Vom Viehhändler „Sally“ Servos und seiner Familie

Gegen das Vergessen: Die „Stolperstein“-Verlegung in Kempen erinnert an weitere individuelle Schicksale

Wie auch in den letzten Jahren wird Künstler Gunter Demnig die Stolpersteine selbst verlegen. (c) Rudolf Kastner
Wie auch in den letzten Jahren wird Künstler Gunter Demnig die Stolpersteine selbst verlegen.
Datum:
8. Juni 2021
Von:
Aus der KirchenZeitung, Ausgabe 23/2021 | Ann-Katrin Roscheck

„Ich hatte die Hoffnung, dass sich die Zeiten bessern werden, aber gerade in den letzten Monaten bleibt doch das Gefühl, dass es in eine andere Richtung geht“, sagt Ute Gremmel-Geuchen als Sprecherin der Kempener Initiative „Projekt Stolpersteine“. „Antisemitismus ist in Deutschland allgegenwärtig, und wir müssen dafür sorgen, dass Geschichte nicht vergessen wird.“ 

Am 17. Juni findet die siebte „Stolperstein“-Verlegung in Kempen statt. Seit 2014 verlegt die Initiative jedes Jahr Steine, um Kempener Opfern des Holocausts zu gedenken. Mit der diesjährigen Verlegung sind mehr als 70 Namen in Kempener Straßenzüge eingelassen. „Wir gedenken nicht nur Menschen, die ihr Leben verloren haben, sondern auch derer, die fliehen mussten“, erklärt Gremmel-Geuchen. „Auf unserer Liste stehen aktuell noch rund 20 Namen. Ich hoffe, dass wir in den nächsten zwei Jahren die Verlegungen abschließen können.“

Die Arbeit der Initiative aber endet auch dann nicht. Die Engagierten kooperieren mit Schulen, halten Gedenkveranstaltungen ab und sorgen durch Aktionen wie den jährlichen Reinigungstag der sogenannten Stolpersteine dafür, dass die individuellen Schicksale der Opfer nicht in Vergessenheit geraten. Dabei agiert die Initiative rein ehrenamtlich, alle „Stolpersteine“ sind durch Spenden finanziert. „Auch Historiker Hans Kaiser, der mich maßgeblich unterstützt, und ich werden irgendwann alt sein“, sagt Gremmel-Geuchen schmunzelnd. „Ich wünsche mir schon, dass es im Stadtetat Gelder geben würde, die so eine wichtige Tätigkeit auch für die Zukunft sichern.“

Am 17. Juni wird nun vorerst ehrenamtlich dreier Kempener Familien und zweier Einzelpersonen gedacht. Gunter Demnig, der das Projekt der sogenannten Stolpersteine deutschlandweit initiiert hat, verlegt die Steine persönlich. Er lässt zum Beispiel auch 
die Steine für die jüdische Familie Servos auf der Vorster Straße 16 ein. Der Viehhändler Salomon „Sally“ Servos war 81 Jahre alt und seine Ehefrau Nanni 76, als sie im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden und dort umkamen. Sie waren die ältesten jüdischen Bürger, die durch die Nationalsozialisten ermordet wurden.

Schon 1938 verloren sie ihren Sohn Siegfried an die Nazis. Der damals 39-Jährige wurde in der Pogromnacht von der SA zusammengeschlagen und in der Folge dessen, dass ihm niemand half, ins Konzentrationslager Dachau deportiert. Zwar entließ man ihn im Dezember wieder, eine Spur von seinem weiteren Lebensweg gibt es aber bis heute nicht.
Seine Schwester Bertha wurde drei Jahre später, im Jahr 1941, mit zehn anderen Juden in das Ghetto von Riga deportiert. Am 1. Januar 1945 verstarb sie im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig.

Bei der „Stolperstein“-Verlegung am 17. Juni erzählen die Akteure nicht nur diese Geschichte, sondern erinnern an den Lebensweg jedes einzelnen, der bei der diesjährigen „Stolperstein“-Verlegung bedacht wird. „Selbst in einer kleinen Stadt wie Kempen“, so schließt Ute Gremmel-Geuchen ab, „wird dadurch deutlich, wie viele Leute wirklich vom Holocaust betroffen waren.“

Die „Stolperstein“-Verlegung am Donnerstag, 17. Juni, beginnt um 13 Uhr an der Hülser Straße 15. Interessierte sind willkommen. Weitere Informationen auf
 www.stolpersteine-kempen.de