studierenden aus Nicht-Akademiker-Familien den Weg im Studium leichter machen soll. 


Zufrieden bleiben ist wichtig

Vor dem Hintergrund der seit 2020 grassierenden Corona-Pandemie sei es gerade für sie nicht einfach, weiß Ammar Habib. „Es ist schwierig für sie, sich zu vernetzen.“ Einige Studierende erlebten gerade ihr drittes fast rein virtuelles Semester.

Die Begeisterung für das, was er tut, ist Ammar Habib anzumerken. Wie er all das mit seinem Studium unter einen Hut bringt? „Manchmal bringt mir die ehrenamtliche Arbeit genauso viel wie mein Studium“, sagt er. „Mir ist wichtig, dass ich dabei bleibe. Von Menschen lernt man viel.“ So versucht er seine ehrenamtlichen Tätigkeiten aufs Wochenende oder auf die vorlesungsfreie Zeit zu verlegen. 

Im vergangenen Wintersemester 2020/21 hat Ammar Habib sein Masterstudium Soziale Arbeit begonnen. Auch dieses Studium will er in der Regelstudienzeit von zwei Jahren abschließen. „Mir ist wichtig, zufrieden zu bleiben“, sagt er. Dankbar ist er Professorin Verena Klomann, die an der Katho Soziale Arbeit lehrt. „Ohne sie hätte ich den Zugang zur Katho nicht gefunden.“