Aachen, Ortstermin bei Oberbürgermeister Marcel Philipp im Rathaus. Theologinnen und Theologen aus Asien, Afrika, dem Orient, Ozeanien und Lateinamerika lassen sich die Bedeutung des Gebäudes erläutern, dessen Anfänge auf Karl den Großen zurückgehen, der selbst entscheidende Grundlagen für die Bildungswelt des Mittelalters gelegt hatte, die auf Philosophie und Theologie bis heute ausstrahlen.
Nicht weniger bedeutsam ist es, was die Wissenschaftler in Aachen beraten: Es soll ein „Handbuch Theologie Süd-Süd“ entstehen, das einen Überblick über das theologische Denken in der Weltkirche gibt. Drei Tage dauerten die Beratungen am Missionswissenschaftlichen Institut (MWI) des Hilfswerks Missio, wo es vor allem um die Frage ging, welche Texte aus ihren Heimatkontinenten am wirkungsvollsten die Theologie und den kirchlichen Alltag in den vergangenen Jahrzehnten geprägt haben. Zwar ist für die rund 1,3 Milliarden Christen weltweit Rom das Zentrum der römisch-katholischen Kirche, doch das Christentum kam in die meisten Erdteile als fremde Religion und Kultur zu den Menschen. Diese übernahmen nicht einfach nur die Lehren der christlichen Missionare aus Europa, sondern entwickelten die Ideen weiter.
„Genau das soll das Handbuch zeigen, die Theologien des Südens bilden eigene authentische Gesichter des Christentums“, erläutert Raúl Fornet y Betancourt. Der Professor für Theologie und Philosophie entwickelte die Idee zu diesem Handbuch und hat ein ähnliches Werk bereits für die Philosophie mit herausgegeben. Jetzt ist er für das Handbuch Theologie im Koordinationsteam des MWI. Ein solches authentisches Gesicht, das den kirchlichen Alltag in seiner Heimat mit geprägt hat, ist Pater Michael Amaladoss SJ. Er ist Direktor des „Institute for Dialogue with cultures and religions“ am Loyola-College in der ostindischen Stadt Chennai. Der Jesuit hat sich schon früh in seiner Ausbildung mit den Einflüssen des Hinduismus auf das Christentum auseinandergesetzt: „Meine Familie ist seit fünf Generationen christlich, aber davor waren auch sie Hindus. Der Hinduismus bildet also auch die Wurzel meiner Identität, die ich mit meiner Identität als Christ verbinden muss“.
Als Teilnehmer der Tagung geht es ihm vor allem um zwei Dinge: „Wir möchten uns mit dem Handbuch unserer eigenen Vielfalt bewusst werden und diese Vielfalt zur Kenntnis nehmen. Wir möchten herausfinden, was neue Ideen und Fragen sind, die vor Ort diskutiert werden. Gleichzeitig möchten wir geschlossen mit dem Norden in Dialog treten und zeigen, dass die europäische Theologie eine unter vielen in der Weltkirche ist.“ Darum soll das Handbuch auch in englischer, französischer und spanischer Sprache erscheinen. Da es nicht mehr als einen Ausschnitt bieten kann, soll ein Internetauftritt weiterführende Texte erschließen.
Pater Amaladoss ist es wichtig, dass der Austausch in zwei Richtungen geht: „Wir befinden uns im ständigen Austausch, Schüler, Studierende oder Missionare verbringen eine bestimmte Zeit im Ausland. Wenn europäische Theologiestudierende etwas über die Theologien des Südens lernen, erweitert das auch ihren Horizont.“
Dies sei nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund des interreligiösen Dialogs bedeutsam. Denn zuerst müsse man verstehen, woher man kommt, was einen prägt, aber auch, was den anderen prägt, bevor man in den Austausch geht. In einem Land wie Indien, wo ebenfalls verschiedene Religionen zusammen leben, sind diese Fragen wichtig. „An unserem Institut veranstalten wir regelmäßig interreligiöse Feste“, erzählt Pater Amaladoss. So seien Christen, Muslime, Sikhs und Jaina im Dezember zu einer „Feier des Lichts“ eingeladen. Zum Ende des Monats Ramadan feiere man außerdem mit den Muslimen gemeinsam das Fastenbrechen. „Die Feiern haben zum Teil Eingang in die allgemeinen Feierlichkeiten der Universität gefunden. Das heißt, 10 000 Menschen feiern gemeinsam. Das hat eine gewisse Strahlkraft nach außen. Es zeigt, dass Menschen unterschiedlicher Religionen miteinander leben können. Das ist im Alltag oft nicht der Fall.“
Pater Amaladoss freut es, dass das Interesse an den theologischen Ideen der Weltkirche zu wachsen scheint. „Vor gut 40 Jahren wurde ich gebeten, für den Missio-Kalender einen Beitrag zu verfassen. Das war damals fast eine Sensation, dass Missio sichtbar gemacht hat, wie sich das Christentum außerhalb Europas entwickelt hat.“
Harald Suermann, Direktor des MWI, sieht jetzt einen geeigneten Zeitpunkt für die Veröffentlichung eines solchen Handbuchs. „Die Öffnung hat spät begonnen, erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat man langsam Impulse aus der Weltkirche aufgegriffen.“ Seit 45 Jahren arbeitet das MWI mit Theologinnen und Theologen aus der Weltkirche zusammen. In gemeinsamen Curricula wird am MWI auch über Lehrpläne an Schulen und Universitäten beraten.
Der Zeitpunkt für ein solches Handbuch sei nicht zuletzt deswegen richtig, weil mit Papst Franziskus zum ersten Mal ein Vertreter der Weltkirche auf den Stuhl Petri gewählt worden ist. Wie sehr ihn die Ideen der lateinamerikanischen Kirche, allen voran die Theologie der Befreiung, prägen, hat er in Schriften wie „Laudato Si“ deutlich gemacht.
Zum Einsatz kommen soll das Handbuch im Religionsunterricht der Sekundarstufe II in den Ländern der fünf weltkirchlichen Bereiche, die an der Entstehung mitwirken. Auch an Universitäten soll damit gearbeitet werden. Das stellt die Teilnehmer vor allem bei der Textauswahl vor eine Herausforderung, denn die ausgewählten Themen dürfen nicht zu schwer sein. Zurzeit arbeite man noch am Gerüst, erzählt Pater Amaladoss: „Aber jetzt ist schon klarer, wie die Texte aussehen sollen, wie lang sie sein sollen. Jetzt können wir mit der Arbeit beginnen.“ In gut einem Jahr, so hofft er, wird das Handbuch fertig sein. „Es ist ein gutes Gefühl, dass jetzt etwas beginnt.“