Über ein Jahr ist es her, dass Achim Engels den Höhner-Song „Alles verlore“ im Radio hörte. Die Musiker berichten vom Leben eines Monteurs, der aufgrund mehrerer Schicksalsschläge obdachlos wird, alles verliert und keine Wohnung, keine Arbeit, kein Geld mehr hat. „Das Lied kannte ich noch gar nicht“, erinnert sich der Mitarbeiter der Dürener Eßer Office Group an diesen Augenblick. „Ich war sehr bewegt, wie schnell alles gehen kann“, blickt er zurück.
Das Lied hatte er erneut im Kopf, als Achim Engels, der beruflich viel zu Kunden und Veranstaltungen unterwegs ist, bei Minustemperaturen in Aachen im Stau stand und beobachtete, wie Menschen am Rande der Innenstadt Zuflucht in Zelten suchten. Für den Geschäftsmann, der beruflich regelmäßig mit dem Thema Arbeitskräftemangel konfrontiert wird, standen plötzlich zwei Fragen im Raum: Gibt es obdachlose Menschen, die arbeiten können und wollen? Und: Wie können diese Menschen erfolgreich in Arbeit gebracht werden, welchen Beitrag können besonders Unternehmen dabei leisten?
Als Netzwerker ging er auf die Suche nach Antworten – und fand so manche Unterstützerin und manchen Unterstützer in der Wirtschaft und bei Vereinen, die bereit waren, es einmal auszuprobieren. Um Menschen von der Straße zurück in den Arbeitsmarkt zu führen, entstand die Initiative „Schattensprung – Chancen ohne Grenzen“, die aktuell ehrenamtlich von Initiator Achim Engels und Mitstreitern wie Wolfgang Walbert, der ein Design-Studio für Marketing-Lösungen in Aachen besitzt, vorangebracht wird. Zum Team gehören auch Nina Burstedde und Helge Adomeit. „Es ist schwer, für das Thema spontane Begeisterung zu entflammen“, sagt Achim Engels. Doch die Erfahrung der letzten Wochen und Monate zeige, dass es durchaus Interesse an diesem Projekt gibt – sowohl bei den obdach- beziehungsweise wohnungslosen Menschen als auch bei Unternehmen, die zunehmend bereit seien, eine „Extrarunde zu laufen“ und in die Einarbeitung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr Zeit und Aufwand zu investieren.
„Es gibt Bedenken und Vorbehalte. Auf beiden Seiten. „Wir sehen es als unsere Aufgabe, hier Schnittstellen zu schaffen, die Akteure zu vernetzen und miteinander ins Gespräch zu bringen“, stellt Wolfgang Walbert klar, dass „Schattensprung“ nicht die Arbeit etablierter Hilfs- und Unterstützungseinrichtungen und Vereine ersetzen könne und wolle. Auch sei kein Unterstützer der Initiative ausgebildeter Sozialarbeiter.
„Wir wollen unsere Kontakte und Kenntnisse der Arbeitswelt einbringen“, erklärt Achim Engels. Denn, hier klingt das Lied der Höhner wieder durch, oftmals ist der Weg in die Obdachlosigkeit eine Abwärtsspirale, die möglichst früh durchbrochen werden sollte. „Je früher wir diese Menschen unterstützen, wieder eine geregelte Arbeit aufzunehmen, desto schneller finden sie auch wieder einen Platz in der Mitte der Gesellschaft“, ist Engels überzeugt.
Während der vergangenen Wochen hätte „Schattensprung“ über Kooperationspartner bereits viele wohnungs- und obdachlose Menschen kennengelernt, die „arbeitsfähig und arbeitswillig sind“, berichtet Wolfgang Walbert. In zehn Fällen habe es eine erfolgreiche Vermittlung gegeben. „Das klingt nicht gerade beeindruckend. Aber wir haben bis dato nur mit 28 Personen gesprochen. Die Erfolgsquote ist also hoch“, gibt Walbert zu bedenken, dass die ganze Arbeit bislang ehrenamtlich und zusätzlich zu den eigenen beruflichen Tätigkeiten erfolgt.
Oder anders formuliert: „Schattensprung“ operiert bis heute noch unter dem Radar, macht keine große Werbung, ist noch aktiv auf der Suche nach Kooperationspartnern in Wirtschaft, bei Sozialverbänden und Institutionen sowie bei Städten und Gemeinden in der ganzen Region. Dabei verschließt niemand die Augen vor den vielseitigen Herausforderungen und Vermittlungshemmnissen, die es gibt. Geschätzt leben rund 50 000 Männer und Frauen in Deutschland obdachlos auf der Straße, etwa eine halbe Million Menschen ist wohnungslos und auf Notunterkünfte und andere Einrichtungen angewiesen. Tendenz steigend. „Wir rechnen damit, dass 15 bis 20 Prozent dieser Gruppe wieder in Arbeit kommen könnten, wenn wir Unternehmen finden, die diesen Weg mitgehen“, schätzt Wolfgang Walbert. Voraussetzung sei neben einer allgemeinen Offenheit das Verständnis dafür, „dass es nicht vom ersten Tag an fluppt“, sagt Achim Engels. „Wer länger krank war, fängt auch nicht wieder Vollzeit mit Maximalbelastung an. Kleinere Rückschläge gehören dazu.“
Die Initiatoren wollen ihr Konzept auf eine breitere Basis stellen und denken darüber nach, eine Matching-Plattform zu entwickeln, auf der Unternehmen ihre Stellen melden können. Für den Start haben sie drei Branchen ins Auge gefasst: Dienstleistung, Handwerk und Gastronomie. „Wir sehen unsere Arbeit wie den Aufstieg auf den Mount Everest. Da läuft niemand ohne Vorbereitung und mehrere Zwischenstopps hoch“, sagt Achim Engels. „Schattensprung“ plant daher auch die Erstellung eines Trainings- und Qualifizierungskonzeptes. „Wir stehen am Anfang und würden uns freuen, wenn wir viele Wegbegleiter finden“, ist Wolfgang Walbert überzeugt, den Berg auch zu erklimmen. Wer Interesse hat, findet mehr Infos unter https://schattensprung.org.
… Erhan Aslaner, Obdachloser, der Unterstützung von „Schattensprung“ erhalten hat.
Bitte beschreiben Sie Ihren Weg in die Obdachlosigkeit. Was ist passiert?
Im Jahr 2012 gab es privat sehr große Turbulenzen, die mich vollkommen aus der Bahn geworfen haben. In der Folge wurde ich obdachlos.
Wie wichtig ist es für Sie, wieder arbeiten zu können?
Arbeit bringt mir wieder Sinn und Struktur in mein Leben. Ich fühle mich wieder „etwas wert“ und gehöre dazu. Durch mein Einkommen kann ich mir jetzt auch wieder etwas leisten.
Was war die größte Hürde, wieder Fuß fassen zu können?
Niemand hat mich mehr gesehen. Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie zehn Stunden am Tag Mülleimer nach leeren Flaschen durchwühlen? Ohne die Unterstützung hätte ich überhaupt kein Zutrauen gehabt, das Thema zweite Lebenschance anzugehen.
Wie würden Sie die Bedeutung von „Schattensprung“ für Ihr Leben beschreiben?
Der Kontakt zu Schattensprung kam über einen Streetworker zustande. Die Leute von „Schattensprung“ sind Licht in meinem Leben, richtige Engel. Nur durch die Arbeit kann ich damit beginnen, in meinem Leben wieder Fuß zu fassen.
Die Fragen stellte Stephan Johnen.
Die Spannung war spürbar, als neun innovative Ideen von Unternehmern für Unternehmen in knackigen 10-Minuten-Pitches vorgestellt wurden. Die Initiative „Schattensprung – Chancen ohne Grenzen“ hat ihre Idee für mittelständische Unternehmen im November beim ersten Innovation-Pitch des Wirtschaftsverbandes „Der Mittelstand BVMW e.V.“ (Ortsverband Köln, Rhein-Erft-Kreis) vorgestellt – und sich den BVMW InnovationAward und das damit verbundene Preisgeld in Höhe von 1000 Euro gesichert.